Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
74. Sitzung vom 5. Mai 1988
Dr. Haase
(A) Beschäftigungspolitik umzudenken und neue Ideen umzuset
zen.
Vor wenigen Wochen ging eine neue Idee um die Welt: In
einem New Yorker Schnellrestaurant wird nach der Zeit
gegessen. Istdie Eieruhr abgelaufen, so müssen die Besucher
ihren Platz räumen. Trotzdem bilden sich Warteschlangen vor
diesem Restaurant. Die Menschen drängeln sich nicht, weil
sie neue Rekorde aufstellen wollen. Vielmehr wollen sie die
niedrigen Preise ausnutzen, wollen sie für wenig Geld essen.
Neue Ideen braucht auch unsere Beschäftigungspolitik.
[Wieland (AL); Das wollen Sie als neue Idee
propagieren? - Das ist wohl ein Scherz!]
Berlin muß der Standort der qualifizierten und qualifiziert
besetzten Arbeitsplätze werden.
Um die Knappheit an bezahlbaren Arbeitsplätzen besser zu (C)
verteilen, können die Tarifparteien die Arbeitszeiten kürzen.
Die Arbeitslosen nehmen aber nur dann einen freigemachten
Arbeitsplatz ein, wenn Arbeit und Arbeitslohn geteilt werden.
Und um diese Frage geht der gegenwärtige Streit. Eine
Tarifautonomie, die nur den Arbeitsplatzbesitzern immer
bessere Arbeitsbedingungen und höhere Einkommen sichert,
die nur den Arbeitsplatzbesitzenden nützt, ist für unsere
Gemeinschaft sozial nicht verträglich. Dringend nötig ist es
vielmehr, unser starres Arbeitssystem zu verändern. Größere
Flexibilität und Gewinnbeteiligung können den Anreiz schaf
fen, vermehrt Arbeitsplätze anzubieten. Hier sind aber vor
allem die Tarifparteien gefordert, umzudenken und ihre
Verantwortung gegenüber den Arbeitslosen endlich wahrzu
nehmen. Auch und vor allem sie - und nicht der Staat, auch
nicht dieser heutige Nachtragshaushalt- müssen den Arbeits
losen eine Chance auf Beschäftigung geben. - Vielen Dank!
(B)
[Wieland (AL): Friß schneller, weil du arm bist!]
- Herr Kollege, den Sinn erläutere ich Ihnen noch, das dauert
bei Ihnen wohl ein bißchen länger. - Deshalb hat dieser
Berliner Senat insgesamt vier Arbeitsmarktprogramme auf
den Weg gebracht, die drei Ziele verfolgen:
1. Hilfen für die Weiterbildungsarbeit der Betriebe. Der
Bedarf an qualifizierten Arbeitsplätzen steigt. Bereits heute
werden Facharbeiter und Ingenieure auch im Bereich des
Umweltschutzes, der ja von uns allen gemeinsam als beson
ders dringlich angesehen wird, gesucht. Deshalb bekämpft
Weiterbildung die Arbeitslosigkeit.
2. Aktivierung der Berliner Standortvorteile durch For
schung, Wissenschaft und Bildung. Wir wollen Berlin als ein
überregionales Dienstleistungszentrum ausbauen. Auf diese
Anforderungen müssen wir den Arbeitsmarkt in der Stadt für
die 90er Jahre vorbereiten.
3. Das Sonderprogramm für Langzeitarbeitslose soll denje
nigen neue Chancen eröffnen, die wenig Hoffnung haben.
Durch Zuschüsse haben wir günstige Einstellungs- und Quali
fizierungsvoraussetzungen und durch den Nachtragshaushalt
die Finanzierungsvoraussetzungen geschaffen.
Deshalb appelliere ich von dieser Stelle aus an die Arbeits
losen: Nutzen Sie diese neuen Chancen zur Information,
Qualifikation und Weiterbildung!
[Beifall der Abgn. Vetter (CDU) und Biederbick
(F.D.P.)]
[Beifall bei der CDU - vereinzelter Beifall bei der
F.D.P.]
Präsident Rebsch: Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete
Seiler.
Seiler (AL): Meine Damen und Herren! Es geht heute alles
ausgesprochen harmlos und brav zu. Ich frage mich, was geht
in einem Finanzsenator vor, wenn der Sprecher der größten
Oppositionspartei ihm die Zustimmung zu seinem Haushalt
androht? - Und das dann auch noch mit der Begrüßung, das,
was Sie heute machen, das haben wir doch schon vor ein paar
Jahren gedacht! Da sollte man doch in der SPD einmal
nachdenken, ob Sie vielleicht deshalb als Partei so ge
schrumpft sind, weil Sie von diesem Senat kaum mehr zu
unterscheiden sind.
[Beifall bei der AL]
(D)
Was ist also Sache? - Es geht dem Senat so, wie es vielen
Berliner Haushalten geht, das Geld reicht nicht! Es muß also
nachgebessert werden, wie man das in der Branche nennt.
Und was macht man da? - Das macht man genau so, wie man
das in vielen anderen privaten Haushalten auch macht: Zum
einen knabbert man die eisernen Reserven an. Das nennt sich
im öffentlichen Haushalt Grundstock. Und zum anderen läßt
man sich von guten Freunden etwas vorschießen. Das ist in
diesem Fall die WBK. Die schiebt mal schnell ein paar
Millionen vorzeitig rüber.
Gleichfalls fordere ich die Unternehmen auf: Informieren Sie
sich über die neuen Einstellungshilfen für Arbeitslose! Neh
men Sie diese Mittel in Anspruch und geben Sie den Berliner
Arbeitslosen eine Chance!
Wir wissen alle, daß Arbeit nicht knapp ist. Bei den
Dienstleistungen, im Umweltschutz, der Stadterneuerung und
in vielen anderen Bereichen bleibt noch viel Sinnvolles zu tun.
Knapp aber wird die bezahlbare Arbeit. Nicht die Löhne,
vielmehr die Lohnkosten sind zu hoch. Wenn ein Facharbeiter
den Lohn von fünf Arbeitsstunden aufwenden muß, um die
Kosten für eine Arbeitsstunde seines Kollegen zu bezahlen,
dann führt das direkt zur Schwarzarbeit und zur Vernichtung
von Arbeitsplätzen!
[Beifall bei der CDU - vereinzelter Beifall bei der
F.D.P.]
Und damit, sehr verehrter Herr Kollege Wieland, sind wird
wieder bei dem Schnellrestaurant-Beispiel.
[Wieland (AL): Wenn Sie so schnell essen, wie
Sie reden, dann verhungern Sie! - Heiterkeit]
- Vielen Dank für Ihre Besorgnis um meine Gesundheit.
[Jewarowski (CDU): Wer?]
- Die Wohnungsbau-Kreditanstalt! Es könnte ja sein, daß das
Ihnen nicht bekannt ist, aber da fragen Sie bitte mal Ihren
Generalsekretär, der weiß das vielleicht.
[Wieland (AL); Der weiß auch, daß das Geld
geliehen ist!]
- Eben!
Und drittens, man geht also zur Bank und läßt sich einen
Kleinkredit geben, wenn das Geld nicht reicht. In diesem Fall
also schlappe 90 Millionen DM für die Anschaffung von neuem
Inventar. Und das ist natürlich im Gegensatz zu sehr vielen
Privathaushalten in Berlin, die das milder Aufbesserung ihrer
Kassen nicht so einfach machen können, für den Senat ein
leichtes. Der Senat ist ja kreditwürdig, er ist ja, wie unser Ex-
Kollege Kunzeimann uns gerichtsnotirisch immer wieder
versichert, eine ehrenwerte Gesellschaft, ganz in der Tradi
tion der honorablen Sparvereine, und da kriegt man natürlich
immer jede Menge cash rübergeschoben, nicht wahr?
[Beifall bei der AL]
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