Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
82. Sitzung vom 20. Oktober 1988
(A)
(B)
Stellv. Präsident Longolius: Jetzt hat Kollege Wieland das
Wort.
Wieland (AL): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Nach den Vorfällen der vergangenen Wochen, einen Tag nach
dem Evren-Besuch und nach den Äußerungen des Regierenden
Bürgermeisters eben zu dem Abdrängen, Hinausdrängen meiner
Kollegin (Pelebi-Gottschlich gestern aus der Brandenburghalle
muß man bedauerlicherweise eines feststellen; Es findet weni
ger eine Demokratisierung in der Türkei statt, als daß sich die
Zustände dieses Stadt beängstigend den türkischen Zuständen
annähern.
[Beifall bei der AL - Unruhe - Gelächter bei der
CDU]
Wo kommen wir denn hin, wenn türkische und deutsche Sicher
heitsbehörden gemeinsam entscheiden, ob eine Parlamentarie
rin abgedrängt wird oder nicht, ob sie an einem Staatsakt teilneh
men kann oder nicht? Der Regierende Bürgermeister hat es
noch nicht einmal für nötig gehalten, hier zu dementieren, daß er
den Einsatzbefehl gegeben hat, geschweige denn, sich zu ent
schuldigen. Das ist die Realität! Es langt offenbar nicht, daß das
Goldene Buch nach Eintragung von Pieter Botha, von Evren und
anderen so langsam das Niveau eines Verbrecheralbums an
nimmt -
[Simon (CDU): Na, na, na! - Widerspruch bei der CDU]
nein, es muß sich offenbar auch noch die Zeremonie den Her
kunftsländern der Diktatoren anpassen, die sich dort eintragen.
[Beifall bei der AL]
Der Ordnerdienst wurde gerüffelt dafür, daß er zu Recht die Kol
legin in die Brandenburghalle hineingelassen hat, er wurde
gerüffelt aufgrund von Anweisungen der türkischen Sicherheits
behörden. Das muß man sich einmal vorstellen, und das wird im
Ältestenrat auch noch Folgen haben.
[Zurufe von der CDU]
Nun zur IWF-Tagung.
Stellv. Präsident Longolius: Da Sie in Ihrer Rede mit einer
neuen Passage beginnen, sollte ich, was ich sonst am Ende
einer Rede zu tun pflege, jetzt sagen: Der Vergleich, auch nur der
Beginn eines Vergleichs zwischen dem Goldenen Buch unserer
Stadt und einem Verbrecheralbum ist derart unzulässig, daß ich
das sehr eindeutig zu rügen habe, was ich hiermit tue.
[Beifall bei der CDU, der SPD und der F.D.P.]
Wieland (AL): Wir müssen das bedauerlicherweise anders
sehen.
[Erhebliche Unruhe]
Die IWF-Tagung hat im Gegensatz zu dem, was hier Herr
Landowsky gesagt hat, keine Aufmerksamkeit erregt wegen der
Ergebnisse der Banker-Tagung im ICC, denn diese gab es nicht.
Dort ist, wie man es schon vorher wußte, wegen der nahe bevor
stehenden Präsidentschaftswahl in den USA keine wichtige Ent
scheidung getroffen worden. Die IWF-Tagung hat vielmehr des
halb Aufmerksamkeit erregt, weil sie erstmalig begleitet war von
Gegenaktivitäten, weil erstmalig eine IWF- und Weltbanktagung
in der Tat dazu geführt hat, daß eine umfassende Diskussion
über Hunger, Armut und Elend in der Dritten Welt geführt wurde.
Das war die Bedeutung der Gegenaktivitäten, das war die Be
deutung dieser Tagung und nichts anderes. Insoweit hat die
Weltbanktagung Signale gesetzt und eine Bedeutung gehabt.
[Beifall bei der AL - Zuruf von der CDU; Meint Herr
Wieland!]
Die übrigen drei Parteien hier im Abgeordnetenhaus haben es
für nötig gehalten, gerade im Hinblick auf die Großdemonstration
entweder zu beschließen, wie der SPD-Landesvorstand, dort
nicht hinzugehen, weil Gewalttätigkeiten drohen, oder, wie der
F.D.P.-Landesvorsitzende Rasch, davor zu warnen, dort hinzu
gehen, oder gar wie Herr Landowsky, der sich hier vorhin als Ver
teidiger der Demonstrationsfreiheit ausgeben wollte, drei Tage
vor einer seit Monaten vorbereiteten Demonstration eine Absage
von den Veranstaltern zu fordern. So sah in Wirklichkeit Ihr Ein
treten für Demonstrationsfreiheit aus. Heute wollen Sie lediglich
Spuren verwischen.
An jedem der so zahlreichen Polizeifahrzeuge in dieser Stadt
stand während der „olivgrünen Woche“ ein Plakat zu lesen:
„Berlin steht für Weltoffenheit, Meinungsvielfalt, Gastfreund
schaft.“ Die Weltöffentlichkeit hat dies allerdings nicht begriffen;
für die Völker der Welt, sofern sie auf diese Stadt schauten, war
etwas ganz anderes sichtbar: Für sie stand der „Bunker Berlin“
- so die BBC - für Veranstaltungsverbote, für den Einsatz von
Chemischer Keule gegen Künstlergruppen, stand für Einkesse
lung und Festnahme von Hunderten, stand für brutale Schlag
stockeinsätze und nicht zuletzt
[Zuruf des Abg. Vetter (CDU)]
für die systematische und fortgesetzte Behinderung von Fern
sehteams, von Journalisten und von Fotografen.
Folgerichtig sitzen heute nicht wir - die AL - und die Grünen
auf der Anklagebank, wie es Herr Landowsky gerne will, sondern
sitzt völlig zu Recht der Herr Verfassungsrechtler auf der An
klagebank. Man war von ihm an Eskapaden und verbalen Purzel
bäumen einiges gewöhnt. Aber nun hat er in einer Situation, wo
es noch möglich gewesen wäre, einzugreifen, wo es tagelang
Behinderungen von Journalisten gegeben hat, nun hat er in einer
solchen Situation nicht etwa gebremst, nicht etwa ein korrektes
Verhalten durchgesetzt, sondern er hat mit seiner verquasten
Rechtfertigung der „am Tatort zurücktretenden Pressefreiheit“
der Polizei vielmehr noch das theoretische Gerüst geliefert, hat
ihr noch einen Freibrief ausgestellt. Das ist seine ganz spezielle
Verantwortung für die in diesen Tagen geschehenen Übergriffe
auf Journalisten.
Nach seiner Theorie sollen Fotografen Fotos nur noch in
dieser Reihenfolge machen können: „Erst der Polizist, dann der
Journalist.“ Wenn der Festgenommene schon im Gefangenen
transporter ist, sollen Fotos nur noch dann gemacht werden,
wenn der Niedergeknüppelte bereits leblos auf dem Boden liegt
und abtransportiert wird. Wie das alles geschah, von wem das
alles geschah, mit welchen Methoden das alles geschah - dies
soll nicht mehr dokumentiert werden. Und hier liegt der eigent
liche Angriff: Fotografen, Kameraleute, Journalisten sind ein wirk
samer Schutz für die Demonstranten, für die Demonstrations
freiheit. Deshalb sind sie einem Teil der Polizei und diesem Sena
tor offenbar ein Dorn im Auge. Es findet hier kein abstrakter Krieg
eines Senators gegen die Presse statt. Es ist viel schlimmer:
Außer Rand und Band geratene Teile der Polizei,
[Ach! und Zurufe von der CDU]
speziell der Berliner Polizei, die von oben gedeckt werden, ermu
tigt werden
[Vetter (CDU): Sie spinnen doch!]
und auch noch die Presse als allerletzte Fessel loswerden wol
len. Darum geht es! Man ist gegen Blitzlicht und Halogenlicht,
weil es sich im Dunkeln gut munkeln läßt. Man will die häßlichen
Taten begehen, aber man will nicht, daß die häßlichen Fotos
dann auch in der Zeitung sind.
[Vetter (CDU): Verfolgungswahn!]
Das Risiko für Journalisten ist heute bereits sehr groß, zu
Demonstrationen zu gehen. Wer heute in der „tageszeitung“ von
Fotografen gelesen hat, die selber sagten: „Am letzten Tag
bin ich dann aus Angst nicht mehr hingegangen.“, der weiß, wie
ernsthaft und wie tiefgreifend der Eingriff in die Pressefreiheit
bereits ist.
[Vetter (CDU); Wahnvorstellungen!]
Um so mehr muß man den Journalisten Respekt entgegenbrin
gen, die ihren Aufgaben immer noch nachgehen - trotz des Risi
kos für ihre körperliche Unversehrtheit, trotz all dessen, was vor
gefallen ist.
[Beifall bei der AL]
(C)
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