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Volume Nr. 80, 8. September 1988

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1988, 10. Wahlperiode, Band V, 68.-81. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
80. Sitzung vom 8. September 1988 
Hoffmann 
(A) schon gesagt haben. Ich bin überzeugt, daß dies Ausdruck 
einer Politik ist, hinter der wir alle stehen können. Der 
Entschließungsantrag zeigt ja auch, daß von der SPD über die 
CDU bis hin zur F.D.P. alle hinter einer solchen Politik stehen 
— auch wenn Herr Lorenz jetzt in seinem Beitrag andere 
Aspekte beleuchtet hat, die man sehr kritisch sehen muß. Aber 
es geht hierin dem genannten Punkt nicht um Entwicklungspo 
litik, sondern um unsere Stadtpolitik, die wir natürlich in 
diesem Zusammenhang auch sehen müssen. 
Zu Herrn Seiler: Wenn Sie hier kritisieren, daß Selbstkritik 
und Nachdenklichkeit verdächtig sind, dann weiß ich nicht, wo 
ich mich hier eigentlich befinde. Ich habe bisher gedacht: 
Wenn jemand zur Selbstkritik fähig ist und eben auch einmal 
nachdenkt und dadurch zu neuen Erkenntnissen kommt, daß 
das von Lernfähigkeit zeugt. Meine Damen und Herren von der 
AL, wenn Sie diese Lernfähigkeit nicht besitzen, dann sind Sie 
wahrscheinlich fehl am Platze. Wir meinen jedoch, daß wir 
durch Nachdenken und Weiterentwickeln diese weltpoliti 
schen Prozesse in den Griff bekommen können. Nur durch 
Protest und Ablehnen alles neu Angedachten bewegt sich 
nichts. Gar nichts, Herr Seiler! 
Von einer Defensive kann überhaupt keine Rede sein. Was 
sie hier heute gehört haben in den verschiedenen Beiträgen 
der Kollegen, die diese Aspekte der Weltentwicklung beleuch 
tet haben: das war kein defensives Verhalten. Das war 
basierend auf Realitäten eine Fortentwicklung zu sehen, die, 
wenn wir sie konsequent weiter vorantreiben, tatsächlich die 
Probleme der Entwicklungspolitik und damit auch unsere 
eigenen - wenn ich an die Umweltpolitik denke — einer 
Lösung näher bringen. Sicherlich wird die Lösung nicht sofort 
gefunden, aber auch Sie von der AL haben kein Rezept für 
eine sofortige Lösung. 
Daß sie sagen, hier finde kein Kongreß zur Verwaltung der 
^ Armut statt, und erklären, das sei Zynismus, dann sage ich 
Ihnen, daß es hier um die Überwindung der Armut geht und 
nicht um eine Verwaltung der Armut. Das ist ein Ziel dieses 
Kongresses; anderes können doch 151 Länder der UNO nicht 
wollen, wenn sie zu einem solchen Kongreß kommen. Diese 
Länder wollen — und wir müssen sie gezielt dabei unterstüt 
zen — Armut überwinden und sie nicht verwalten. 
Entscheidend für uns ist, was in der Entschließung steht und 
was wir wollen, entscheidend ist nicht, was — wie Sie es 
interpretieren, Herr Seiler — nicht in ihr stehen würde. Ich bin 
der Überzeugung, daß die Ansätze, wie sie in der Entschlie 
ßung der drei Parteien nachlesbar sind, richtig sind, und ich 
verstehe es nicht, daß Sie als AL diesen richtigen Weg nicht 
mitgehen und vielleicht noch anreichern. Diesen Entschlie 
ßungsantrag von vornherein abzulehnen, das kann ich wirk 
lich nicht verstehen. 
[Kapek (AL): Warum unterstützen Sie nicht 
unseren?] 
— Weil Ihr Entschließungsantrag nicht richtig ist, weil er schon 
den Kongreß ablehnt, der ja ein Diskussionsforum ist, auf dem 
diskutiert und weiterentwickelt werden kann. Sie wollen keine 
Diskussion. Das zeigt Ihr Entschließungsantrag, und deshalb 
kann er nicht unterstützt werden. Wo kämen wir denn dahin? 
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU] 
Wir sehen die Probleme der Weltwirtschaft, wir sehen auch 
Lösungen, und wir gehen sie konsequent an, und zwar über 
die ganze Breite der drei Parteien, die diesen Entschließungs 
antrag hier eingebracht haben. 
Die AL sieht sicherlich auch manche Probleme. Das gebe 
ich zu. Aber sie bietet im Moment nur Demonstrationen und 
Proteste dagegen an, aber keinerlei Lösungen, Das aber 
reicht nicht aus, das ist keine Zukunftsgestaltung, meine 
Damen und Herren von der AL. Sie gestalten sie nicht, Sie 
protestieren; natürlich ist der Protest ab und zu Auslöser eines 
neuen Gedankens. Aber wenn man dabei stehenbleibt, dann 
ist das schlimmer als konservative Politik. Das ist eine Politik 
nach rückwärts, die die AL macht. 
[Eggert (AL): Neo-Liberalismus machen Siel] 
— Neo-Liberalismus, darüber müßten wir ein anderes Mal 
reden. 
[Seiler (AL): Nur zu!] 
Hier und heute geht es darum, daß wir in Berlin dafür sorgen 
und auf dem Kongreß ermöglichen müssen, daß eine kritische 
Diskussion stattfindet, um eben weiterzukommen. 
Herr Momper sagte, daß Gewalt kein Mittel der Auseinan 
dersetzung sein kann. Auch wir lehnen die Gewalt als Mittel 
der Auseinandersetzung entschieden ab. Alles, was dazu 
führt — sowohl in den Entwicklungsländern als auch in 
direkten Aktionen hier —, ist Gewalt. Diese Gewalt können wir 
nicht unterstützen, und ich hoffe auch zu Ihren Gunsten, meine 
Damen und Herren von der AL-Fraktion, daß Sie keinerlei 
Gewalt unterstützen: denn Gewalt war noch nie ein Mittel. 
Wenn Sie sagen, die militärische Rüstung in den Entwick 
lungsländern gefällt Ihnen nicht, erwidere ich Ihnen: mir auch 
nicht. Das ist auch Gewalt; es gibt aber viele Arten von Gewalt, 
und Gewalt kann nie ein Mittel zur Lösung von Problemen 
sein. 
[Eggert (AL): „Viele Arten“ stimmt!] 
Sie nicken, dann glaube ich, daß wir hier sogar eine Art 
Übereinstimmung haben, und das ist gut so. 
Wohlstand bei uns und Armut in den Entwicklungsländern 
zu überwinden und einen Ausgleich zu schaffen, das ist unter 
anderem die Zielsetzung des Kongresses. Weshalb sollte man 
dann diesen Kongreß nicht unterstützen? Diese Frage stelle 
ich noch einmal an die AL. Ich verstehe Ihre Haltung nicht. Ein 
Kongreß mit Vertretern von 151 Staaten der UNO, ein besseres 
Forum, um über Probleme der Länder der Welt zu diskutieren, 
gibt es nicht. Sie lehen das ab; ich verstehe das nicht! Wir 
setzen auf den Austausch der Argumente; wir lehnen Protest 
um des Protestes willen ab. Wir lehnen aber auch jeglichen 
Krawall ab. An dieser Stelle noch einmal zurück zum Kollegen 
Lorenz: Auch ich erwarte vom Senat, daß alles unterlassen 
wird, was eine Eskalation bedeutet und potentielle Krawall 
macher dazu bringt, ihren Krawall durchzuführen. Dies kön 
nen wir nicht wollen. 
[Beifall bei der SPD] 
Hier erwarte ich insbesondere Fingerspitzengefühl vom In 
nensenator. Die Polizei hat hier eine schwierige Aufgabe, sie 
muß diese Aufgabe wahrnehmen und ihre Pflicht tun. Dies ist 
ganz klar! Aber sie darf ihre Pflicht nicht im falschen Sinne 
übererfüllen; das würde nach hinten losgehen und nicht zur 
Fortentwicklung einer friedlichen Politik beitragen. Hier ist 
also ein sehr, sehr vorsichtiges Vorgehen am Platze und kein 
Handeln nach dem Motto „große Menge, alle Mann an Bord 
und reinknüppeln“. Dies können wir nicht wollen, dies darf 
nicht kommen; ich bin auch überzeugt davon, daß es nicht so 
kommen wird. 
[Beifall bei der F.D.P.] 
Die Probleme der Entwicklungsländer sind unsere Proble 
me. Das ist mehrfach gesagt worden, ich brauche es hier nicht 
zu vertiefen. Wir begrüßen den Kongreß in Berlin, gerade in 
Berlin. Es ist auch eine Chance für Berlin, über diese Tage 
hinaus an den Problemen zu arbeiten und weiter zu wirken. 
Wir wollen die Weiterentwicklung im Interesse der Armen, 
aber auch in unserem eingenen Interesse. 
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