Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
68. Sitzung vom 21. Januar 1988
Dr. Lange
(A) sam diese Position unterstützen, denn sie liegt auf der Linie, die
mit unserer heutigen Beschlußempfehlung deutlich wird.
Die heutige Entscheidung des Abgeordnetenhauses ist ein
Beitrag in der solidarischen Gemeinschaft mit anderen Bundes
ländern, zu einem sicher sehr sensiblen und schwierigen Thema
eine Entscheidung zu fällen, die von Humanität und von dem
Willen getragen ist, die Durchsetzung der Menschenrechte auch
bei Regimen zu erreichen, die die Menschenrechte mit Füßen
treten, ist. In diesem Sinne und unter diesem Motto wird die
F.D.P.-Fraktion wie angekündigt dieser Beschlußempfehlung
zustimmen. - Vielen Dank!
Stellv. Präsident Longolius: Jetzt hat Kollege Wieland das
Wort.
Wieland (AL): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die
Alternative Liste wird dieser Beschlußempfehlung auch zustim
men, obwohl es nicht mehr der Text unseres Antrages ist,
obwohl wir uns einen deutlicheren Text gewünscht hätten. Hier
heißt es zum Schluß „erforderlichenfalls“, gedacht für den Fall,
daß, wenn es gar nicht mehr anders geht, auch das Land Berlin
die Chilenen aufnehmen wird. Da wäre ein bißchen mehr Vorpre
schen, ein bißchen mehr Bereitschaft gerade des Landes Berlin,
vor allem im Jahr der 750-Jahr-Feier - die ist ja nun gerade letz
tes Jahr gewesen - wünschenswert erschienen. Dies ist nicht
geschehen, aber, wie gesagt, für uns zählte von Anfang an das
Ergebnis; wir haben gesagt, es gehe darum, 14 Menschenleben
zu retten, es gehe uns nicht um Polarisierung, es gehe uns nicht
um parteipolitische Profilierung, wir wollen, daß diese Todes
urteile nicht vollstreckt werden.
Nun meinen Sie, Herr Lange, meine Skepsis müsse gründlich
ausgeräumt worden sein durch diesen Beschluß. Das wäre mög
licherweise auch so, wenn der Weg zu diesem Ergebnis nicht so
fürchterlich beschwerlich gewesen wäre. Sie wissen das genau
sogut wie ich, weil Sie dankenswerterweise, das sage ich aus-
(B) drücklich, mit diesem Antrag durch drei Ausschüsse gegangen
sind, durch den Ausländerausschuß, durch den Innenausschuß
und durch den Rechtsausschuß, und genau wissen, wie
beschwerlich es war, die sich selbst so apostrophierende libe
rale Großstadtpartei CDU dazu zu bewegen, einen solchen An
trag dann schließlich doch zu unterstützen.
[Dr. Wruck (CDU): Na, nal]
Im Ausländerausschuß war es noch relativ einfach, Kollege
Wruck, unter anderem auch deswegen, weil Sie sich als Vorsit
zender vorbehaltlos für diesen Antrag aufgeschlossen gezeigt
hatten und sich auch in Person, ähnlich wie Herr Dr, Lange, um
diese Frage bemüht hatten; und der Rest der Fraktion enthielt
sich.
Im Innenausschuß war es dann schon erheblich schwieriger.
Dort wäre der Antrag glatt abgelehnt worden, wenn nicht die
Kollegin Saß-Viehweger sich als einzige enthalten hätte, wäh
rend der Rest der CDU-Fraktion dagegen stimmte und in einer
bemerkenswerten Debatte im Innenausschuß der Ansicht war,
aus einem Gesamtbegriff des Terrorismus heraus müsse man
einer Asylgewährung für die 14 Chilenen entgegentreten.
Der Rechtsausschuß nun wollte zu gar keinem Ergebnis kom
men. Es war erst unter dem Druck einer Sondersitzung im
Dezember dann möglich, diese Kompromißformulierung zu
schaffen.
Wir meinen, bei dieser humanitären Selbstverständlichkeit, um
die es eigentlich nur geht, daß wir hier aufgrund unserer Ver
pflichtung der Vergangenheit gegenüber, aufgrund unserer Ver
pflichtungen aus den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus -
darüber wurde hier ja heute auch ausführlich diskutiert - eigent
lich ohne Wenn und Aber sofort bereit sein müßten, einen
solchen Schritt zu tun und politische Gefangene vor der Todes
strafe zu retten. Das Selbstverständliche war dann eben doch
erst nach vier Monaten selbstverständlich. Wie gesagt, wir wol
len nicht mit dem Weg hadern, wo doch das Ergebnis schließlich
und endlich auch für uns befriedigend ist.
[Beifall bei der AL]
Stellv. Präsident Longolius: Jetzt hat der Kollege Tietze
das Wort, und ich möchte noch einmal um etwas mehr Ruhe
bitten.
Tietze (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren I Bei
Appellen dieser Art, die ja auch immer mit einem hohen An
spruch auf moralischen Wert befrachtet sind, tut man gut, sich
an der wirklichen Interessenlage derer zu orientieren, denen
dieser Appell gilt. Nun ist diese Interessenlage bei den 14 Chi
lenen drastisch einfach: Sie stehen in ihrer Heimat vor Gericht,
man wirft ihnen schwere Kriminalität vor und sie sind dadurch
offensichtlich vom Tode zumindest bedroht. - Ob diese Vor
würfe zutreffen oder nicht, können wir nicht prüfen. Wir haben
dazu nicht das nötige Instrument. Aber wir wissen eines, und das
ist nun für uns entscheidend, wir wissen nämlich, daß in Chile
gefoltert wird. Und da, wo gefoltert wird, herrschen keine rechts
staatlichen Verhältnisse. Auch eine Justiz, die dagegen nicht an
geht, und Chiles Richter tun das nicht, die kann für sich nicht in
Anspruch nehmen, daß sie rechtsstaatlichen Prinzipien genügt.
Das hat für uns zweierlei zur Folge: Erstens, wir müssen davon
ausgehen, daß die Unschuldsvermutung über eine etwaige Ver
urteilung hinweg andauert; man kann eine Klärung nur in einem
rechtsstaatlich geführten Verfahren erwarten. Das ist hier nicht
gewährleistet. Zweitens: Daraus folgt ferner, daß wir diesen Leu
ten helfen müssen - und zwar helfen müssen, das ist das ent
scheidende, aus Chile hinauszukommen. Das ist der Schwer
punkt. Es ist für die Leute völlig uninteressant, was ihnen ge
schieht, wenn sie hier sind. Wenn sie in Frankfurt am Main an
den Flugschaitern stehen, dann werden sie natürlich hier herein
kommen; das Wort „Asyl“ garantiert ihnen das - nicht mehr und
nicht weniger, das muß man zumindest einmal zur Kenntnis neh
men. Aus diesem Grunde waren wir der Meinung, daß wir, so wie
der Bundestag, an die Bundesregierung appellieren sollten, daß
den Leuten diese Hilfe zuteil wird.
Ich lasse einmal dahingestellt, ob dies auch erforderlich ist
und ob dies auch unbedingt immer sinnvoll ist. Diese Frage darf
auch besprochen werden. Für die Erforderlichkeit habe ich des
halb Zweifel, weil ich der Meinung bin, eine deutsche Bundes
regierung wird, welcher Couleur auch immer, sich in dieser Hin
sicht immer bemühen. Und bei einem Regime des Kalibers von
Chile bin ich mir nicht sicher, ob solche Appelle tatsächlich auch
immer in dem Sinne wirken, wie wir es uns vorgesteilt haben. Aus
diesem Grunde ist es schon sehr gut und sehr wohl überlegt,
wenn man zögert.
Ich will noch etwas ausführen, will damit aber keine Gegen
sätze aufreißen, denn in der Tat ist es so, diese Gemeinsamkeit
steht im Vordergrund, und sie soll nicht zerredet werden. Aber es
ist wirklich die Frage, ob man unter dem Gesichtspunkt der Ge
waltenteilung ständig vom Parlament Akte ausüben kann, die gar
nicht uns, sondern im Grunde der Verwaltung zustehen. Das ist
ausdrückliches Verwaltungsverfahren, was hier praktiziert wird,
auch wenn wir es im Wege eines Appells erreichen wollen. Ich
halte das für bedenklich. Sie mögen mir das als Formalität ent
gegenhalten; aber stellen Sie sich doch einmal vor: Es sind ja
nicht nur die 14 - es waren ja einmal 12 -, die so verfolgt wer
den. Es gibt von diesen Hunderte und Tausende. Wenn Sie
unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung verfahren woll
ten, dann müßten Sie in allen diesen Fällen diese Appelle aus
sprechen und müßten damit im Grunde genommen die Verwal
tung iahmlegen.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Es ist ein sehr gefährlicher Zug, auf den wir springen, und ich
halte es für fahrlässig, wenn man der Versuchung nicht wider
steht, die politisch natürlich darin liegt, daß man sich hier enga
gieren kann. Deshalb soll man bei solchen Appellen auch immer
die Frage stellen, wem nützt das eigentlich - dem, für den man
appelliert, oder denen, die appellieren, weil sie vielleicht politisch
agieren wollen. Wir lassen das dahingestellt. Wir haben uns zu
einer gemeinsamen Meinung durchgerungen, das stehen wir
durch, und wir hoffen, daß das, was wir hier beschließen, auch
denen zunutze kommen wird, um die es hier geht. - Danke sehr!
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
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