Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
81. Sitzung vom 22. September 1988
(A) Kapek (AL): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Kollege Rasch, ich kann ja Ihre Verärgerung darüber verstehen,
daß Sie nicht informiert worden sind; Das wirft doch wirklich ein
bezeichnendes Licht auf den Zustand Ihrer Koalition, weil doch
die F.D.P. nun wirklich schon seit Monaten in dieser Frage abge
taucht ist. Nun meldet sie sich aber auf einmal wieder zu Wort.
Der Kollege Fabig hat vorhin etwas ganz Kluges gesagt. Er
sagte, daß diese Aktuelle Stunde den Titel haben müßte: „Rück
schläge und Widersprüche in der deutsch-deutschen Politik“.
Dann hat er allerdings wieder ganz allgemein geredet, hat an
dieser Frage überhaupt nicht weiter gearbeitet, weil er, wenn er
das gemacht hätte, auch dem Regierenden Bür germeister hätte
in die Parade fahren müssen; denn so viel Gutes kann uns der
Regierende Bürgermeister hier nicht bieten.
Sicherlich haben wir Verbesserungen im deutsch-deutschen
Verhältnis erreicht, zum Beispiel im menschlichen Bereich. Aber
alles, womit sich der Regierende Bürgermeister hier gebrüstet
hat - die Verträge um die sogenanten Großprojekte -, macht
doch gar nicht viel her. Hätte nämlich der Regierende Bürger
meister einmal vernünftig verhandelt - und zwar verhandelt aus
der Sichtweise der Berliner, der West-Berliner, und der Bundes
republik und auch aus der Sichtweise der Bürgerinnen und Bür
ger in der DDR, die sich nicht so artikulieren können bei be
stimmten Großprojekten gegenüber ihrer Regierung, so wie wir
das hier tun können -, dann hätte er bestimmt nicht diese Ver
träge abgeschlossen. Ich fand es schon lächerlich, daß er ge
sagt hat: Wir müssen in Zukunft etwas für den Erhalt des deut
schen Waldes tun. - Wenn er das sagt, dann frage ich mich na
türlich, weshalb er dem Vertrag über den Stromverbund zuge
stimmt hat.
[Unruhe bei der CDU]
Das hat er natürlich deshalb getan, weil mit diesem Vertrag
Buschhaus am Netz gehalten wird, Buschhaus, die größte
Dreckschleuder in der Bundesrepublik, Buschhaus, das die
DDR weiter belasten wird.
(B)
[Adler (CDU): Stimmt doch gar nicht!]
- Natürlich, wir wissen alle, daß Buschhaus weiter Strom in das
Verbundnetz liefern wird, deshalb steht es ja da. Natürlich wer
den auch die Atomkraftwerke am Netz bleiben, und sofern die
einmal eine Havarie haben - wir wünschen, daß das nicht pas
siert -, dann werden die Menschen in Ost und West davon glei
chermaßen betroffen sein. Das ist keine integere Umwelt- und
Vertragspoiitik, und das bedeutet auch nicht, den Interessen
ausgleich mit der anderen Seite zu finden.
Ähnliches beim Müllvertrag; Da wird nach dem Motto verhan
delt, daß wir den Brüdern und Schwestern in der DDR ein biß
chen von unserem Wohlstand geben. Wir geben ihnen unseren
Müll, anstatt hier die Probleme zu lösen, die mit Müllvermeidung,
mit Sondermüllvermeidung anstehen. Letztendlich aber werden
wir den Dreck über die Sondermüllverbrennungsanlage - über
den Lufteintrag - oder irgendwann einmal in nicht allzu ferner
Zeit über das Wasser zurückbekommen.
Der neueste Vertrag ist nun wirklich das Schärfste, was sich
unser Regierender Bürgermeister in seiner rund sechsjährigen
Regierungszeit erlaubt hat. Kollege Staffelt hat schon einiges an
Kritik darüber geäußert, wie die Bürgerinnen und Bürger über
gangen werden. Man muß aber, meine ich, da viel weiter gehen,
man muß nämlich einmal die Chronologie der Diskussion um die
Marienfelder Feldmark aufzählen. Da wurde während der Diskus
sion des Flächennutzungsplans vom Bezirk gesagt, daß er die
Felder nicht aufgeben wolle. Da sagte der Bezirksbürgermeister
von Tempelhof; Nur über meine Leiche! - Nun, irgendjemand
sollte nun diese Leiche hereintragen, weil ja nun diese Felder
weg sind.
[Rösler (CDU): Die sind doch nicht weg!]
Da sagte Dr. Franz gegenüber der Bürgerinitiative: Ich ver
spreche Ihnen, daß ich alles dafür tun werde, daß diese Felder
erhalten bleiben.
[Dr. Staffelt (SPD); Die haben ja schon so viel
versprochen!]
Da beschloß das Abgeordnetenhaus in der Drucksache 10/2117 (C)
über den Flächennutzungsplan, daß der Senat beauftragt werde,
diese Felder zu erhalten. Und kurz vor diesem Beschluß, nämlich
am 25. 4.1988, schrieb der Regierende Bürgermeister an den
Kollegen Franz, der dieses Schreiben wieder den Betroffenen
vor Ort aushändigte - ich zitiere -:
Bei den Überlegungen unserer Seite zur Schaffung eines
neuen Transitübergangs im Süden der Stadt hat sich als
günstigster Standort der Bereich Marienfelder Allee,
Schichauweg herausgestellt. Im Interesse eines möglichst
geringen Eingriffs in Natur und Landschaft bietet sich dabei
der Bau eines neuen Übergangs im Verlauf der Marienfelder
Allee an.
Am 25.4.1988 also verspricht der Regierende Bürgermei
ster, daß die Felder unangetastet bleiben. Heute bricht er sein
Wort! Dieser Wortbruch bedeutet natürlich auch, daß keine an
dere Fläche, die in der Stufe 3 ist oder zu der das Abgeordneten
haus den Auftrag gegeben hat, sie zu erhalten, bei dieser Politik
sicher sein kann, erhalten zu bleiben. Nach dem Motto „Was
schert uns unser Geschwätz von gestern ?“ werden bei einer auf
Effekte ausgelegten Vertragspolitik die Stadtökologie, der Natur
schutz zerstört.
[Beifall bei der AL]
Heute entblödet sich der Regierende Bürgermeister nicht zu
sagen, daß der Standort Schichauweg die geringstmöglichen
Eingriffe in die Natur bedeutet. Also, was ist Natur, und was ist
der berühmte Ausgleich mit der Natur, den uns eben hier der nun
nicht mehr anwesende Regierende Bürgermeister vorgetragen
hat? Den Ausgleich mit der Natur soll er uns einmal erklären;
Ausgleich mit der Natur bedeutet wahrscheinlich für ihn: Wir
transportieren die innerstädtischen Probleme in die DDR,
unseren Dreck in die DDR, und wir hier in Berlin haben Schein
lösungen gefunden.
Natürlich bedarf es Lösungen im Südbereich: die Belastun
gen der Menschen in Lichterfelde und überall im südlichen Be- (D)
reich, da, wo sich der Verkehr nach Dreilinden durchquält, sind
groß. Aber es ist nicht die Frage eines neuen Transitüberganges,
die dort zur Lösung beiträgt, sondern es ist das, wo sich eigent
lich die Bundesregierung selbst ernst nehmen sollte. Nach dem
Vertrag über die Sanierung der Autobahn südlich des Hermsdor-
fer Kreuzes wurde von Herrn Schäuble gesagt: Nun ist Schluß
mit dem Autobahnausbau, nun ist die Schiene dran! Ich frage wo
ist denn heute die Schiene nun dran? Ca. 300 Millionen DM wer
den in den neuen Grenzübergang investiert, 300 Millionen DM
dafür, daß die Strecke in den Süden der Bundesrepublik unge
fähr um 10 bis 15 km kürzer wird; die Fahrzeitverkürzung wird
ungefähr sechs Minuten ausmachen, wenn man einmal die
Wartezeiten nicht berücksichtigt. Dafür wird mit hektischen Ver
handlungen aus wahlkampftaktischen Gründen die Marienfelder
Feldmark geopfert.
Wir wollen, daß der Verkehr auf die rollende Landstraße
kommt; wir wollen, daß der Güterverkehr ausgebaut wird, dann
werden diese innerstädtischen Probleme gelöst.
Wir wollen aber auch, daß Löcher in der Mauer geschaffen
werden. Diese Löcher sollen aber für den kleinen Grenzverkehr
zur Verfügung stehen - nach Möglichkeit in beiden Richtungen -,
daß dieser kleine Grenzverkehr nämlich das bringt, was Sie im
mer fordern: mehr für die Menschen. Es bringt nichts für die
Menschen in der DDR, wenn sie die westlichen Daimler vorbei
rauschen sehen, die sowieso in die Bundesrepublik fahren.
Die Verträge, die der Senat schließt - Herr Pieroth hat mir das
ja vorhin bestätigt -, werden immer bis ins kleinste Detail mit den
Stellen in der DDR ausgehandelt. Was hier auf West-Berliner
Gebiet oder in der Bundesrepublik passiert, darüber wird keines
wegs verhandelt, das erfahren wir dann irgendwann, wenn der
Vertrag schon abgeschlossen ist. Dann ist natürlich der Protest
groß, und natürlich ist der Widerstand groß. Ich erinnere nur an
den Süd-Güterbahnhof, ich erinnere an die Verzögerungen bei
dem Transitübergang Heiligensee. Ähnliche Verzögerungen wer
den Sie bei Ihren tatsächlich nicht die Interessen und vor allen
Dingen die Gesetze West-Berlins einhaltenden Projekten haben.
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