Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
87. Sitzung vom 8. Dezember 1988
Buwitt (CDU); Meine Damen und Herren! Deshalb sprechen
wir auch hier über unsere Zweifel, daß man die AL als
Koalitionspartner überhaupt in Betracht ziehen kann. Die SPD
tut es, auch wenn sie - Zitat Momper „im Moment keine
sinnvolle Möglichkeit für ein Bündnis“ sieht. Aber da die SPD
über die Jahre die AL nicht mehr an festgelegten Kriterien
mißt, sondern die Meßlatte immer niedriger legt, wird die AL
schon eines Tages darüber springen können. Was die Opposi
tion als ihre moralischen Grundsätze verkündet, versagt dort,
wo sie sie selbst praktizieren muß. Hier paßt der Ausspruch
von Erich Mühsam:
Die Waffe des Philisters ist Entrüstung, eine Fehlgeburt
aus Angst und Größenwahn!
[Dr. Staffelt (SPD); Was haben Sie denn
mit Erich Mühsam zu tun? Da muß Ihnen doch die
Zunge im Halse steckenbleiben!]
- Aber Sie haben etwas, damit zu tun, Herr Staffelt!
Ihre Angst ist, daß Sie mit Herrn Momper in eine 30-%-
Partei abwandern, und Ihr Größenwahn ist. daß Sie glauben,
eines Tages wieder an die Regierung zu kommen!
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Nach alledem wird Sie nicht wundern, daß ich nach der
Rede des Oppositionsführers wenig oder keine Gemeinsam
keiten gefunden habe. Er hat es nicht einmal für nötig
gehalten, denjenigen zu danken - und zwar völlig unabhängig
von den Parteien -, die beim Erarbeiten des Haushaltsgeset
zes beteiligt waren. Ich möchte dies deshalb nachholen und
schließe mich dem Dank des Vorsitzenden an. Ich danke ihm
für die Verhandlungsführung im Hauptausschuß, danke aber
auch den Beteiligten aus den Verwaltungen und beziehe in
diesen Dank die Bundesregierung
[Härtig (AL): Warum sind Sie
eigentlich nicht mehr Hauptausschußvorsitzender?
Haben Sie das vergessen?]
und die Mitglieder des Deutschen Bundestages ausdrücklich
mit ein.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Wenn es einer zusammenfassenden Wertung der Vorstel
lungen der SPD bedarf, so fand eine Berliner Zeitschrift den
kürzesten Kommentar, als sie titelte: Schlapper Momper! Dem
war damals und dem ist heute nichts hinzuzusetzen!
[Dr. Lehmann-Brauns (CDU): Und er hört nicht mal
zu! Wo ist denn der Herr Momper?]
Die Augen der Welt richten sich zur Zeit nach Osten, auf die
Sowjetunion. Mit der Billigung der Verfassungsreform durch
den Obersten Sowjet ist Generalsekretär Gorbatschow auf
dem Weg zur Wahl als künftiger Staatspräsident einen wichti
gen Schritt vorangekommen.
[Wieland (AL): Herr Landowsky ist hier Generali]
Dennoch bleibt der Widerspruch, daß er die Umgestaltung der
sowjetischen Gesellschaft und ihre Beteiligung an der Macht
ausübung
[Weitere Zurufe von der AL -
Glocke des Präsidenten]
nur durch die Konzentration von mehr Macht und Entschei
dungsgewalt in seiner Person erreichen kann. Sacharow
nennt dies eine gefährliche Zeitbombe.
Explosiv ist die Entwicklung des Reformwerks auch noch (C)
aus einem anderen Grund, nämlich wegen des innersowjeti
schen Widerstandes. Die um ihre Privilegien fürchtenden
Funktionäre widersetzen sich ebenso wie die Bevölkerung,
die die Reform in erster Linie an den ausbleibenden Verbesse
rungen ihrer eigenen Lebensbedingungen mißt.
[Zurufe]
Ihre Unzufriedenheit unterstützt die, die den Prozeß der
Entspannung anhalten und rückgängig machen wollen.
Was früher als Gulasch-Kommunismus verspottet wurde,
muß nicht nur in Ungarn, sondern jetzt auch für Gorbatschow
das Nahziel sein. Er ist dabei ebenso zum Erfolg verurteilt, will
er nicht größere Reformen gefährden; soll sein gesamtes
Werk Erfolg haben, muß er das tun, ohne an diesen Fragen
intern zu scheitern, sonst gibt es für Europa unabsehbare
Gefährdungen. Dies um so mehr im Hinblick auf die unverän
derte militärische Potenz der Sowjetunion' und des War
schauer Paktes.
Die Herbsttagung der NATO kann nicht anders, als nach wie
vor von einer unveränderten Angriffs- und tnvasionsfähigkeit
des Warschauer Paktes auszugehen. Nach wie vor werden die
Arsenale der Roten Armee mit schweren Waffen gefüllt; die
nach dem INF-Abkommen zu zustörenden Mittelstrecken Waf
fen werden durch Lang- und Kurzstreckensysteme ersetzt. An
der sowjetischen Überlegenheit im konventionellen Bereich
hat sich auch nach der vorgestern angekündigten Reduzie
rung um 500000 Mann wenig geändert. Es mag bezeichnend
sein, daß Gorbatschow mit seinem Bild vom Europäischen
Haus - Herr Momper hat sich darauf bezogen - und den zwei
deutschen Wohnungen und einem „Berliner Zimmer“ sofort
nachdrücklich den westlichen Verzicht auf Modernisierung
der Atomwaffen in Verbindung gebracht hat. ^
[Zurufe von der AL - anhaltende Unruhe]
Die Debatte um den NATO-Doppelbeschluß sollte bewiesen
haben, daß im atomaren Kräftespiel nur beiderseitige Maß
nahmen und nicht einseitige Vorleistungen zu substantiellen
Verbesserungen führen.
Welche Bedeutung in diesem Zusammenhang die Errich
tung des gemeinsamen „Europäischen Hauses“ hat, bleibt
der konkreten Ausführung Vorbehalten. Die Architektur-Skiz
ze mag noch verlockend sein, allein die Idee vom „Berliner
Zimmer“ hat, architekturhistorisch gesehen, auch etwas Er
schreckendes, weil das „Berliner Zimmer“ doch immer ein
relativ lichtloser Raum, ein Durchgangszimmer, eben ein
Raum nicht zum Wohnen, sondern zum Repräsentieren ist.
Dies auf die Situation unserer Stadt übertragen, hieße eher
Sterilität als lebendiges Miteinander, mehr steife Förmlichkeit
als tägliche Gemeinsamkeit. Wenn es ein Europäisches Haus
geben sollte, dann müssen sich die Architekten eine Unter
bringung für Berlin einfallen lassen, die der Rolle dieser Stadt
in Europa Rechnung trägt und damit eine wirkliche Funktion
Berlins für die in diesem Haus lebenden Völker verbindet.
[Zuruf von der AL; Was schlagen Sie denn vor?]
- Wenn Sie etwas warten, werde ich Ihnen das deutlich
machen.
Deshalb begrüßen wir die jüngste Wiederholung der westli
chen Berlin-Initiative. Sie zeigt, daß sich auch unsere westli
chen Freunde mit der enttäuschenden Moskau-Reaktion auf
den ersten Vorstoß vom 29. Dezember 1987 nicht abfinden
wollen, weil Berlin eben nicht eine zu vernachlässigende
Größe in der internationalen Politik sein soll. Wir danken den
Schutzmächten, daß sie deutlich machen, daß in der interna
tionalen Politik kein Weg an Berlin vorbeiführen darf.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
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