Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
84. Sitzung vom 10. November 1988
Baetge
auf dem Gewerkschaftstag nur dann mitwählen, wenn ich bei
spielsweise Mitglied der IG Metall bin. Als Mitarbeiter eines
Betriebes kann ich den Betriebsrat nur dann wählen, wenn ich
Angehöriger des Betriebes bin. So einfach sind die Sachen!
[Zurufe der Abgn. Wieland (AL) und Frau Enkemann (AL)]
- Das geht hier in Deutschland! - Und ich sage noch einmal: Es
gibt natürlich auch eine andere Seite. Ich habe in schwedischen
Zeitungen gelesen - dasselbe gilt übrigens auch für die holländi
schen Kolleginnen und Kollegen, die ich kenne -, daß das Inter
esse der Ausländer am kommunalen Wahlrecht leider fast null
ist.
[Wieland (AL): Haha! -
Frau Qelebi-Gottschlich (AL): Kein Argument!]
Sie sind also gar nicht interessiert! Deshalb haben wir hier in
Berlin Zeit, zu hören, wie sich die rechtliche Entwicklung dar
stellt, und dann eine vernünftige und konstruktive Debatte zu füh
ren, aber jetzt hier nicht herumzureden - Verzeihung, Herr Kol
lege Barthel!
[Wieland (AL): Sie haben es doch früher gefordert! -
Beifall bei der F.D.R und der CDU]
Präsident Rebsch: Das Wort hat nunmehr die Frau Kollegin
Qelebi-Gottschlich!
Frau Qelebi-Gottschlich (AL): Ich bin bestürzt und auch
wirklich sehr traurig darüber, daß die Zeitungen überall voll sind
von Nationalsozialismus und über den deutschen Faschismus,
[Vogt (CDU): Nun ist aber Feierabend! -
Franke (CDU): Unverschämtheit!]
was damals gelaufen ist. Und wenn sich Herr Finkelnburg hier
hinstellt und sagt, daß nur Deutsche diese demokratischen
Rechte ausnutzen können, dann ist das eine Beleidigung gegen
über anderen Bürgern, die 13 % der Bevölkerung hier bilden.
[Widerspruch bei der CDU - Unruhe -
Glocke des Präsidenten]
- Sie sollen erst einmal zuhören, das ist doch eine Unver
schämtheit!
[Zurufe von der CDU]
- Und er ist auch noch sauer, daß ich letztes Mal gesagt habe,
ich wäre Türkin. - Herr Finkelnburg, das ist jetzt ganz ernst: Es ist
nicht so, daß man, wenn man einen deutschen Paß bekommt wie
ich, seine Identität vergißt. Das ist nicht der Fall! Und ich denke,
daß man danach mehr Rechte hat, ist klar.
Wir begrüßen auch die Erleichterungen der Einbürgerung.
Aber das sollte man den Menschen selber überlassen; das sollte
man nicht zur Bedingung der demokratischen Mitbestimmung
machen! Das ist falsch!
[Simon (CDU): Doch, ist richtig!]
- Das ist falsch und nicht richtig und gehört nicht zu den demo
kratischen Prinzipien! - Was die Verfassung angeht: Es ist kein
Argument, daß in der Verfassung — wer Volk ist usw., darüber
haben wir auch mehrmals geredet. Wenn das so wichtig ist,
wenn Sie auch den politischen Willen haben, ist die Verfassung
schon 35mal geändert worden - warum denn jetzt nicht? -
Also: Der politische Wille fehlt!
Was das Argument der ausländischen Parteien - was Herr
Finkelnburg gesagt hat - angeht und daß die Ausländer ihre
eigenen Parteien gründen würden: Das ist auch kein Argument!
Ich denke, wenn wir in einem demokratischen Land leben, dann
kann das doch jeder machen I Das sehe ich doch auch I Hier wird
doch auch versucht, verschiedene Parteien zu gründen, wenn
sie über die Fünf-Prozent-Hürde kommen und ins Parlament
gelangen können; warum denn bei den Minderheiten nicht? -
Woher kommen überhaupt diese Ängste? - Herr Barthel hat das
auch gesagt: Eigentlich ist gar kein Grund vorhanden, weil es
eben innerhalb der Minderheiten keine Homogenität gibt. Und
selbst wenn das ginge, eine eigene Partei zu gründen, ent
spräche das dem demokratischen Prinzip, es wäre doch kein (C)
Problem!
[Vetter (CDU): Sagen Sie sich doch lieber erst mal
von der Gewalt los, dann können wir hier
auch über Demokratie reden! - Beifall bei der CDU -
Weitere Zurufe - Glocke des Präsidenten]
- Also, das ist ja hier unmöglich, mit Ihnen kann man ja überhaupt
nicht reden, weil Sie anscheinend gar nicht hören wollen! - Ich
möchte gerne einmal wissen, was Herr Kewenig zu seiner Aus
sage von 1973 jetzt zu sagen hat. Es gibt innerhalb Ihrer Partei
auch Leute, die für das Wahlrecht sind. Wenn Sie nun sagen,
daß die deutsche Bevölkerung das nicht will, dann ist das eine
Beleidigung aller Bürger, auch gegenüber den deutschen Bür
gern.
[Widerspruch bei der CDU und der F.D.P.]
Sie haben scheinbar überhaupt noch nicht mitgekriegt oder wol
len einfach nicht mitkriegen, daß mittlerweile die Gewerkschaf
ten, die Kirchen und alle Gruppen für das Wahlrecht eintreten.
Wenn es eine Volksbefragung jetzt gäbe, wäre mehr als die
Hälfte für das Wahlrecht.
[Frau Schmid-Petry (F.D.P.): Kommunales Wahlrecht!]
- Ja, als erster Schritt das kommunale Wahlrecht! - Wenn es
also eine solche Volksbefragung gäbe, wäre mehr als die Hälfte
der Bevölkerung für das Wahlrecht. Wenn nun ein Teil der
Bevölkerung dieses Wahlrecht nicht haben will, dann liegt das,
Herr Finkelnburg, daran, daß Sie denen in den Mund legen,
daß sie gegen das Wahlrecht sein sollen. So etwas ist gefähr
lich, genauso wie Ihre Begriffe von Asylantenzustrom und schlei
chender Landnahme und weiß ich, was da so alles von den Politi
kern noch gesagt wird, damit die Bevölkerung gegen die Minder
heiten ist.
[Widerspruch bei der CDU]
Ich bitte Sie, sich doch genauso zu äußern wie zu den Aus
siedlern. Wenn Aussiedler hierher kommen, dann appellieren Sie
an die Bürger, denen zu helfen, ihnen Wohnungen zur Verfügung ' '
zu stellen und sie nicht auszugrenzen. Bei uns sagen Sie aber,
die deutsche Bevölkerung sei dagegen, und Sie provozieren
damit geradezu bei bestimmten Teilen der Bevölkerung eine
Hetze gegen Minderheiten bzw. gegen das Wahlrecht. Ich bin
aber davon überzeugt und habe das mittlerweile auch selber
erfahren, daß sehr viele deutsche Bürger begrüßen und unter
stützen, daß die Minderheiten sich hier vertreten lassen.
[Beifall bei der AL]
Präsident Rebsch: Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete
Dr. Wruck.
Dr. Wruck (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Ich glaube, es tut uns ab und zu ganz gut, wenn wir von Berlin
oder Deutschland aus einmal auf andere Länder blicken, die
etwas mehr Erfahrung im Umgang mit Minderheiten haben als
wir möglicherweise. Ich meine zum Beispiel die klassischen Ein
wanderungsländer Vereinigte Staaten von Amerika oder Kanada.
Wie gehen diese eigentlich mit ihren Minderheiten um, und ge
währen diese Staaten dieses Wahlrecht ohne Staatsangehörig
keit? - Bei dieser Betrachtung werden wir feststellen, daß auch
die Minderheitenforschung in den Vereinigten Staaten, auch der
linke Flügel der Demokraten, sich eben gerade nicht für ein
Wahlrecht für ausländische Staatsbürger ausspricht.
[Beifall bei der CDU]
Deswegen würde ich vorsichtig sein mit Vorwürfen gegenüber
denjenigen, die sich hier aus den verschiedenen Gründen nicht
für die Zuerkennung des kommunalen Wahlrechts ausspre
chen, und nicht einfach sagen, es sei eine Beleidigung einer Min
derheit von 13 % in Berlin.
Ich weiß nicht, ob Sie dabei waren, als die stellvertretende
Bürgermeisterin von Los Angeles hier war, die selbst auch mexi
kanische Vorfahren hat, und wir versucht haben, mit ihr dieses
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