Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
75. Sitzung vom 19. Mai 1988
Sen Wronski
(A) überzeugend vorgetragen wurden, ich denke an Ihren Beitrag,
Herr Kollege Niklas, so daß man sie präzisieren muß.
Ich möchte mal generell auf folgenden Sachverhalt hinwei-
sen: Die Diskussion, die wir hier führen, ist nicht ausgelöst
durch das Bedürfnis von vier amerikanischen Fluggesell
schaften, nach Berlin zu kommen, sondern sie ist ausgelöst
durch das Verhalten der Reisenden, und zwar nicht erst seit
dem Herbst vorigen Jahres.
[Wieland (AL): Glaubt doch kein Mensch! Reagan
war der Anfang!]
— Ach, nun seien Sie doch mal ruhig. Ich kann doch nicht
immer auf Ihre „lustigen Dinge“ hier eingehen. Ich möchte
mich jetzt hier wirklich mal mit Herrn Dr. Niklas auseinander
setzen. Und bitte stören Sie uns doch dabei mal nicht.
[Wieland (AL); Ist doch kein Privatclub hier!]
Das ist so, der Luftverkehr steigt seit 1983 kontinuierlich an,
einfach durch das Bedürfnis der Menschen, die fliegen wollen,
und Herr Kollege Wieland, Sie gehören auch dazu. Wenn ich
da hin und wieder auf dem Flugplatz einen von Ihnen treffe,
irgendwann einmal Herrn Lohauß, Ihren früheren Kollegen,
von Frau Hentschel mit Küßchen begrüßt, dann ist das ja
richtig, was die machen; die fliegen!
[Beifall bei der AL — Wieland (AL): Eifersüchtig!
— Heiterkeit]
Die fliegen, weil es ein Bedürfnis ist, auch für die Leute, zu
fliegen, und nicht, weil sie durch Ideologien vermauert sind
und dann erklären: Ich fahre sonstwo hin, und auch wenn es
sehr weit ist, aber nicht mehr mit dem Flugzeug. - Das sind
(B) doch die Ursachen und die Zusammenhänge.
Und weil das der Grund ist, kann sich natürlich die Berliner
Flughafen-Gesellschaft ausrechnen, wann sie mit ihrer Abfer
tigungskapazität überläuft. Und dann stehen sie, Herr Kollege
Niklas, nicht vor der Frage Öko- oder sonstige -logie, sondern
dann stehen Sie vor der Frage; Dürfen wir es den Fluggästen,
die da sind, zumuten, ihren permanenten Ärger gegenüber
der Flughafengesellschaft und gegenüber dem Senat, einfach
weiterzugeben? - Stellen Sie sich dann, Herr Kollege Niklas,
hin und sagen: Nehmt diese Behelligungen in Kauf, es ist gut
für die Ökologie, quält euch, ärgert euch, wir wollen, daß ihr
euch ärgert, bis euch die Lust am fliegen vergeht?
[Dr. Niklas (SPD): Da ist der Konflikt für uns alle!]
Wenn Sie, Herr Kollege Niklas, unseren Berliner Reisenden
das Fliegen vermiesen wollen, dann sage ich Ihnen, und Herr
Kollege Kammholz hat zu Recht darauf hingewiesen, daß es
der Long-distance-Fiug ist, der rasant zunimmt, nicht die
kurzen Hopper, das heißt also, alle die, die weit weg wollen,
und das sind doch sehr viele, die nach Teneriffa und nach
anderen weit entfernten Orten fliegen wollen. Für die ist doch
die Eisenbahn keine Alternative, Herr Kollege Niklas, das
müssen wir doch einsehen! Und wenn Sie in diesem Zusam
menhang dem Senat und speziell mir den Vorwurf machen:
Du, Wronski, predigst immer von der Eisenbahn — dann
möchte ich Sie mal darauf hinweisen, wir sind es hier, ich war
es, der die Priorität des Eisenbahnverkehrs in die Regierungs
erklärung erstmals aufgenommen hat, auf die wir bei Ihnen,
bei Ihren Kollegen in der Verantwortung des SPD-Senats,
immer gewartet haben. Ich mache Ihnen daraus keinen
Vorwurf, ich stelle es nur fest.
Und wenn nach vielen Jahren des Drängens im Herbst
vorigen Jahres zwei deutsche Staatsmänner laut und in aller
Öffentlichkeit erklären: Und wir wollen da was machen! —
dann ist das der erste konkrete Schritt in eine Entwicklung, die
bisher blockiert war, allerdings nicht durch die Bundesregie
rung. Wenn Sie zu Recht, Herr Kollege Niklas, die unbefriedi
genden Zustände auf den Schienen zwischen Berlin und dem
übrigen Bundesgebiet, aber letzten Endes auch in anderen
Richtungen - die Berlinerfahren ja nicht nur ins Bundesge
biet, man fährt ja auch mal nach Norden, man fährt auch mal
nach Warschau — zu beklagen haben: Ich klage mit! Noch ist
es immer so, daß die jeweiligen Bahngesellschaften für den
Zustand ihres angebotenen Systems zuständig sind. Ich
akzeptiere, ich weiß, daß die Transaktionsphilosophie der
Deutschen Reichsbahn eine andere ist als beispielsweise die
der Deutschen Bundesbahn, und zwar einfach deswegen, weil
sie sich der Konkurrenz anderer Verkehrsträger nicht zu
stellen braucht. Also müssen wir sehen, daß wir miteinander
klarkommen. Wir sind auf dem Wege dazu. Die letzte Verlaut
barung ist im Februar gewesen — ich las es in der Presse —,
man darf also annehmen, daß man intensiv miteinander
spricht, man darf annehmen, daß man irgendwann, vielleicht
schon in diesem Jahr, wieder mal eine Presseveröffentlichung
hört. Mehr kann ich dazu nicht sagen, und mehr will ich dazu
auch nicht sagen. Aber wenn Sie hier den Schienenverkehr als
Alternative zu dem jetzt anstehenden Bedarf im Flugverkehr
bringen, dann ist das schlicht falsch, weil Sie die Zeitkonstante
nicht berücksichtigen.
Und der Senat von Berlin, genauer gesagt, die Berliner
Flughafengesellschaft, baut überhaupt nicht exorbitant aus
und macht neue Dinge. Sie macht genau das, was hier der
Kollege Kammholz, glaube ich, gesagt hat und was richtig ist:
Sie wird durch die Umgestaltung vorhandener Baukapazitä
ten, Stichwort Nebelhalle, zunächst mal Luft schaffen zur
Bewältigung der Passagierkapazitäten, nämlich für 400000
Fluggäste pro Jahr! Die BFG steht jetzt an der Schwelle des
Überlaufens; sie hat heute schon mit 2700 abgefertigten
Passagieren pro Stunde partiell die Abfertigungskapazität
erreicht.
Das ist also der erste Schritt im Rahmen vorhandener
Bausubstanz.
Der zweite Schritt ist, ein Jahr später — auch im Rahmen
vorhandener Bausubstanz, wenn Sie die Örtlichkeit kennen -
auf Position 16 entsprechende Kapazitätserweiterungen vor
zusehen. Und dann hat die BFG natürlich die Aufgabe,
planerische Vorbereitungen zu treffen für den Eventualfall,
daß sich diese Maßnahmen der Stufen 1 und 2 als unzurei
chend erweisen sollten. Wenn der Bedarf sich nämlich als
größer herausstellen sollte, dann würden Sie doch die ersten
sein, die sagten: Und auf diese Situation habt ihr euch nicht
vorbereitet? Was macht ihr denn nun? Alle Welt will nach
Berlin fliegen, von wer weiß woher, von Orlando, von Tokio
und so! — Man weiß ja nicht, wo das mal hinläuft, aber keiner
von uns hier — jedenfalls bis auf die AL - hat doch den Mumm
zu sagen: Wir wollen keinen nach Berlin fliegen oder von hier
wegfliegen lassen, - Das hatgar nichts mit der Absichtzu tun,
den Flugverkehr um Berlin zu forcieren, das hat schlicht und
einfach mit der Einsicht zu tun, sich dem weltweit entwickeln
den Flugverkehr - nicht nur zwischen Berlin und dem übrigen
Destinationen - nicht verschließen zu können. Wir haben
weltweit eine Zuwachsrate von 3% bis 5% auf den europä
ischen Strecken; die wird auch weiter prognostiziert. Was
auch immer an Prognosen da richtig sein mag, der Entwick
lungstrend geht eindeutig aufwärts. Cash ist da bei denjeni
gen, die fliegen können, und die nutzen die Möglichkeiten,
sich weltweit irgendwohin mit dem Flugzeug transportieren zu
lassen. Wollen Sie dann sagen, das soll uns Berlinern oder
denen, die uns besuchen wollen, verschlossen bleiben? — Na,
den Politiker möchte ich mal sehen, der ernsthaft eine solche
Politik hier betreiben wollte.
Ich hoffe, ich habe Ihnen in diesen knappen Worten darlegen
können, daß der Senatsehr wohl eine dosierte Luftverkehrs
politik im Auge hat, eine Luftverkehrspolitik mit Augenmaß,
(C)
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