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Volume Nr. 51, 7. Mai 1987

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1987, 10. Wahlperiode, Band IV, 50.-67. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
5t. Sitzung vom 7. Mai 1987 
Oxfort 
(A) stration am Sonnabend friedlich verläuft. Ich kann deshalb an 
den Senat nur die Bitte und die Aufforderung richten, alles zu 
tun, alles dazu beizutragen, daß es auf dem Kurfürstendamm 
nicht zu ähnlichen Krawallen kommt wie in den Jahren 1981 und 
davor oder wie jetzt in der Nacht zum 2. Mai in Kreuzberg. So 
schlimm das jetzt klingt, was ich sage: Kreuzberg ist zwar ein Teil 
von Berlin und liegt uns allen am Herzen, aber es ist ein Ort, der 
für viele Berliner Bürger ziemlich weit weg ist. 
[Dr. Lehmann-Brauns (CDU): Nicht so weit 
wie Spandau!] 
Kreuzberg ist ein Ort, der sozusagen ein exotisches Gepränge 
für sich in Anspruch nehmen kann. Mancher Bürger mag im Sin 
ne von Goethes „Faust“ denken, daß es schon ganz hübsch sei, 
zu Hause am Fenster zu sitzen, „wenn hinten weit in der Türkei 
die Völker aufeinander schlagen“. Wenn sich aber das gleiche 
am Kurfürstendamm, in der Innenstadt vollzieht, wenn es dort zu 
einem solchen Krawall kommt, dann ist ungeachtet des Umstan 
des, daß schon die Ereignisse in Kreuzberg weltweite Aufmerk 
samkeit erregt haben, eine Situation erreicht, in der sich jeder 
Berliner Bürger noch viel unmittelbarer bedroht fühlt. Deshalb 
muß alles getan werden, um Gewaltausübungen bei einer 
solchen Demonstration zu vermeiden. 
Man sollte an dieser Stelle an diejenigen, die diese Demon 
stration angemeldet haben, die Frage richten, ob sie für diese 
Demonstration bedacht haben, daß es zu solchen Entwick 
lungen kommt, und ob sie im übrigen selber hinreichend dafür 
Vorsorge getroffen haben, daß die Demonstration gewaltfrei 
bleibt. 
Ich möchte zum Schluß noch eine ganz einfache Volksweis 
heit zitieren, über die der eine oder andere lachen mag, die ich 
aber im wesentlichen für sehr liberal halte und die an jeden Bür 
ger in dieser Stadt gerichtet ist; 
Was du nicht willst, das man dir tu', 
das füg' auch keinem andern zu. 
^ [Beifall bei der F.D.P. und der CDU] 
Stellv. Präsident Longolius: Das Wort hat jetzt der Regie 
rende Bürgermeister. 
Diepgen, Regierender Bürgermeister: Herr Präsident! Meine 
sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke allen Debatten 
rednern für ihre Beiträge. - Mein erster Gedanke bei meinem 
Beitrag gilt den Verletzten, gilt den Geschädigten, gilt den 
Opfern dieses Gewaltexzesses vor knapp einer Woche. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Ihnen versichere ich unsere Solidarität und unsere unbürokra 
tische Hilfe. 
Diejenigen, die in der Nacht zum 2. Mai Krawalle angezettelt 
haben, geben vor, auf den Staat zu zielen. Getroffen haben sie 
ihren Nachbarn, kleine Gewerbetreibende, Polizisten, Feuer 
wehrleute und auch Selbsthilfeprojekte. Mit Abscheu und Em 
pörung stehen wir vor diesem Ausbruch von Gewalt. Ich möchte 
einen Kommentar des SFB zitieren und das unterstreichen, was 
darin ausgesagt wird: 
Auch diesmal wird es wieder Leute geben, die glauben, 
diesen irrationalen Ausbruch von Gewalt erklären und ver 
teidigen zu müssen. Das ist alles Unsinn. In dieser Nacht ist 
nicht der Deckel eines Kessels mit einem lange brodelnden 
Problem hochgegangen. Das war pure, nackte Gewalt 
gegen diese Stadt und ihre Menschen. Ich wüßte nicht, was 
man daran verteidigend oder verstehend erklären könnte. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Mein zweiter Gedanke gilt den Kreuzbergern. Wir werden 
nicht zulassen, daß der Name dieses Bezirks und der Bürger in 
diesem Bezirk einen schlechten Klang dadurch bekommt, daß es 
in Teilen von Kreuzberg diese Krawalle gab. Das hat die über 
große Mehrheit der Kreuzberger Bevölkerung nicht verdient. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Ich halte fest: Nicht Abwendung, sondern Zuwendung und Soli- (C) 
darität mit Kreuzberg ist jetzt gefragt. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Die Gewalttäter werden unseren liberalen und demokra 
tischen Rechtsstaat nicht zerstören können. Wenn sie etwas 
bewirkt haben, dann ist es - hoffentlich - die Erneuerung 
unseres demokratischen Konsenses, daß Gewalt kein Mittel der 
Politik sein darf, und ich wünsche mir, daß dieses über alle 
Parteigrenzen hinaus hier in Berlin wieder Wirklichkeit wird. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Der Senat wird - das hat der Kollege Kewenig im einzelnen 
ausgeführt - für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger überall 
in der Stadt und auch in Kreuzberg sorgen. Wir werden, Herr 
Kollege Oxfort, sicherlich sorgfältig prüfen, ob in bestimmten 
Gebieten der Stadt, wo die Bevölkerung gerne einkauft, wo es 
besondere, zusätzliche Belastungen gibt, angesichts der Ent 
wicklung der letzten Tage Demonstrationen durchgeführt wer 
den können. 
[Unruhe bei der SPD] 
Aber ich halte auch fest, daß ein Anspruch und ein Recht auf 
Demonstration besteht. Durch Gewalttätigkeiten lassen wir das, 
was in einem liberalen, demokratischen Rechtsstaat erkämpft 
worden ist, nicht in Frage stellen. 
[Vereinzelter Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Wir werden also immer sorgfältig abwägen. Der Anspruch der 
Bürger in Kreuzberg und am Kurfürstendamm auf Schutz ist 
gleich groß, damit darüber kein Zweifel aufkommt. 
Der Kollege Kewenig hat gesagt: Wir werden für den Schutz 
der Bürgerinnen und Bürger sorgen. Wir überlassen die Straße 
nicht der Gewalt. 
[Momper (SPD): Haben Sie doch - 
das ist des Fatale!] 
(D) 
Wir haben hier festzuhalten, daß die notwendigen Maßnahmen 
im organisatorischen Bereich der Polizei getroffen oder einge 
leitet werden. 
[Momper (SPD): Zu spät!] 
Der Kollege Kewenig verdient unser aller Vertrauen. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Ich bin ganz sicher, daß nach der Ablösung von Herrn Hübner 
die notwendigen strukturellen Veränderungen in der Polizei 
a) durchgeführt werden können und b) werden. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P. - 
Momper (SPD): Zu spät! 
Herr Kewenig hat unser Vertrauen nicht! - 
Weitere Zurufe von der SPD] 
Aber dazu braucht die Polizei unsere Solidarität. Sie ist nicht der 
Büttel des Staates, sondern Ausdruck des staatlichen 
Anspruchs auf die Durchsetzung von Recht und Gesetz, und das 
Recht dient zuerst dem Schutz des Schwachen. Das muß vor 
allen Dingen denjenigen gesagt werden, die in Kreuzberg be 
denkliche Argumente in den Vordergrund stellen und das 
Gewaltmonopol des Staates in Zweifel ziehen. Jeder muß sich 
darüber im klaren sein, daß derjenige, der das Gewaltmonopol 
des Staates in Frage stellt, letztlich den Schutz des Schwachen 
in Frage stellt. Denn das Gewaltmonopol des Staates dient aus 
schließlich dem Schutz des Schwachen. 
[Starker Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Der Senat hat natürlich nach den Ursachen geforscht. Dabei 
muß zuerst festgehalten werden, daß glatte Antworten hier 
sicher nicht weiterhelfen. Es soll keiner aufstehen und hier eine 
Musterantwort parat haben und Patentrezepte anbieten. Wir 
haben es vielmehr mit einem vielfältigen Bündel von Ursachen zu 
tun, die alle zusammengewirkt haben. Ich will einige nennen und 
zugleich mögliche Antworten aufzeigen: Eine der Ursachen ist 
gewiß die, daß es in Berlin wie ebenso in anderen Städten eine 
kleine Gruppe von Leuten gibt, die sich selbst Autonome nen- 
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