Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
84. Sitzung vom 10. November 1988
Alterspräsident Poritz
Beratung ist nicht vorgesehen. Wer dem SPD-Antrag unter
Berücksichtigung der Beschlußempfehlung Drucksache 10/
2547 seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um
das Handzeichen. - Ich danke Ihnen. Die Gegenprobe! - Enthal
tungen? - Bei einigen Stimmenthaltungen so beschlossen.
Lfd. Nr. 18, Drucksache 10/2548:
Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses vom
13. Oktober 1988 zum Antrag der Fraktion der AL
über Auflösung des Hochsicherheitstraktes,
Drucksache 10/2400
Für die AL hat das Wort Frau Abgeordnete Jörgensen-Ullmann.
Frau Jörgensen-Ullmann (AL): Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Wir haben zum zweitenmal den Antrag
gestellt, den Hochsicherheitstrakt in der Untersuchungshaft- und
Aufnahmeanstalt Moabit aufzulösen; dieses Mal aber auch die
Forderung erhoben, ihn abzureißen. Das soll kein alternativer
Gag sein, wie es Herr Tietze in der Sitzung des Rechtsausschus
ses gesehen hat, indem er etwa gesagt hat - ich kann mich an
den Ausdruck nicht genau erinnern -, es sei ein alberner Antrag.
Der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Herr Rösler, hat viel
mehr erkannt, daß es nur konsequent ist, wenn die AL fordert,
den Hochsicherheitstrakt abzureißen, weil sie perspektivisch für
die Abschaffung von Gefängnissen eintritt. Da ist diese Forde
rung nur konsequent.
Bei dem Hochsicherheitslrakt handelt es sich um ein ganz
besonderes Gefängnis, um einen Knast im Knast, der 1980
eigentlich nur für politisch motivierte Gefangene eröffnet wurde.
Der Senat schrieb in einem Schreiben über die Belegungskrite
rien dieses Knastes, daß hier ausschließlich Gefangene unter
gebracht werden sollen — Können Sie mal ein bißchen für Ruhe
sorgen? Mein Organ reicht sonst nicht mehr aus.
Alterspräsident Poritz: Bitte nehmen Sie Rücksicht auf
unsere Rednerin. Sie möchte etwas mehr Ruhe haben. - Sie
haben recht, Frau Jörgensen.
Frau Jörgensen-Ullmann (AL): Danke sehr! Sehr freund
lich! - In dem ursprünglichen Konzept hieß es:
Hier sind ausschließlich Gefangene untergebracht, die
einer außerhalb des Vollzuges bestehenden Gruppierung
angehören, bei der im Hinblick auf ihre Logistik und Zielset
zung der konkrete Verdacht besteht und bestand, daß sie
willens und in der Lage ist, Ausbruchsversuche der/des
Gefangenen erheblich zu unterstützen oder Befreiungsver
suche zu unternehmen.
Das heißt, er wurde ursprünglich eröffnet für politisch motivierte
Gefangene. Der damalige Innenminister Baum hat seinerzeit
gesagt; Sicherheitstrakte sind im Grunde unmenschlich und
können auf die Dauer nicht akzeptiert werden. - Zu der Zeit
haben viele Menschenrechtsorganisationen und Angehörige von
Gefangenen der Hochsicherheitstrakte in der ganzen Bundes
republik gegen die Unterbringung im Hochsicherheitstrakt prote
stiert. Er wurde als unmenschliche Haftbedingung und als
„weiße Folter“ beschrieben, die darin besteht, daß die Gefange
nen abgeschirmt, sozial isoliert, einer Sonderbehandlung unter
stellt sind, wodurch gesundheitliche, vor allen psychosoma
tische Schädigungen besonders durch eine lange Haftdauer
entstehen. Wie sonst auch im Strafvollzug treten Herz- und
Kreislauferkrankungen auf, aber bei Gefangenen in den Trakten
stehen besonders auch psychosomatische Erkrankungen wie
Allergien u, a. im Vordergrund.
Wir sind schon damals gegen den Hochsicherheitstrakt
gewesen. Ich denke aber auch, daß diejenigen, die innerhalb der
damaligen Logik als für Staat und Gesellschaft Verantwortliche
diese Trakte in dieser Sondersituation eingerichtet haben, ihrer
eigenen Logik nach sagen müßten, daß jetzt der Zeitpunkt (C)
gekommen ist, in Berlin diesen Trakt dichtzumachen. Er steht im
Augenblick leer und soll renoviert werden. Die letzten beiden
Frauen, die dort waren, sind nun in der JVA für Frauen in einem
Sondertrakt untergebracht, der den Bedingungen eines Hoch
sicherheitstrakts durchaus gerecht wird. Wir denken, daß aus
dieser Logik heraus eine Schließung des Hochsicherheitstrakts
jetzt nötig ist und daß es nicht angehen kann - wie es geplant ist
und bereits seit 1983 praktiziert wird -, daß Gefangene aus dem
Normalvollzug in diesen Trakt verlegt werden. Belegungskrite
rien, die der Senator angegeben hat, sind, daß hier Schwerkrimi
nelle und Fluchtverdächtige untergebracht seien. In Wirklichkeit
befinden sich meiner Erfahrung nach dort häufig Gefangene mit
Delikten, die sich im Mittelfeld bewegen, mit relativ kurzen Rest
strafen. Die Stigmatisierung als Gruppe von Schwerstkriminellen
ist nicht haltbar, sondern es ist Erfahrungssache, daß der Trakt in
der Vergangenheit als Disziplinierungsmittel eingesetzt wurde.
Wir sind der Meinung, daß es solche Sonderhaftbereiche nicht
geben darf.
Ich möchte in diesem Zusammenhang - ein wenig entfernt
von der bisher immer geführten Debatte - darauf kommen,
welche psychischen Auswirkungen die Unterbringung in diesem
Knast hat. In einem Knast zu sein, der sich wiederum in einem
anderen Gefängnis befindet, zeigt dem, der eingesperrt ist, wie
gefährlich er ist und für wie gefährlich die Gesellschaft ihn hält.
Sie können sich sicher erinnern, es gab vor einiger Zeit in der
Reihe „Monitor“ einen Film, der in der gesamten Bundesrepublik
ausgestrahlt wurde, in dem ein Journalist den Lebensweg zweier
Gefangener nachgezeichnet hat, ein Gewaltverbrechen, das
durch TV in sämtliche Haushalte der Bundesrepublik ausge
strahlt wurde, was mit großer Spannung erwartet wurde. Dieser
mutige Journalist hat es gewagt, zu einem Zeitpunkt, wo der
berechtigte Zorn über die Gladbecker Geiselentführung groß
war, wo es soweit ging, daß Leute gesagt haben: Wir brauchen
wieder die Todesstrafe, die Strafen sind nicht hart genug, die
Knäste sind nicht sicher genug - zu dieser Zeit hat er es gewagt,
einen Blick auf den Lebensweg von zwei Männern zu werfen, (D)
und hat aufgezeigt, daß die seit ihrem dreizehnten Lebensjahr an
immer im Knast waren, in Jugendheimen, die ebenfalls mit Git
tern gesichert waren, daß sie den „Drehtüreffekt“ ihr ganzes
Leben lang erlebt hatten bis zu dem Zeitpunkt in diesem Jahr in
Gladbeck, wo sie zu dieser Geiselnahme kamen und wo auch in
Interviews mit deren Angehörigen deutlich wurde, daß diese sich
distanzierten und deutlich sagten: Da muß auch die Todesstrafe
in Frage kommen. - Da muß man sich überlegen, wie dieses
System von Bestrafung wirkt, was es für den einzelnen heißt, wie
er darauf reagiert. Da reagieren die einen mit Aggressionen, die
sie nach außen richten, die anderen richten Aggressionen gegen
sich selbst. Daher auch eine erhöhte Suizidgefahr; im letzten
Jahr gab es einen Suizid- und in diesem Jahr einen Todesfall
eines jungen Mannes, der 27 Jahre alt war und in dem Trakt beim
Hanteltraining plötzlich an einem Herzversagen gestorben ist,
wo niemals abschließend geklärt wurde, woher die Todes
ursache kam, und die Justizverwaltung hatte sich auch gewei
gert, die Akten herauszugeben.
Man muß auch berücksichtigen und sich überlegen, was
Gewaltspirale heißt. Sie sagen selber, daß durch das System der
Bestrafung und der doppelten Mauern, der menschlichen
Abschirmung und der Stigmatisierung des Täters wir bezie
hungsweise die Gesellschaft dazu beitragen, diese Gewalt
spirale weiter anzuheizen. In diesem Sinne fände ich es gut,
wenn Sie diesem Antrag zustimmen würden. Sie könnten ihm
auch locker zustimmen, weil wir in Berlin sowieso zu viele Haft
plätze haben, das habe ich vorhin schon ausgeführt - wir haben
in Berlin 806 Reserveplätze, wir haben zahlreiche Plätze, die
nicht belegt sind. Es gibt also keinen Grund, diesen Trakt, auch
nicht für den Normalvollzug, umzuwandeln, wie es die SPD vor
geschlagen hat. Wir meinen, daß dieser Hochsicherheitstrakt
endlich abgerissen werden soll. - Danke!
[Beifall bei der AL]
Alterspräsident Poritz: Fürdie CDU-Fraktion spricht nun zu
Ihnen der Abgeordnete Tietze.
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