Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
80. Sitzung vom 8. September 1988
Dr. Gerl
(A) Die Mehrheit operiert hier bedenkenlos und eiskalt berech
nend nach dem Motto; Bloß nicht vor den Wahlen noch
irgendeinen Skandal hochkommen lassen, bloß nicht vor den
Wahlen noch eine Untersuchung dubioser, möglicherweise
illegaler Praktiken einer Behörde!
[Buwitt (CDU); Das ist allein in Ihrer Zeit passiert!]
Wie schlimm muß das wohl sein, was die Koalition zu
vertuschen versucht,
[Schicks (CDU): Was in Ihrer Zeit passiert ist! -
Weitere Zurufe von der CDU]
wenn sie zur Vereitelung der Untersuchung ganz offen das
Mittel der Manipulation, der Antragsverschleppung ergreift
und ihre Mehrheit dazu mißbraucht. Wir bestehen auf soforti
ge Einsetzung des Untersuchungsausschusses und behalten
uns vor, unsererseits mit allen politischen Mitteln gegen
dieses verfassungswidrige Verhalten Front zu machen.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Stellv. Präsidentin Wiechatzek; Bevor Frau Kollegin Saß-
Viehweger das Wort erteilt bekommt, darf ich Ihnen, Herr Dr.
Gerl, sagen, daß es sich um eine Empfehlung des Ältestenrats
handelt, eine Rücküberweisung vorzunehmen. Sie haben in
den Raum gestellt, ob eventuell ein Antrag gestellt wird. Ich
werde nachher über eine Empfehlung des Ältestenrats ab
stimmen lassen. — Bitte schön, Frau Kollegin!
Frau Saß-Viehweger (CDU): Frau Präsidentin! Meine Damen
und Herren! Namens meiner Fraktion stelle ich den Antrag, die
(g) hier vorliegenden Anträge zu a) und b) in den Rechtsausschuß
zurückzuüberweisen, um dem Rechtsausschuß Gelegenheit
zu geben, sich mit der Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit
dieser Anträge auseinanderzusetzen.
Es handelt sich hierbei nicht darum - wie Herr Dr. Gerl dies
soeben ausgeführt hat -, „bedenkenlos und eiskalt“ vorzuge
hen, das Recht der Minderheit zu mißbrauchen oder gar einen
Skandal zu verhindern. Letzteres - das kann man leicht
vorweg sagen - wäre ohnehin für die Mehrheit dieses
Hauses von geringstem Interesse, weil das Wesentliche, das
hier abgefragt wird, sich gar nicht in der Regierungszeit dieser
Mehrheit abgespielt hat. Das ist auch nicht unser Motiv. Uns
geht es darum, daß ein solcher wirklich problematischer
Untersuchungsausschuß nur dann eingesetzt wird, wenn auch
die rechtlichen und gesetzlichen Möglichkeiten dies ergeben.
Daß der Rechtsausschuß anders votiert hat, ist, wie Ihnen
genau bekannt ist, das Ergebnis einer Zufallsstimmengleich
heit. Wir haben in diesem Haus in der Vergangenheit Vorgän
ge gehabt, bei denen ebenso verfahren worden ist und es
seitens der SPD-Fraktion keine Beanstandung gegeben hat.
Ich denke zum Beispiel an die grundständigen Gymnasien, die
der Schulausschuß beschlossen hatte und die im Plenum
korrigiert wurden, nur weil in der seinerzeitigen Sitzung
jemand gefehlt hat. Das heißt: Es handelt sich hier nicht
darum, Minderheitenrechte nicht durchzusetzen, sondern
darum, wirklich ernsthafte Bedenken zur Geltung zu bringen.
Im übrigen: Sie haben im Zuge der Ausschußberatungen
nach der Beratung im Innenausschuß eine Neufassung Ihres
Antrages — des SPD-Antrages — vorgelegt, die auf den
Beratungen des Innenausschusses beruhte. Über diese Neu
fassung haben wir im Rechtsausschuß gesprochen. Sie haben
heute einen Ersetzungsantrag vorgelegt. Dieser entspricht
nicht völlig der seinerzeit gefundenen Neufassung.
[Pätzold (SPD); Er ist in Ihrem Sinn gefertigt
worden!]
Insbesondere haben wir seinerzeit gesagt, daß wir es nicht für
richtig hielten, schon im Untersuchungsauttrag Wertungen
vorzunehmen. So stand seinerzeit in Ihrem Antrag „Fehlent
wicklungen aufzuklären“. In der Neufassung, die wir im
Ausschuß beraten haben, hieß es: „mögliche Fehlentwicklun
gen“. Wenn Sie sich Ihren heute vorgelegten Antrag ansehen,
fehlt das Wort „mögliche“; das heißt, wir sind wieder bei dem
Zustand, der eigentlich in den Beratungen schon korrigiert
war. Wir sind wiederum bei einer anderen Fassung, das heißt,
diese Fassung muß man überprüfen können.
Lassen Sie mich einige Grundsätze darüber sagen, weshalb
wir dieses Vorgehen für problematisch halten. Ein Untersu
chungsausschuß soll nach § 1 des Untersuchungsausschuß
gesetzes Tatbestände aufklären. Das heißt, es ist unzulässig,
den Ausschuß mit einer politischen Wertung oder der Klärung
einer Rechtsfrage zu beauftragen
[Unruhe - Glocke des Präsidenten]
oder bereits im Auftrag das Ergebnis als feststehend anzuse
hen und bereits Wertungen vorzunehmen. Der Auftrag muß
den Gegenstand genau beschreiben. Er darf also keine
allgemeinen Formulierungen haben — „unmittelbar oder
mittelbar“ —, „welche Unterlagen es gibt“; er darf nicht
einzelne Verwaltungsentscheidungen oder administrativen
Maßnahmen kontrollieren, sondern es ist die politische Kon
trolle gefragt, und es muß sich um bereits abgeschlossene
Vorgänge handeln. Gegen alle diese Grundsätze, die wohl
ganz unumstritten sein dürften, verstößt sowohl der Antrag
der SPD als auch der Antrag der AL.
Ich weise nur auf einige Punkte in der vorgelegten, jetzt
neuen Fassung hin. Da heißt es, daß der Untersuchungsaus
schuß die öffentlich bekanntgewordenen Fehlentwicklungen
aufklären und Verdachtsmomenten nachgehen soll. Schon
dies sind Wertungen. Dann wird danach gefragt, in welchem
Umfang Telefone überwacht wurden. Dies ist, wie Sie alle
wissen, eine Zuständigkeit der Alliierten. Ich halte es für sehr
zweifelhaft, ob sich ein Ausschuß dieses Parlaments über
haupt damit befassen darf.
[Fortgesetzte Unruhe]
Stellv. Präsidentin Wiechatzek: Frau Kollegin, einen Mo
ment bitte! — Meine Damen und Herren, wenn schon Privatge
spräche geführt werden müssen, dann bitte ich, sie draußen
zu führen, damit sich die Kollegin hier das nötige Gehör
verschaffen kann. — Bitte sehr!
Frau Saß-Viehweger (CDU): Vielen Dank, Frau Präsidentin!
Ich habe den Eindruck, daß es offensichtlich der antragstellen
den Fraktion gar nicht darauf ankommt, sich mit Gegenargu
menten auseinanderzusetzen, denn sonst würde sie ihnen
vielleicht auch zuhören.
[Wagner, Jürgen (SPD): Es gibt ja keine!]
Es heißt in ihrem Punkt 1 a: „abredewidrig“. Dieses ist eine
Wertung. Sie behaupten eine Abrede und daß gegen sie
verstoßen worden sei; das ist die Vorwegnahme eines Ergeb
nisses. Sie sagen: „umfängliche Ausarbeitung“. Dies ist eine
Wertung. Sie haben in ihrem jetzigen Antrag eine ganze Reihe
von Änderungen; wenn ich mal davon absehe, daß zwischen
demjenigen oder derjenigen, der den ersten Antrag auf der
Maschine geschrieben hat, und dem, der den zweiten ge
schrieben hat, gewisse Unterschiede in der Auffassung über
Rechtschreibung und Interpunktion bestehen — das will ich
hier nicht vertiefen —, haben Sie doch eine ganze Reihe von
Änderungen vorgenommen. Es ist die Rede davon, daß der
veröffentlichte Parteienbericht manipuliert wurde. Es ist die
Rede davon, wie die Neuorganisation des Landesamtes für
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