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Volume Nr. 75, 19. Mai 1988

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1988, 10. Wahlperiode, Band V, 68.-81. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
75. Sitzung vom 19. Mai 1988 
(A) Präsident Rebsch: Das Wort zur Beantwortung hat der Herr 
Innensenator. 
Dr. Kewenig, Senator für Inneres: Herr Präsident! Meine 
Damen und Herren! Herr Kollege Hildebrandt, zu Ihrer ersten 
Frage; Das mir richtigerweise zugeschriebene Zitat aus der 
„Berliner Morgenpost“ vom 8. Mai geht auf die Frage zurück: 
Drei hohe Polizeibeamte bekamen ebenfalls Schläge ab. 
Haben die Beamten nicht zumindest teilweise doch 
überreagiert? 
Darauf habe ich geantwortet: 
Ein bedauerlicher Vorfall, aber er zeigt, daß die Beamten 
im Einsatz gegen Rechtsbrecher in einer auch für sie 
schwierigen Lage ohne Ansehen der Person vorgegan 
gen sind. 
[Gelächter bei der SPD] 
Es ist nun einmal so, daß auch ein Polizeiführer in Zivil, 
der sich am Ort der Auseinandersetzung aufhält, mit 
solchen Vorfällen rechnen muß. 
Ich habe also — — 
[Zurufe von der SPD und der AL] 
— Sie können doch gleich weiter fragen, lassen Sie mich doch 
zunächst einmal dem Kollegen Hildebrandt antworten. Ich 
freue mich ja, daß Sie sich über meine Antwort so amüsieren. 
— Ich habe also nicht erklärt, wie von einigen, die gerne 
schlecht und ungenau zitieren oder unter dem Druck täglicher 
Glossen stehen, berichtet wurde, „die Behauptung, daß in der 
(B) Nacht zum 1. Mai Polizisten in Zivil oder unbeteiligte Bürger 
ebenso wie gewalttätige Chaoten geschlagen worden seien, 
belege, wenn sie stimme, wie sehr die Polizei den Grundsatz 
der Gleichbehandlung praktisch berücksichtigt habe“. - 
Ganz so dumm, meine Damen und Herren, ist der Rechtskan 
didat K. dann doch nicht. Vielmehr habe ich versucht, die 
Umstände, die schwierigen und oft hektischen Umstände und 
auch die Zwänge darzustellen, unter denen solche Polizeiein 
sätze ablaufen. 
Lassen Sie mich deshalb hier wie bereits im Innenausschuß 
des Abgeordnetenhauses noch einmal kurz die beiden Haupt 
situationen darlegen, die bei der Betrachtung unterschieden 
werden müssen. Je nach Lage kann oder muß die Aufgabe der 
Polizei zum einen darin bestehen, Straßen oder Plätze ganz 
oder teilweise von Personen freizumachen. Diesen Räumun 
gen haben grundsätzlich Aufforderungen vorauszugehen, die 
unmißverständlich folgendes enthalten müssen: 
1. das von den Personen geforderte Verhalten, 
2. die Räumungsrichtung, 
3. die Zwangsmittelandrohung nach den jeweils gesetzlichen 
Vorschriften und die möglichen weiteren Rechtsfolgen. 
Hier bleibt also den Gutwilligen genügend Zeit, sich zu 
entfernen, bevor es zur Anwendung unmittelbaren Zwangs 
kommt. 
[Zurufe von der SPD] 
— Das ist die eine Situation, Herr Pätzold; jetzt kommt die 
andere Situation, die von der ersten deutlich zu unterscheiden 
ist. 
In der zweiten Situation hat die Polizei die Aufgabe der 
beweissichernden Festnahme. Die Polizei hat gerade nach 
den gewalttätigen Ausschreitungen des Jahres 1987 das 
schon damals vorhandene Konzept der beweissichernden 
Festnahmen intensiviert und weiterentwickelt. Dazu gehört (C) 
auch, daß erkannte Störer verfolgt und aus einer sie schützen-, 
den Menschenmenge festgenommen werden. Damit hat die 
Polizei auf die Erfahrungen reagiert, daß nur wenige militante 
Rechtsbrecher sich der Anonymität und der Trägheit einer 
Menschenmenge bedienen, um sich ihrer Festnahme zu 
entziehen. Es bleibt also keine andere Möglichkeit, als den 
flüchtenden Rechtsbrecher in die Menge hinein zu verfolgen. 
Dabei werden grundsätzlich im Wege stehende Personen 
umlaufen und nicht umgerannt. 
[Wieland (AL): Ha! — Wo leben Sie denn!] 
Dies wird von den Beamten ständig trainiert 
[Gelächter bei der AL] 
und stellt sich unabhängig von allen rechtlichen und sonstigen 
Überlegungen als das effektivste Vorgehen dar; denn es geht 
schlichtweg schneller, als jeden in der Nähe Befindlichen 
umzurennen oder gar zu Boden zu schlagen, ln der Hektik 
eines solchen Einsatzgeschehens und bei großer Dichte der 
Menschenmenge ist es aber für den Polizeibeamten nicht 
immer möglich, zu umlaufen oder sofort zu erkennen, ob 
diejenigen, die ihm im Wege stehen, lediglich die Situation 
nicht erfassen oder ob sie die Verfolgung behindern wollen. 
Ich sage hier ganz deutlich, daß man von einem Bürger 
eigentlich erwarten kann, daß er die Arbeit der Polizei 
unterstützt und sie nicht behindert, denn diese Polizei ist seine 
Polizei, und sie arbeitet für ihn und nicht gegen ihn. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P. — 
Zuruf: Aber ja!] 
Ist aber der Störer erreicht, 
[Thomas (SPD): Herr Präsident, schicken Sie doch 
mal den Komödianten aus dem Haus!] 
so muß er von anderen Personen getrennt und ergriffen 
werden. Auch dieses Trennen und Abdrängen in eine be 
stimmte Richtung erfolgt zeitgleich und kann ebenfalls für den 
einzelnen bedeuten, daß er in den Bereich polizeilicher 
Maßnahmen gerät. Bei der Beurteilung solcher Vorgänge darf 
einfach nicht vergessen werden, daß sie von Beamten Ent 
scheidungen in Sekundenbruchteilen erfordert, die dann 
später im Innenausschuß oder sonstwo stundenlang seziert 
und geprüft und bewertet werden. Ich gebe zu bedenken, daß 
ersteres notwendig und von den Beamten zu verlangen, aber 
sehr viel schwieriger ist als die spätere Seziererei. Unabhän 
gig davon wird selbstverständlich auch in diesem Fall jeder 
vorliegenden Anzeige - es liegen 15 Anzeigen vor - 
gründlich nachgegangen. Über das Ergebnis der Ermittlungen 
kann naturgemäß erst nach Abschluß der Ermittlungen berich 
tet werden. Erstaunlich ist jedoch, daß gerade in den in der 
Öffentlichkeit so spektakulär erörterten Fällen wie zum Bei 
spiel des angeblich im Polizeiwagen entkleideten und miß 
handelten Jurastudenten die Geschädigten sich nicht melden, 
[Zurufe von der AL] 
Der berühmte Jurastudent, der überall zitiert wird als Bei 
spiel, hat sich bisher nicht gemeldet und hat auch keine 
Strafanzeige gestellt. 
Es verwundert auch etwas, daß von dem vierköpfigen RIAS- 
Team, das öffentlich über polizeiliche Übergriffe geklagt hat - 
wir haben das ja alle im Fernsehen verfolgen können - und 
das am 17. Mai zum zeugenschaftlichen Vernehmungstermin 
geladen worden ist, bei dem Termin nur ein Herr erschienen 
ist und die Aussage dieses Herrn sich überhaupt nicht auf die 
fragliche Nacht vom 1. zum 2. Mai, sondern auf ein Vorkomm- 
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