Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
84. Sitzung vom 10. November 1988
RBm Diepgen
wieder aufgibt und daß es temporäre Erscheinungen einer geisti
gen Verwirrung sind.
[Frau Abg. Vonnekold (AL) meldet sich
zu einer Zwischenfrage.]
Präsident Rebsch: Herr Regierender Bürgermeister!
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Diepgen, Regierender Bürgermeister; Nein! Lassen Sie mich
zu Ende sprechen. - Ich möchte nur einmal darauf hinweisen,
Herr Kollege Momper, was beispielsweise in der Zeitung „Ber
liner Stimme“, aber auch im „Tagesspiegel“ Ende 1987, also
nach dem Anstieg der Flugverbindungen im Rahmen der 750-
Jahr-Feier, zu lesen war. Da hieß es:
Für einen beträchtlichen Ausbau des Berlin-Flugverkehrs
haben sich der SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzende
Momper und der Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete
Stobbe ausgesprochen.
[Hört, hört! bei der CDU]
Im Pressedienst ihrer Partei plädierten sie vor allem für eine
Öffnung der Flughäfen Tegel und Tempelhof für den Ver
kehr.
Im Grunde wollten Sie das Flugkreuz, Ich kann nur sagen, so weit
sind wir nie gegangen, weil das wirklich in dem Sinne nicht geht,
da Berlin einen innerstädtischen Flughafen hat. Aber ich muß die
Frage stellen: Wo wollen Sie hin? Was wurde denn heute
eigentlich vorgeschlagen? Offensichtlich wollen Sprecher im
Berliner Abgeordnetenhaus im Ergebnis höhere Preise für die
Fluggäste, schlechteren Service und weniger Verkehrsanbin
dung. Das sind die Konsequenzen dessen, was vorgetragen
wurde. So geht es nun wirklich nicht. Wenn wir diese Stadt ins
gesamt zu gestalten haben und Verantwortung für alle Berliner
wahrnehmen, für die wirtschaftliche, die kulturelle und die um
weltpolitische Entwicklung dieser Stadt, dann kann man solch
einen Unsinn nicht vortragen.
[Beifall bei der CDU]
Aber kommen wir zur konkreten Sache. Seit gestern ist über
den Winterflugpian 1988/89 entschieden, und damit besteht
jetzt endlich Klarheit für alle Beteiligten - die Fluggäste, die Berli
ner Wirtschaft, die Fluggesellschaften -, für Bundesregierung
und den Berliner Senat. Mit unserer Flugverkehrspolitik von Ber
lin aus wollten wir mehr Wettbewerb, mehr Flugverbindungen,
mehr Umweltschutz und die Möglichkeit für flexiblere Preise. Und
im übrigen wollten wir die Flugverbindungen so, wie sie auf dem
Markt von den Berlinern benötigt werden. Anders als hier vorge
tragen, werden es Ende dieses Jahres im Durchschnitt 230
Starts und Landungen sein. Der Winterflugplan ist für diese
genannten Ziele ein weiterer Erfolg. Dabei müssen wir uns dar
über im klaren sein, daß Luftverkehrspolitik zu den komplizierte
sten Dingen in dieser Stadt gehört und daß gerade hier dicke
Bretter gebohrt werden müssen. Wir müssen sie durchbohren,
um zum Ergebnis zu kommen.
Dabei ist für diesen Winterflugverkehr festzuhalten, daß
bereits seit dem 7. November die neue Fluggesellschaft Euro
berlin France nach Tegel fliegen kann. Dies war das vorge
sehene Datum. Die Beteiligung dieser Fluggesellschaft war
bereits im Juni dieses Jahres im Grundsatz genehmigt worden.
Die Irritationen im Vorfeld über den pünktlichen Flugbeginn
waren, von welcher Seite sie auch kamen, unangemessen, über
flüssig und vor allen Dingen sehr wenig hilfreich. Um so mehr
freuen wir uns über den gelungenen Start, denn nach dem ver
stärkten Engagement amerikanischer und britischer Fluggesell
schaften in diesem Jahr steigt nun auch die französische Seite -
und das war immer ein Ziel von Senatspolitik, nicht erst, seitdem
dieser Senat in der Verantwortung ist - mit einer Kapitalbeteili
gung der Lufthansa neu und verstärkt in den Berlin-Flugverkehr
ein. Euroberlin setzt von Anfang an und ausschließlich Flugzeuge
ein, die den strengsten internationalen Lärmwerten nach Kapitel
3 des Annex 16 des Internationalen Luftverkehrsabkommens
entsprechen. Wir begrüßen also mit Euroberlin eine leise Flug- (C)
gesellschaft.
[Beifall bei der CDU]
Der Start von Euroberlin ist ein Gewinn für die Sicherheit, die
Berechenbarkeit, die Wirtschaftlichkeit und die Wettbewerbs
fähigkeit des Berlin-Flugverkehrs in den Korridoren und ein
Gewinn für den Umweltschutz in dieser Stadt. Die anderen Flug
gesellschaften werden ebenfalls leisere Flugzeuge einsetzen
müssen. Hier haben auch die Berliner selbst die Möglichkeit, zu
mehr Umweltschutz im Flugverkehr beizutragen. Sie können jetzt
mit der Buchung vor dem Hintergrund der Konkurrenz die Flug
gesellschaften wählen, die leise Flugzeuge einsetzen, jedenfalls
dort, wo parallele Flugverbindungen aufgebaut worden sind.
Und das beschleunigt durch die so eintretende Konkurrenz die
Entscheidung der Fluggesellschaften zur Einführung weiterer
leiserer und umweltfreundlicherer Flugzeuge. Wir haben hier
jedenfalls ein Beispiel dafür, daß stärkerer Wettbewerb eine
Dynamik auch in Richtung Umweltschutz auslöst. Das ist das
eigentlich Erfreuliche an der Entscheidung der letzten Tage.
Der Senat hat von Beginn an bei seiner Flugverkehrspolitik
dem Umweltschutz eine zentrale Bedeutung beigemessen. Ich
will den Anwohnern in Reinickendorf und Spandau gern sagen:
Ich weiß, daß es Lärmbelästigungen gibt. Und ich weiß vor allen
Dingen auch, daß dieser Lärm ganz erhebliche Belastungen mit
sich bringt. Ich weiß, daß Lärm subjektiv oft anders empfunden
wird, als er objektiv ist. Mehr Flugbewegungen machen subjektiv
auch mehr Lärm.
[Wieland (AL); Auch objektiv!]
Das ist eine Erfahrungstatsache. Ich bitte aber zu berücksichti
gen, daß objektiv die Dinge trotz erhöhter Flugbewegung manch
mal anders aussehen. Genau darauf müssen wir unsere Politik
auch ausrichten. Wenn beispielsweise alles so geblieben wäre,
wie es war, dann gäbe es heute nicht weniger, sondern mehr
Fluglärm - erheblich mehr Fluglärm! 1983 entsprachen etwa nur
54 % der Flugbewegungen im Berlin-Flugverkehr den internatio-
nalen Lärmgrenzwerten. 1987 lag dieser Wert bereits bei 82 °/o. ' '
Die neuen Flugzeuge, die den strengsten Anforderungen ent
sprechen, sind um die Hälfte leiser als andere Flugzeuge. Hier
zeigt sich, in weiche Richtung wir uns bewegen müssen, damit
wir den Menschen in Reinickendorf, in Spandau, die besonders
betroffen sind - aber nicht nur in diesen beiden Bezirken, ich
denke beispielsweise auch an die Pankower -, damit wir diesen
Menschen wirklich helfen.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Trotz des Anstiegs der Verkehrszahlen ist jedenfalls objektiv -
ich weiß, das hilft in der subjektiven Betrachtungsweise nicht
immer weiter - nach den Meßdaten keine Steigerung des Flug
lärms eingetreten. Während im übrigen Bundesgebiet nur die
Wohnungen der kleineren Schutzzone I mit Schallschutzeinrich
tungen versehen worden sind, ist in Berlin von Anfang an auch
die größere Schutzzone II berücksichtigt worden. Das bedeutet,
daß wir hier erhebliche, und zwar zusätzliche Anstrengungen
unternommen haben, und wir werden sie auch weiter unterneh
men.
Ich möchte noch ein Wort zu den Immissionen sagen, zu den
Luftverunreinigungen durch den Luftverkehr: Messungen der
Luftverschmutzung in Großstädten und an Flughäfen haben
stets zu dem Ergebnis geführt, daß die Luft im Flughafenbereich
weit weniger Schadstoffe aufweist als in der Innenstadt. Man
kann davon ausgehen, daß weniger als ein Prozent des Schad
stoffausstoßes, der von Verkehrsmitteln verursacht wird, auf den
Luftverkehr entfällt. Gerade wer am Umweltschutz im Zusam
menhang mit Luftverkehr interessiert ist und wer sachkundig dis
kutiert, der muß die neuen Entwicklungen im Berlin-Flugverkehr
in ihrer Grundtendenz begrüßen, der muß weiter konsequent
daran arbeiten, daß durch mehr Konkurrenz mehr Einflußmög
lichkeiten auf mehr Umweltschutz und weniger Lärmbelastung in
Berlin eintritt.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Ein moderner, ein umweltfreundlicher, ein leistungsfähiger
Flugverkehr ist für Berlin wichtig. Und er ist für diese Stadt wich-
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