Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
85. Sitzung vom 24. November 1988
Liepelt
(A) Kurzum: Wir haben hier die Situation, daß wir zwar zur Zeit
zufrieden sein können, daß aber auch für eine absehbare
Zukunft noch lange nicht alles klar ist für das Berliner Wasser.
Wir haben hier eine günstige Perspektive, und die sollten wir
in politisches Handeln umsetzen. - Vielen Dank für Ihre
Aufmerksamkeit!
[Beifall bei der CDU, der AL und der F.D.P.]
Stellv. Präsidentin Wiechatzek: Das Wort hat der Abgeord
nete Dr. Rüter.
Dr. Rüter (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Wenn die Koalitionsparteien 67 Tage vor der Wahl
eine Große Anfrage zum Gewässerschutz stellen, dann kann
es sich nur um eine Jubelanfrage handeln und darum, daß sich
der Senator profilieren will. Die Antwort ist natürlich entspre
chend. Gejubelt wird mit vielen Worten, wenn auch ein
bißchen lustlos. Es kommen die Worte vor „mit Stolz blicken
wir zurück“ und „Gewässer rein wie im Jahre 1960“. Da habe
ich so das Gefühl, als hätte ich die Rede schon einmal gehört.
[Franke (CDU): Ristock hat das auch gemacht!]
Aber, Herr Senator, profiliert haben Sie sich mit dieser Rede
nicht! Ich denke, daß die Koalitionsfraktionen doch etwas
mehr Substanz in ihrer Rede erwartet haben. Kein eigener
Gestaltungswille war in Ihrer Rede erkennbar; Sie handeln
offensichtlich unter dem Druck der Verhältnisse; Sie laufen
den Erfordernissen der Zeit hinterher. Darüber hinaus wird
das wenige, das dieser Senat erreicht hat und das zum Teil
noch durch Sozialdemokraten vor 1981 auf den Weg gebracht
worden ist, auch noch zerredet.
Die Bevölkerung wird verunsichert. Ich möchte hier einmal
an die unselige Debatte um die Verwendung phosphatfreier
Waschmittel erinnern. Da haben Sie sich, Herr Senator, in der
„Morgenpost“ am 14. September 1988 so dargestellt; „Phos
phate haben wir im Griff!“ - Ich frage mich, ob das wirklich der
Fall ist. Bestenfalls ist das nur zum Teil der Fall, und zwar nur
im Sinne reparierenden Umweltschutzes und reparierender
Umweltschutzpolitik. Daß aber der ungeheuer teure Bau von
Entphosphatungsanlagen und deren Unterhaltung unterblei
ben könnte, wenn beispielsweise der Bürger weniger Phos
phat verbrauchte, das läßt der Senator unerwähnt. Im Gegen
teil, man hat bei dem Artikel in der „Morgenpost“ die
Vermutung, daß er zwischen den Zeilen die Bürger auffordert,
mehr zu verbrauchen, weil die teuren Anlagen nun einmal
dastehen. Er tut dies, obwohl er wissen müßte, daß die
Erdvorräte dieses an sich sehr wertvolle Stoffes in etwa 20 bis
30 Jahren aufgebraucht sein werden und dann Tiefenförde
rung notwendig wird.
Wie haben wir nun die Phosphate im Griff? - Erinnern wir
uns an das Fischsterben im Sommer, das vornehmlich da
durch hervorgerufen worden ist, daß Phoshate trotz dritter
Reinigungsstufe über Regenüberläufe in Fäkalien und Wasch
mitteln in die Gewässer gespült wurden, die dann mit den nicht
gesäuberten 10% aus den Klärwerken zuzüglich der Nitrate
zu dem exorbitanten Algenwachstum mit nachfolgendem
Sauerstoffmangel geführt haben. Auch die Ausfällung der
90% Phosphate, die nicht mehr ins Oberflächenwasser ge
hen, ist nicht unproblematisch. Bei der Ausfällung entstehen
Salze, die zwar ungiftig sein mögen, die aber zerstörend und
verändernd auf das Ökosystem innerhalb des Wassers wir
ken. So die Expertenmeinung. Wir haben wahrlich diese
Phosphate nicht im Griff, wie es Herr Senator Starnick meint
und wie er es glaubte, hier darstellen zu können. Vor diesem
Hintergrund sind diese und auch andere Aussagen, die heute
und an anderer Stelle von diesem Senator getroffen worden
sind, unglaubwürdig.
ln diesem Zusammenhang stellt man sich die Frage, welche
Stoffe, die in den Gewässern sind, wir überhaupt im Griff
haben. Man kann davon ausgehen, daß wir keinen dieser
Stoffe im Griff haben. Weder die vom Umweltbundesamt vor
Jahren festgestellten 33 hochgiftigen Stoffe, von den polychlo
rierten Biphenylen-PCB-über Lindan bis zu den Pentachlor
phenolen-PCP-! Da gibt es überhaupt noch keine Techniken,
diese Stoffe in Großanlagen zu entsorgen. Gerade die jüngste
Diskussion um die ungenießbaren und gesundheitsschädi
genden Berliner Fische entscheiert die ohnmächtige Gewäs
serpolitik des Senats. Die Berliner Bevölkerung wird mit der
Feststellung ruhiggestellt, die verstärkte Altlastensuche nach
PCB führe dazu, daß Berliner Fisch in fünf Jahren wieder
genießbar werde. Experten runzeln da nicht nur die Stirn, sie
lachen sogar, denn auch der Senator müßte wissen, daß das
PCB eine sehr hohe Stabilität hat und deshalb nicht alsbald
aus den Gewässern verschwinden wird. Darüber hinaus wird
zusätzlich das noch im Boden lagernde PCB über eine
Generation den Oberflächengewässern zugeführt und vergrö
ßert dort die Gesamtmenge an PCB. Gerade die chlorierten
Kohlenwasserstoffe, die durch Industrie und Verkehr in die
Umwelt gelangen und sogar Beton und Ziegel durchdringen,
werden weiterhin über Niederschiagwasser und Schichten
wasser die Oberflächengewässer vergiften. Als jüngstes
Beispiel werden Sie in den Zeitungen Ober den Glienicker See
gelesen haben, daß dort der größte Teil des Bodens nur noch
aus Schimmel und fauligem Schlamm besteht.
Auf diesem Hintergrund ist es verfehlt, allein auf Entsorgung
zu setzen. Erforderlich ist es, an der Quelle zu beginnen und
insgesamt Produkte und Produktionsweisen umweltfreundlich
umzugestalten. So wie die im eigenen Badezimmer versprüh
ten Aerosole irgendwann in die Stratosphäre über Australien
gelangen und dort das Ozonloch verursachen, so gelangen
auch trotz aller Entsorgungsbemühungen die noch verbliebe
nen und sich summierenden Schadstoffe auch aus Berlin in
die Nordsee, ein Gewässer, das ebenso an vielen Stellen
seines Bodens schon vollkommen biologisch tot ist.
Das zur Rettung der Nord- und Ostsee von der Bundesregie
rung herausgegebene Zehn-Punkte-Programm berücksichtigt
nicht die Schadensquelle, das heißt die Elemente einer
umweltverträglichen Gestaltung der Produktionsstrukturen,
obwohl alle Fraktionen im Bundestag dieses gefordert haben.
Es ist deshalb unzureichend, und der Senat sieht sich auch
nicht veranlaßt, mehr zu tun und über dieses Zehn-Punkte-
Programm hinauszugehen. Der Katalog krankt zudem daran,
daß er nur Grenzwerte enthält, die den allgemein anerkannten
Regeln der Technik entsprechen und die eigentlich nur für
neue kommunale Kläranlagen vorgeschrieben werden sollen.
Für die gefährlichen Stoffe ist zwar der Stand der Technik
vorgeschrieben, aber es steht in den Sternen, und das gilt im
übrigen auch für Berlin, wann die entsprechende Verwalt
ungsvorschrift erlassen wird, da dem noch mühselige Ver
handlungen mit der Industrie vorausgehen werden. Vor einem
Erlaß für die gefährlichen Stoffe wird es aber auch keine
Verwaltungsvorschrift zur Begrenzung der Nährstoffeinleitun
gen geben. Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit sagt zu diesem Problem:
Neben den Anforderungen nach dem Stand der Technik
hinsichtlich der gefährlichen Stoffe hat die Begrenzung
der Nährstoffe aus industriellen Einträgen, insbesondere
zum verstärkten Schutz der Nord- und Ostsee, den
gleichen Stellenwert. Die Abkoppelung der Regelung für
gefährliche Stoffe im industriellen Bereich von den Rege
lungen für Nährstoffe würde dem notwendigen Schutz von
Nord- und Ostsee nicht Rechnung tragen.
Eine absurde Feststellung unter dem Gesichtspunkt, daß man,
bei weichem Stoff auch immer, nicht früh genug mit der
Beseitigung beginnen kann!
Ein kleiner Schritt wäre eigentlich schon getan, wenn
einzelne Branchen - etwa die Chemie - ein eigenes Pro-
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