Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
70. Sitzung vom 25. Februar 1988
Baetge
(A) weiß, daß es sich hier um eine Masse menschlicher Tragödien
handelt. Ich bekenne offen, daß es mir manchmal außerordent
lich schwerfällt, sagen zu müssen und mit meinen Kollegen ge
meinsam beschließen zu müssen, daß wir in diesem und jenem
menschlich furchtbaren Problem nicht helfen können. Ich weiß,
daß das eine Schwierigkeit ist und im Grunde uns alle anrühren
sollte. Aber wir sind nun einmal an die gesetzlichen Regelungen
gebunden, und auch wir vom Petitionsausschuß können nicht
irgend etwas anweisen. Ich sage es hier - sicherlich auch im
Sinne der Kollegin Frohnert -, daß wir hin und wieder wirklich
verzweifelt sind, weil wir dies und jenes nicht lösen können. Ich
muß sagen, daß auch hier im Grunde mit Herrn Kewenig viele
Regelungen möglich sind, die sich aber natürlich auf dem Boden
des Gesetzes befinden müssen. Darüber hinaus geht nichts!
Ich verspreche aber für alle Mitglieder des Petitionsausschus
ses, daß wir gerade bei diesen menschlich schwierigen Proble
men alles tun werden, was zu tun ist und was getan werden
kann, um gemeinsam mit dem Senat zu Ergebnissen zu gelan
gen.
Lassen Sie mich nun noch ein Problem ansprechen, das gar
nicht in den Petitionsausschuß gehört, mir aber dennoch in den
letzten Jahren häufig auf den Tisch gekommen ist. Da appelliere
ich an Sie alle, an die Parteien, die ja über ihre Abgeordneten
Sprechstunden durchführen und Einfluß auf die AWO oder auf
den Caritas-Verband haben. Lassen Sie mich in wenigen Sätzen
dieses Problem schildern; Mir sind in den letzten Jahren viele
Fälle auf den Tisch gekommen, wo vor allen Dingen ältere Mit
bürgerinnen - meistens im Alter von 68 bis 78 Jahren - zu mir
gekommen sind und sagten, daß sie keine Rente bekämen.
Meine Prüfung bei der BfA, für die wir nicht zuständig sind, son
dern der Petitionsausschuß des Bundestages, hat ergeben, daß
diese Damen - nicht etwa des Lesens und Schreibens Unkun
dige - nicht wußten, daß sie einen Rentenanspruch gegen die
BfA haben, daß sie nicht in der Lage waren zu erkennen, daß
dreißig- oder vierzigjährige versicherungspflichtige Arbeit einen
Rentenanspruch selbstverständlich nach sich zieht, daß eben
nur ein Antrag gestellt werden muß. - Wenn es so viele Men
schen, vor allem ältere Damen, in unserer Bevölkerung gibt, die
davon überhaupt nichts wissen, dann stimmt auch mit unseren
sozialen Einrichtungen oder mit der Information etwas nicht. Die
Betroffenen kommen zu mir doch auch nur zufällig, weil ich hin
und wieder mal in der Presse als Vorsitzender des Petitionsaus
schusses erwähnt werde. Eigentlich könnte ich ihnen gar nicht
helfen, weil eben die BfA eine Bundesbehörde ist. Ich arbeite
aber mit der BfA gut zusammen, und deshalb haben wir da auch
in vielen Fällen helfen können. Aber auf solche Dinge, wenn sie
Ihnen dann irgendwann einmal auch im härtesten Wahlkampf
unter die Finger kommen, achten Sie bitte, schicken Sie diese
Menschen zu uns oder zu einem Rentenberater oder natürlich
auch zur BfA; aber verhindern Sie, daß diese Menschen - dies
Herr Fink, ist auch ein Teil der verschämten Altersarmut - ihre
manchmal mühsam zusammengekratzten Ersparnisse aufbrau
chen und erst dann zu uns kommen, wenn sie eine Mietpfändung
erhalten haben. Die alten Leute wissen das nicht, wir müssen
ihnen dabei helfen!
Lassen Sie mich zum Schluß noch folgendes sagen: Wir
haben im Petitionsausschuß mit den Vertretern aller vier Parteien
kollegial - ich sage es hier auch einmal: freundschaftlich - zu
sammengearbeitet. Wir hatten nie ein Problem, wenn es darum
ging, anderen Menschen zu helfen. Das soll so bleiben!
Ich möchte mich hier noch einmal bei den Mitarbeitern des
Petitionsausschusses bedanken, aber auch bei denen der
Senatsverwaltungen, die immer mit uns kooperativ gearbeitet
haben. Ich bedanke mich auch ausdrücklich bei den Vorsitzen
den vieler Ausschüsse, mit denen wir zu tun haben. Wir überwei
sen ja immer wieder Petitionen an die Ausschüsse und auch an
die Fraktionen; auch mit den Fraktionen gibt es eine gute Zusam
menarbeit.
Vielleicht habe ich Sie etwas lange aufgehalten. Ich bedanke
mich für das Zuhören!
[Allgemeiner Beifall]
Präsident Rebsch: Herr Kollege Baetge, ich möchte den
Bericht des Petitionsausschusses und insbesondere die münd
liche Ergänzung zum Anlaß nehmen, den Mitgliedern des Peti
tionsausschusses und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
des Sekretariats für ihre intensive und zeitaufwendige Arbeit im
Namen des ganzen Hauses zu danken.
[Allgemeiner Beifall]
Sie haben sich in der Berichtszeit als Kontrollorgan des Parla
ments und als Anwalt des Bürgers gegenüber der Verwaltung
wiederum Verdienste erworben. Nicht die große Politik ist ihr
Arbeitsfeld, sondern die Sorgen und Nöte des einzelnen Bür
gers. Dabei stellen sie unzweckmäßiges oder sogar unrecht
mäßiges Handeln sowie etwaige Untätigkeit der Behörden zur
Überprüfung.
Durch Ihre Arbeit, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle
gen im Petitionsausschuß, verschaffen Sie dem ganzen Haus
einen Überblick über die Schwierigkeiten im Umgang mit der
Verwaltung, über bürgerfremdes oder bürokratisches Verhalten.
Im Gestrüpp der für den Bürger oft unverständlichen Zuständig
keitsabgrenzungen und im Rahmen von freien Ermessensent
scheidungen haben Sie vielen Menschen in unserer Stadt schon
helfen können. Dafür gebührt Ihnen allen unser Dank!
[Allgemeiner Beifall]
Die lfd. Nr. 5, Drucksache 10/2032, ist durch die Konsensliste
erledigt.
Ich rufe auf
Lfd. Nr. 6:
a) Drucksache 10/2047:
Große Anfrage der Fraktion der SPD über Docu-
ment Center
b) Drucksache 10/2048:
Antrag der Fraktion der SPD über Berlin Docu-
ment Center
Das Wort zur Begründung hat der Kollege Dr. Meisner.
Dr. Meisner (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Her
ren I Der Diebstahl von Akten aus dem Berlin Document Center
ist in einer großen, zur Zeit noch nicht genau feststellbaren
Anzahl geschehen. Das ist nicht nur ein Kriminalfall, sondern das
wirft gleichzeitig ein Licht darauf, wie wir - die Gesellschaft im
westlichen Deutschland - mit den Zeugnissen der dunkelsten
Periode unserer Geschichte umgehen, und zwar mit Zeugnissen
über Menschen, die nach den zwölf Jahren Nationalsozialismus
in dieser Gesellschaft lebten, leben und die sie mitgestaitet
haben.
[Rösler (CDU): Wollen Sie die Amerikaner anklagen?]
Das ist der Punkt, der diesen Diebstahl zu einem besonderen
Diebstahl macht. - Ich habe Sie eben nicht verstanden, Herr
Kollege.
[Rösler (CDU): Wollen Sie die Amerikaner anklagen?]
- Nein, eher uns, weniger die Amerikaner. Eher uns!
Das Berlin Document Center ist im eigentlichen nicht - auch
heute noch nicht - ein echtes Archiv, sondern immer noch eher
ein Dokumentenlager. Offensichtlich gab es noch nicht einmal
ein Inventar; jedenfalls gab es kein durchpaginiertes Inventar,
aus dem man entnehmen konnte, was wirklich fehlte. Deshalb
kann man wohl einzelnen Akten ansehen, ob sie gefleddert
wurden; aber den Diebstahl belegen und den Inhalt der Doku
mente für die Forschung bewahren kann man nur dort, wo das
gestohlene Dokument schon auf Mikrofilm abgelichtet wurde -
und das ist erst etwa mit der Hälfte der Bestände geschehen.
Deshalb ist das Verschwinden von Dokumenten auch nicht im
DC selbst aufgedeckt worden, sondern andersherum: In der
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