Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
84. Sitzung vom 10. November 1988
RBm Diepgen
(A) tig als Wirtschafts- und speziell als Dienstleistungszentrum. Wir
brauchen über den ganzen Tag verteilt Flugverbindungen zu
möglichst vielen Zielorten im In- und Ausland. Wir müssen das
deshalb anstreben, weil wir im europäischen Binnenmarkt der
Zukunft bestehen müssen. Der Luftverkehr läßt sich auch nicht
gegen die Eisenbahn oder gegen die Straße ausspielen - alle
drei Elemente müssen ein Gesamtkonzept bilden. Daran arbei
ten wir mit einem erheblichen Erfolg an Fortschritten: Beim Stra
ßenverkehr mit der Einigung über den neuen Südübergang; bei
der Eisenbahn mit der Aufnahme der Schnellbahnverhandlun
gen. Sie alle wissen, daß wir gemeinsam mit dem Abschluß
dieser Verhandlungen über die Verbesserungen im Eisenbahn
verkehr noch in diesem Jahr rechnen können. Ich sage auch: Die
Strecke nach Hannover steht in der Liste auf der Nummer 1, und
die anderen Verkehrsverbindungen auf der Schiene werden des
wegen nicht etwa einfach in Vergessenheit geraten. Wir müssen
wegen der finanziellen Anforderungen aber Prioritäten setzen.
Wir wissen ganz genau, daß wir durch größere Attraktivität auf
der Schiene, und das wird Mitte der 90er Jahre bei schnellen
Baumaßnahmen so sein,
[Gelächter bei der SPD und der AL]
auch eine Entlastung im Flugverkehr haben können. Das heißt,
wir haben eine Politik, die den Versuch unternimmt, die verschie
denen Elemente des Verkehrs, der Verbesserung der Anbindung
Berlins, zusammenzufassen und in einem Gesamtkonzept für
mehr Bürgerfreundlichkeit und mehr Umweltschutz Sorge zu tra
gen. Berlin kann eine europäische Rolle im Westen und nach
Osten nur wahrnehmen, wenn es durch die Luft, auf der Straße
und auf der Schiene besser erreichbar ist.
[Wohlrabe (CDU): Schiene ist gut!]
Unsere Politik ist in den letzten Jahren darauf ausgerichtet
gewesen, genau dafür die Voraussetzungen zu schaffen. Das ist
erreicht worden, oder wir sind auf einem guten Weg. Dennoch:
, R . Auch der Senat hat Kritik zu üben an den Diskussionen der Ver-
' ' gangenheit, der letzten Wochen. Ich meine dabei nicht primär
die Tatsache, daß sich in der Phase der Einführung von mehr
Wettbewerb in einem bisher monopolisierten Markt einiges erst
einspielen muß. Ich meine auch nicht, daß es aufgeregte, wirt
schaftlich beeinflußte und oft sehr einseitige Stellungnahmen
gibt; das ist normal, das verlangt im Grunde als Antwort nichts
anderes, als ein bißchen mehr Gelassenheit. Es war schwer
erträglich, daß nun erneut die Genehmigung einer Flugplan
periode verzögert wurde. Das darf sich im Interesse Berlins, im
Interesse der Flugpassagiere, im Interesse der wirtschaftlichen
Entwicklung dieser Stadt und auch im Interesse der Alliierten,
darauf ist hierzu Recht hingewiesen worden, nicht wiederholen!
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Jedermann hat Verständnis für die wirtschaftlichen Interessen
der Fluggsellschaften. Aber das Interesse der Schutzmächte als
Wahrer und Förderer des Korridorsystems und damit des ein
zigen freien und unkontrollierten Zugangs von und nach Berlin
muß sich davon unabhängig machen. Die Schutzmächte tragen
eine gemeinsame Verantwortung für den reibungslosen Flugver
kehr in den Korridoren. Diese Verantwortung darf nicht aufge
spalten werden in eine britische, eine französische und eine
amerikanische Einzelverantwortung. Die Form der Genehmi
gungspraxis der letzten Zeit entspricht darüber hinaus nicht der
Form der Zusammenarbeit innerhalb der Schutzmächte, zwi
schen den Schutzmächten und der Bundesregierung oder den
Schutzmächten mit dem Berliner Senat, wie sie sich ansonsten
bewährt hat. Hier reden Partner und Verbündete miteinander
und haben ein Stück gemeinsame Verantwortung wahrzuneh
men. Diese Gemeinsamkeit in der Verantwortung von Verbünde
ten, muß sich auch in der Form der Zusammenarbeit auswirken.
Hier sind neue Formen der Entscheidungsfindung und der
Genehmigungspraxis erforderlich. Und der Senat begrüßt aus
drücklich, daß die Alliierten dieses Problem auch sehen und an
neuen Verfahren arbeiten.
Der Senat verfolgt im Flugverkehr von und nach Berlin inner
halb der bestehenden Korridore unverändert fünf Ziele:
1. Die Luftkorridore selbst müssen unangetastet bleiben. Ihre
Funktion können sie nur erfüllen, wenn sie auch in Zukunft wirt
schaftlich attraktiv genutzt werden. Übrigens ist es absolut ver
kehrt, von einer ruinösen Konkurrenz zu sprechen - angesichts
der bisher gefaßten Beschlüsse. Dabei geht es um einen
begrenzten Handlungsspielraum, der für Unterschiede in der
Preisgestaltung zugunsten der Verbraucher eingeräumt wird.
Das ist genau das, was wir brauchen. Auch weise ich darauf hin,
daß wir angesichts gesamteuropäischer Entwicklungen in Berlin
nicht auf alte Formen zurückgreifen dürfen, was sich geradezu
anachronistisch anhört. Es gibt aber Gruppierungen, die durch
und durch reaktionär sind.
2. Wir treten ein für einen begrenzten, klar umrissenen und
wirksamen Wettbewerb innerhalb eines gegebenen Rahmens
mit guten Verbindungen, angemessenen, das heißt auch zu gün
stigen Flugpreisen, mit Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Bere
chenbarkeit.
3. Wir brauchen zur Regelung des Wettbewerbs ein klares,
frühzeitig wirksames und transparentes Verfahren zur Entschei
dungsfindung, das deutsche Interessen und die gemeinsame
Verantwortung der alliierten Schutzmächte wahrt.
4. Die Fluggesellschaften sind angehalten, modernstes, um
weltfreundliches und damit leises und sauberes Fluggerät nach
Kapitel 3 einzusetzen - was übrigens auch das billigere ist schon
im Benzinverbrauch -, um den besonderen Bedingungen eines
innerstädtischen Flughafens gerecht zu werden. Die entspre
chenden Zusagen der Fluggesellschaften sind einzuhalten. Übri
gens hat PAN AM die Option für modernes Fluggerät nicht auf
gegeben. Umweltschutzgesichtspunkte müssen - etwa in Form
von Auflagen - Teil der alliierten Genehmigungen werden.
5. Die Fluggesellschaften dürfen sich nicht nur die lukrativen
Flugverbindungen rauspicken. Ihre Gewinnmöglichkeiten auf
bestimmten Strecken und vor allem die dem Fluggast gewährten
öffentlichen Mittel müssen sie veranlassen, auch andere
Strecken angemessen zu bedienen. Dazu sind andere, zum Bei
spiel kleinere Flugzeuge, gut geeignet. Auch die Angebotsbreite
muß bei der Genehmigung von Flugplänen berücksichtigt wer
den. Auch in Form der Unterstützung der Fluggäste muß dieser
Aspekt der verschiedenen Zielorte mit beachtet werden.
Alles, was ich bisher gesagt habe, bezieht sich auf das bishe
rige Korridor-System. Davon zu trennen sind die Überlegungen
im Zusammenhang mit der Berlin-Initiative der Schutzmächte
und der Aufnahme innerdeutscher Luftverkehrsverhandlungen.
Hierbei geht es um die langfristige Verbesserung und Normali
sierung des gesamten Luftverkehrs über Deutschland. Entschei
dend ist dabei nicht, ob zuerst zwischen unseren Alliierten und
der Sowjetunion ein Rahmen festgelegt wird, der dann von den
beiden deutschen Staaten auszufüllen sein wird, oder ob man
gleichzeitig parallel deutsch-deutsche Luftverkehrsgespräche
führt. Wichtig ist vielmehr, daß die Interessen aller Beteiligten in
einem umfassenden Konzept von Anfang an berücksichtigt wer
den. Dort, aber auch nur dort, wo die DDR Zuständigkeiten hat,
ist sie selbstverständlich zu beteiligen. Dies entspricht auch den
Zielen der Berlin-Initiative. Der Senat begrüßt ausdrücklich, daß
die alliierten Schutzmächte an ihrer Berlin-Initiative festhalten
und ihre Ziele weiterverfolgen. Ich bin sicher, daß das insbeson
dere auch durch die neue amerikanische Adminstration so ver
folgt werden wird.
[Beifall bei der CDU]
Teile dieser umfassenden Konzeption müssen nach Auffas
sung des Senats sein:
1. ein leistungsfähiger und attraktiver Korridor-Flugverkehr von
und nach Berlin;
2. eine Normalisierung des innerdeutschen Luftverkehrs ein
schließlich von Überfiugrechten unter Einbeziehung Berlins;
3. Überflugrechte und Anflugrechte nach Tegel auch für nicht
alliierte Fluggesellschaften, insbesondere im Nord-, Ost-
und Süd-Verkehr;
4. ein Interessenausgleich zwischen allen Flughäfen im Bal
lungsgebiet Berlin.
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