Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
65. Sitzung vom 10. Dezember 1987
Wieland
(A) Welche Konsequenzen dieser Haushalt aus dem 1. Mai zieht,
ist offensichtlich. Es ist die Fortführung der Linie von Rigorosität
und Härte und deren materielle Absicherung. Der Senator be
hauptet, daß die Formulierung „Rigorosität und Härte“ eine Erfin
dung von mir sei. Woher er das hat, ist unerfindlich. Es sind seine
eigenen Worte nach dem 1. Mai, von der Presse zitiert, von ihm
nie dementiert. Das können wir Ihnen Vorhalten, Herr Senator.
Wir pflegen auch, wie der Regierende Bürgermeister es fordert,
mit Fußnoten zu arbeiten.
Dieser Senator hat sich seit seinem Amtsantritt als Gegner
des Demonstrationsrechts, insbesondere des Demonstrations
rechts auf dem Kurfürstendamm profiliert. Er hat die Polizisten
morde in Frankfurt zum Anlaß genommen, auch hier vorzupre
schen und eine Rückkehr zum wilhelminischen Landfriedens
bruchparagraphen zu fordern, ja sogar noch darüber hinaus
gehend im Sinne einer Pönalisierung der Zusammenrottung
auch dann eingreifen zu können, wenn noch nicht einmal der Be
griff der Menge vorliegt, also wenn auch einzelne sogar vor Be
gehung konkreter Gewaltakte festgestellt und festgenommen
werden können. Insgesamt soll mit dieser von Kewenig vorge
schlagenen Vorgehensweise der Polizei die Möglichkeit zu
einem deeskaiierenden Einsatz genommen werden. Vermum
mungsverbot ist Verdachtsstrafrecht; es ist der Beginn, wie es
Rainer Hamm für den Deutschen Anwaltsverein formuliert hat,
eine Mitwirkungspflicht des Betroffenen in seiner eigenen Straf
sache zu statuieren und ins Strafgesetzbuch zu schreiben. Des
wegen ist der Deutsche Anwaltsverein, deswegen ist - mög
licherweise, erfreulicherweise - die F.D.P.-Fraktion in Berlin da
gegen, deswegen sind sehr viele dagegen. Herr Kollege Oxfort
wird sein abweichendes Votum möglicherweise auch noch vor
tragen.
Der Senator trat an - auch dies bestreitet er - mit der Parole,
den Ku'damm demonstrantenfrei zu halten. Er ist da ein Stück
weitergekommen. Das hat er in dieser Woche stolz verkündet.
Am Adventsnachmittag habe das Verwaltungsgericht ihm recht
’B) gegeben. Warum denn aber, Herr Senator, lassen Sie dann
noch diese Broschüre publizieren, die Sie bei Ihrem Spezi Prof.
Schwerdtfeger bestellt haben, die aus Haushaltsmitteln finan
ziert wird und die doch das Ziel erreichen sollte, die Richter am
Verwaltungsgericht endlich auf Ihre Rechfsansicht über das
Brokdorf-Urteil herüberzuziehen? Das haben Sie doch offen
sichtlich schon vorher erreicht. Sparen Sie doch die Ausgabe für
diese Broschüre, ganz abgesehen von der aparten Auffassung
von Gewaltenteilung, die diesem Gutachten und dieser Einfluß
möglichkeit weniger zugrunde liegt. Allen Ernstes hat dieser
Senator, bezogen auf die Vobo-Demonstration, vor dem Verwal
tungsgericht Vorfragen lassen, insbesondere westdeutsche Tou
risten würden in ihrer Boulevarderwarfung auf dem Kurfürsten
damm empfindlich gestört, wenn sie dort ausgerechnet Demon
stranten sähen, und das ginge nicht, und deswegen müsse er
durchsetzen, daß dieser Boulevard demonstrantenfrei bleibt. Es
war aber nur ein halber Sieg, denn das Verwaltungsgericht hat
auch entschieden, daß innerhalb der City an diesem Nachmittag
demonstriert werden dürfe und daß die Demonstration auch am
Verwaltungsgericht vorbei zum Steinplafz geführt werden
konnte.
Wie gesagt, er bestreitet, derlei Pläne gehabt zu haben, er be
streitet, überhaupt ein Konzept gehabt zu haben. Er hat den Inne-
nausschuß damit überrascht, daß er gesagt hat: Danach werde
ich immer gefragt, auch bei meinem Amtsantritt; das ist aber in
Wirklichkeit totaler Unsinn, entscheidend in der Politik ist die
Personalpolitik, entscheidend ist es, die richtigen Personen an
die richtigen Stellen zu bringen; nur dies zählt. - Und er hat hin
zugefügt: Deswegen auch mußte der Polizeipräsident vergrault
werden, denn dessen Kardinalfehler sei gewesen zu glauben, er
sei der Größte. - Und das war nun für Hübner tatsächlich ein tra
gischer Irrtum, denn der wahrhaft Größte in dieser Stadt ist und
bleibt nun einmal Wilhelm A. Kewenig.
[Sen Dr. Kewenig: Vielen Dank! -
Gelächter]
- Bitte schön! - Und er hat ja nun auch einen Polizeipräsidenten
nach seinem Gusto, nämlich Herrn Schertz, jenen Polizeipräsi
denten, der sich allen Ernstes, im Gegensatz zu seinem Namen, (C)
allen Ernstes damit brüstete, daß er zu nächtlicher Stunde die
Schnapsidee der polizeilichen Totalabriegelung von SO 36 er
funden habe, und der heute noch darauf stolz ist. Aber offenbar
ist das Vertrauen, daß Sie solche schwachen
[Sen Dr. Kewenig: So viele alte Karmellen,
Herr Wieland!]
Polizeipräsidenten - jetzt kommt der Blick in die Zukunft - auch
in Zukunft haben werden, unter sich haben werden, nicht sehr
groß, denn dies läßt Sie immer noch daran basteln, die Abwahl
und die Wahl des Polizeipräsidenten durch dieses Parlament ab
zuschaffen. Von der gesamten Verwaltungsreform, von den Vor
schlägen des Rates der Weisen ist so gut wie gar nichts übrig
geblieben, wird so gut wie gar nichts durchgeführt, außer dieser
Möglichkeiten des Parlaments, auch bezogen auf die Wahl der
Senatoren, auf die eigene Wahl, einzuschränken und hieran wei
ter zu basteln. Sonst geschieht auf dem Gebiet der Verwaltungs
reform so gut wie gar nichts.
Die direkte Ausprägung dessen, was am 1. Mai geschehen ist,
die sozusagen personifizierte Rache für den 1. Mai, ist die EbLT,
ist die Einsatzbereitschaft für besondere Lagen und einsatzbezo
genes Training, die Truppe, die vor allem bekannt wurde durch
den Wackersdorf-Einsatz, deren Geist kenntlich wird in den Pull- J
overn, die nicht sie, sondern die EB 43 in Auftrag gegeben |
hat, mit dem Aufdruck „veni, vidi, vici“, Cäsars Triumphatorjubel:
„ich kam, ich sah, ich siegte“ - das ist der Geist, der diese Elite
truppen beseelt. Senator Kewenig läßt nicht locker, weiter daran
zu basteln. Heute konnte man im „Volksblatt“ diese vermummte
Gestalt sehen, mit einem Barrett mit so einer Art Edelweiß daran;
sie sollen jetzt auch, ähnlich wie die GSG 9, eine paramilitäri
sche Kopfbedeckung bekommen, damit auch jedem klar wird,
daß es sich hier nicht etwa um normale Polizeieinheiten handelt,
sondern um die Elitetruppe dieses Senators.
[Zuruf von Sen Dr. Kewenig]
- Das steht Ihnen sehr gut! - Und es war ein politischer Fehler, (W
der erst jetzt nach und nach deutlich wird, ausgerechnet diese
Truppe nach Wackersdorf zu bringen,
[Sen Dr. Kewenig: Es war die beste Reklame!]
- Nun warten Sie ab, die beste Reklame! - dort ist sie einmal bei
Tage agierend und nicht nachts in Kreuzberg Menschen zusam
menschlagend, sondern bei Tageslicht agierend auf die Presse
gestoßen, auf die Öffentlichkeit der Bundesrepublik gestoßen,
und das Echo war auch entsprechend. Es war ein Aufschrei der
Empörung und ein Aufschrei des Entsetzens, der durch die Bun
desrepublik ging.
[Wienhold (CDU): Bei Ihnen!] I
- Nicht bei uns, sondern bei den sogenannten Normalbürgern,
die am Zaun dieser Wiederaufbereitungsanlage leben müssen,
die etliche Polizeieinsätze zuvor schon gesehen hatten und die
übereinstimmend hier, nach Berlin gereist, auf einer Pressekon
ferenz gesagt haben, das, was dort die Berliner abgezogen
haben, haben sie noch nicht gesehen. Der Senator und sein
Staatssekretär haben zunächst im Innenausschuß bestritten, daß
es dort überhaupt irgendeinen Vorfall gegeben hat, daß etwas
Außergewöhnliches geschehen sei. Auch hier kommt wieder
Stück für Stück vom Element der Wahrheit durch. Kittlaus gibt
inzwischen immerhin zu, daß am Vorabend dieses Einsatzes zwei
Ohrfeigen auf dem Marktplatz in Schwandorf verteilt wurden.
Und zu dem Bauzaun wird noch mehr herauskommen. Das Bild,
das ursprünglich gezeichnet wurde, wofür Sie die Hand ins
Feuer gelegt haben, Herr Senator, war, daß am Vorabend auf
dem Marktplatz in Schwandorf es überhaupt keine Berührung
mit der Bevölkerung gegeben hat, daß die EbLT dort lediglich
herangestürmt sei und daraufhin sich dieser Platz wie von Gei
sterhand geleert hätte. - Das war ganz sicher eine falsche Schil
derung, die, wie gesagt, nach und nach zusammenbricht.
In der Konfrontation mit sogenannten Normalbürgern, von
denen man nicht das Horrorbild der vermummten Chaoten zeich
nen kann, in dieser Konfrontation bricht immer Ihre sogenannte
Legitimationsgrundlage zusammen, da müssen Sie auf einmal
3912