Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
77. Sitzung vom 16. Juni 1988
Kammholz (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen und Her
ren! Ich frage den Senat:
1. Teil der Senat die Auffassung, daß die Koordinierungsstelie
für die Durchführung von Straßenbaumaßnahmen über die
Zuständigkeit für Großbaustellen hinaus auf kleinere Baumaß
nahmen ausgedehnt werden muß, weil die Situation in Berlin
offenkundig macht, daß die Koordinierungsstelle in ihrer derzeiti
gen Funktion ihrer Aufgabe nicht gerecht wird?
2. Ist dem Senat das Hamburger Computerprogramm zur Ver
meidung unkoordinierter Bauvorhaben und zur Bewältigung von
Verkehrsengpässen bekannt? Welche Möglichkeiten sieht der
Senat, ein vergleichbares Modell in Berlin einzuführen?
Stellv. Präsident Longolius; Zur Beantwortung - Herr
Senator Wronski!
Wronski, Senator für Verkehr und Betriebe: Herr Präsident!
Meine Damen und Herren! Herr Abgeordneter Kammholz! Zu 1:
Der Senat teilt nicht Ihre Auffassung, daß die für die Koordinie
rung von Straßenbaumaßnahmen zuständige Stelle die gestell
ten Anforderungen nur unzureichend erfüllt. Richtig ist, daß alle
gemäß den Ausführungsvorschriften zum Berliner Straßengesetz
über die Koordinierung von Maßnahmen im übergeordneten
Straßennetz vorhandene Baustellen mit einer bestimmten Dauer
und Abmessung in einem mittelfristigen Zeitraum verkehrlich und
zeitlich aufeinander abgestimmt werden. Die in diesem über
geordneten Netz zur Zeit vorhandenen 72 Baumaßnahmen
wurden auf diese Weise koordiniert.
Problematisch bleiben jedoch die kleinen bzw. kurzfristigen
Maßnahmen - zur Zeit übrigens 300 an der Zahl. Der Senat wird
das derzeitige Baustellenmeldeverfahren um diese kleinen Maß
nahmen zu erweitern suchen. Dies wird zunächst im Wege der
freien Vereinbarung mit den Baudienststellen geschehen, die -
füge ich an - bisher dazu noch nicht verpflichtet sind. Ob die
Baudienststellen dazu später durch Verwaltungsvorschriften ver
pflichtet werden können, kann erst nach Erprobung entschieden
werden. Sicherlich wird die Aufgabe bei zunehmendem Straßen
verkehr immer schwieriger, u.a. auch deshalb, weil schon seit
Jahren Reserven und Ausweichflächen für den Kfz-Verkehr nicht
mehr bereitgehalten werden und die Dimensionierung von Fahr
bahnflächen den Störungsfall nicht berücksichtigt.
Zu 2: Der Senat hat vor 10 Jahren die Anwendung der auto
matischen Datenverarbeitung für diese Zwecke geprüft und
seinerzeit verworfen. Ungeachtet dessen lasse ich das Hambur
ger Verfahren auf seine Übertragbarkeit hin prüfen. Eine optimale
Koordination auch kleinerer Baumaßnahmen ist auf jeden Fall
eine Online-Verknüpfung aller zur Zeit 18 Baudienststellen vor
aus, die dann entsprechend aufgebaut werden müßte.
Stellv. Präsident Longolius: Herr Kammholz!
Kammholz (F.D.P.): Herr Senator! Über das Funktionieren
der derzeitigen Koordinierungsstelle haben offensichtlich alle
Berliner einen anderen Eindruck als der Senat. Ich frage Sie des
halb ergänzend: Welche Möglichkeiten sehen Sie, insbesondere
die Wartungsarbeiten in den Berliner Straßentunneln beispiels
weise in die Nachtstunden zu verlegen, um dadurch Erleichte
rungen zu verschaffen?
Stellv. Präsident Longolius: Herr Wronski!
Wronski, Senator für Verkehr und Betriebe; Herr Abgeord
neter Kammholz! Erlauben Sie mir zunächst eine grundsätzliche
Anmerkung: Selbst wenn es in Berlin keine Baustellen gäbe,
hätten wir zu bestimmten Tageszeiten Staus. Es ist also die Ur
sache nicht primär in den Baustellen zu suchen, sondern in dem
immer stärker gewordenen Individualverkehr.
[Beifall bei der SPD und der AL]
Daß dieser Individualverkehr natürlich nicht nur sich selbst behin- (C)
dert, sondern außerdem auch noch durch Baustellen behindert
wird, ist unstrittig, und da teile ich die Meinung aller Berliner, die
sich darüber täglich ärgern. Ich will aber nur darauf hinweisen:
Nicht die Baustellen sind es primär, sondern die extrem hohe
Belastung der Straßen, wodurch sich der Individualverkehr sozu
sagen stetig selbst behindert.
[Grugelke (AL): Und die Konsequenz?]
Die Frage, die Sie daran anschließen: Ich halte es für denkbar,
daß die dafür zuständige Behörde - Autobahn, Pflege und Über
wachung, liegt in den Händen des Bausenators - mit den auf
tragnehmenden Firmen darüber sprechen mag, ob solche Tätig
keiten auch nachts gemacht werden können.
Stellv. Präsident Longolius: Herr Kammholz!
Kammholz (F.D.P.): Herr Senator! Machen Sie es sich nicht
etwas zu leicht, wenn Sie die Verkehrsbehinderungen auf den
stärker gewordenen Verkehr an sich zurückführen? - Darin ist
Ihnen sicherlich zuzustimmen. Das ist aber nicht Gegenstand der
Anfrage gewesen, sondern Gegenstand unserer Erörterung ist
doch, inwieweit zusätzliche Behinderungen durch Baustellen
minimiert werden können durch eine vernünftige Koordinierung
dieser Baustellen. Darum geht es doch! Sie haben doch auch in
Berlin eine solche Koordinierungsstelie, die das erreichen soll,
die aber offenbar diesem Ziel nicht gerecht wird. Ich frage also
noch einmal: Machen Sie es sich zu leicht, indem Sie die Koordi
nierungsstelle nicht genügend erweitern in ihren Befugnissen,
neue Modelle nicht genügend heranziehen, weil Sie der Auffas
sung sind, daß im Berliner Verkehr wohl sowieso nichts mehr zu
retten ist?
Stellv. Präsident Longolius: Herr Senator!
Wronski, Senator für Verkehr und Betriebe: Herr Abgeord
neter Kammholz! Ich mache es mir keineswegs zu leicht! Wenn
Sie es so sehen, dann steht das im Gegensatz zur Meinung vieler
anderer, auch einiger in diesem Hause, die ganz gegenteiliger
Auffassung sind, weil ich es mir mit dem Individualverkehr sehr
schwer mache und mich auch damit beschäftige.
Ich möchte noch einmal in Erinnerung rufen: Die Koordinie
rungsstelle beim Senator für Verkehr und Betriebe, die entspre
chend dem Berliner Straßengesetz diese Tätigkeiten ausübt, übt
sie aus im Rahmen der geltenden Rechtsvorschriften. Die sagen,
daß es sich um Koordinierung solcher Baumaßnahmen zu han
deln hat, die länger als vier Wochen dauern, größer als 50 m
oder soundso viel Quadratmeter in der Fläche ausmachen müs
sen. Das ist die Aufgabe des dafür zuständigen Senators.
[Wagner, Jürgen (SPD): Dann müssen Sie das ändern!]
- Hören Sie geduldig zu, damit Sie die Zusammenhänge richtig
verstehen I - Wenn außerdem die Bezirke außer den 72 genann
ten koordinierten Baustellen mehr als 300 örtliche Bausteilen
eröffnen, und zwar im Rahmen des geltenden Gesetzes, was sie
können, ohne den Senator zu informieren, dann kann es durch
aus passieren, daß trotz bester Koordinierung des gesamten
Verkehrsflusses zusätzliche Störungen auftreten. Das ist ja auch
der Fall. Deswegen habe ich angefügt, daß ich mich bemühen
werde, mit den Bezirken in Kontakt zu treten, damit wir über das,
was zu machen wir verpflichtet sind, hinaus - allerdings derzeit
noch auf freiwilliger Basis - die entsprechenden Informationen
bekommen. Ich sage Ihnen eines: Auf die Bereitwilligkeit der
Bezirke, diese Informationen zu liefern, sind wir angewiesen,
solange wir die gesetzlichen Grundlagen nicht ändern. Dann
sind es häufig kurzfristig angesetzte Baumaßnahmen, die die
Bezirke aus vermeintlich guten Gründen oder auch aus tatsäch
lich guten Gründen sehr kurzfristig verschieben, so daß die to
tale Koordination keine Garantie dafür gibt, daß der zeitliche
Ablauf, so wie vom Computer geplant - dahin möchte ich in der
Tat kommen, wenn es denkbar wäre - sich darstellen wird.