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Volume Nr. 75, 19. Mai 1988

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1988, 10. Wahlperiode, Band V, 68.-81. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
75. Sitzung vom 19. Mai 1988 
(A) Krüger (CDU): Was auf unseren CDU-Parteitagen geschieht, 
das bestimmen immer noch wir. 
[Wieland (AL): So sehen Sie auch aus, Herr 
Kollege!] 
Genau, das bestimmen immer noch wir, und Sie, Herr Kollege 
Wieland, schon gar nicht. Und zum anderen, Herr Kollege 
Kuhn, kann ich Ihnen nur das eine sagen: Was SPD-Parteitage 
beschließen, ist für das Parlament in toto nicht maßgeblich; 
das kann die Fraktion durchaus ins Parlament transferieren, 
das ist ein echtes Zugeständnis ohne Wenn und Aber. Aber 
andererseits verwundert es mich doch, wenn auf ein Schrei 
ben aus dem Parlament diejenigen, die auf einem Parteitag zu 
Beschlüssen kommen, sich dem Parlament gegenüber nicht 
äußern. Das bedauere ich nach wie vor. - Recht schönen 
Dank! 
[Beifall bei der CDU — Franke (CDU): So sind die 
Genossen nun mall] 
Präsident Rebsch: Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete 
Grugelke für die Alternative Liste. 
Grugelke (AL): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da 
men und Herren! Die Enquete-Kommission zur Verwaltungs 
reform war eine der großen Möglichkeiten, Vorschläge zu 
erarbeiten, wie man den Bürger an politischen Entscheidun 
gen und an der Verwaltung in stärkerem Maße beteiligen 
kann. Besonders auf dem Gebiet der Verwaltungsvereinfa 
chung enthält der Bericht, den die Kommission im Juni 1984 
vorgelegt hatte, wertvolle Anregungen. Dieser Bericht hatte 
auch die grundsätzliche — ich sage: grundsätzliche! — 
Zustimmung der AL-Fraktion gefunden, obwohl die von der AL 
(B) vorgeschlagenen Problemlösungen als Minderheitsvotum in 
diesen Bericht überhaupt nicht aufgenommen worden waren. 
Was hat aber der Senat mit den zahlreichen Vorschlägen 
der Kommission gemacht, die dem Subsidiaritätsprinzip 
folgten - so damals die Berichtserstatterin, Frau Saß-Vieh- 
weger —, wonach die größere Einheit nicht tun soll, was die 
kleine Einheit tun kann? Wie ist die Aussage des Berichts, die 
Bürger würden zu wenig oder nur formalistisch an der 
Verwaltung beteiligt, in praktische Senatspolitik umgesetzt 
worden? — Noch nicht einmal zu den damals unstrittig 
gebliebenen, aber bescheidenen Vorschlägen, die nun von 
der SPD-Fraktion auf die schnelle zu einem Gesetzesantrag 
zusammengestellt worden sind, hat der Senat Gesetzesvoria- 
gen vorbereitet und eingebracht. Der Senat hat damit bewie 
sen, daß seine Versprechen von bürgernaher Verwaltung 
inhaltslos geblieben sind. 
[Beifall bei der AL — Wieland (AL): Sehr wahr!] 
Das dies auch so bleiben wird, hat der Vertreter der CDU- 
Fraktion angekündigt, denn das, was er hier gemacht hat, war 
eigentlich Verzögerungstaktik insgesamt. 
Statt die politischen Einflußmöglichkeiten des Bürgers zu 
stärken, statt die Verwaltung bürgernah zu gestalten, hat der 
Senat mit seiner Politik des Stellenstopps in den Ämtern 
zusätzliche Planstellen im Bereich der B-Besoldung für seine 
CDU-Klientel geschaffen. Mit dieser Politik ist die Intention der 
Enquete-Kommission allerdings auf den Kopf gestellt worden. 
Nicht bürgernah, sondern bürgerfeindlich ist die Verwaltung 
geworden; das kann der Senat auch nicht durch die Versen 
dung von beispielsweise computergefertigten Formschreiben 
kaschieren, die den Bürgern mit freundlichen Worten ihre 
Widersprüche gegen den Flächennutzungsplan ausreden sol 
len. 
Es ist doch offensichtlich, daß die Verwaltung insgesamt 
effektiver und effizienter handeln kann, wenn die Entscheidun 
gen mehr von den Bürgern getroffen und getragen werden (C) 
können, und nicht, wenn Entscheidungen an den Bürgern 
vorbei und gegen ihren Willen in bürokratischer Weise durch 
gesetzt werden. Dann könnten beispielsweise auch mehr 
Grünflächen gesichert und die Straßen in unserer Stadt 
ruhiger werden. 
Verständlicherweise hat der Senat kein Interesse an mehr 
Bürgerbeteiligung, weil dieser Senat nicht die Interessen der 
Bürger vertritt, sondern einseitig die Interessen der Industrie- 
und Handelskammer und des ADAC, zumindest hinsichtlich 
des Flächennutzungsplans. Mehr Entscheidungskompetenz 
auf Bezirksebene ist dem Senat dann natürlich hinderlich. 
Unsere Auffassung von Dezentralisierung der Verwaltung 
hatte die AL seinerzeit bewogen, die bereits während der 
Beratungen der Enquete-Kommission eingebrachten Vor 
schläge zu diesem Punkt in einem eigenen Gesetzesantrag 
zum Bezirksverwaltungsgesetz zusammenzufassen. Ich 
möchte daher die wesentlichen Punkte hier kurz darstellen, in 
denen das Bezirksverwaltungsgesetz nach Meinung der AL 
geändert werden müßte: 
1. Die geringe Beteiligung der Bürger am Verwaltungsvoll 
zug und an der Verwaltungskontrolle erfordert mehr Rechte 
für die Bürger. Hierzu gehört die stärkere Repräsentierung 
der Betroffenen in den Bezirksverordnetenversammlungen. 
Eine große Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern ist aller 
dings von jeder politischen Beteiligung in dieser Stadt ausge 
schlossen. Ich meine damit die Ausländerinnen und Auslän 
der in unserer Stadt. Wir fordern daher das Ausländerwahl 
recht für die Bezirksverordnetenversammlungen als einen 
Teil des kommunalen Wahlrechts. 
[Beifall bei der AL — Zurufe von der CDU] 
2. Um auch einzelnen engagierten Bürgern und Wählerge- (D) 
meinschaften die Möglichkeiten zur Mitwirkung in den Be 
zirksverordnetenversammlungen zu geben, muß die Fünf- 
Prozent-Klausel aufgehoben werden. 
[Gelächter bei der CDU] 
3. Die Bezirksverordnetenversammlungen müssen eine 
stärkere politische Richtlinienkompetenz bekommen. Die lo 
gische Schlußfolgerung daraus ist natürlich auch die Durch 
setzung von politischen Bezirksämtern, die mit der Mehrheit 
der Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlungen ge 
wählt werden. 
4. Schließlich tritt die AL für die Trennung der Termine für 
die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksver 
ordnetenversammlungen ein. 
[Krüger (CDU); Damit es einen Dauerwahl 
kampf gibt!] 
Dies scheint manchem nur ein formaler Akt sein, würde aber 
den Bezirksverordnetenversammlungen und der bezirklichen 
Kommunalpolitik einen höheren Stellenwert in Berlin zuord 
nen. Kommunale Wahlprogramme gehen anläßlich der Abge 
ordnetenhauswahlen meist unter! 
Neben dem repräsentativen Element in unserer Verfassung 
müssen die plebiszitären Elemente gestärkt oder - besser 
gesagt wieder eingeführt werden. Volksbegehren und Volks 
entscheide für Sachentscheidungen und Gesetzgebung waren 
bis 1974 in der Berliner Verfassung garantiert. In einer Großen 
Koalition haben CDU und SPD mit einem Handstreich aus 
Furcht vor den ersten aufkeimenden Bürgerinitiativen dieses 
Recht eliminiert. 
[Kuhn (AL): Schlimme Entscheidung! — 
Zurufe von der CDU) 
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