Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
64. Sitzung vom 3. Dezember 1987
Schneider
(A) Jahre hinweg die inländische Investitionstätigkeit so schlecht.
Und das ist dann die dritte Feststellung: Die Privaten nutzen
schon jetzt trotz Raum und Geld ihren Spielraum nicht. Hier setzt
im Interesse der arbeitslosen Menschen eben die Verantwortung
des Staates ein, der auch Sie sich nicht entziehen können, ohne
gegen das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes zu verstoßen.
Wer sich zur sozialen Marktwirtschaft bekennt, und ich
tue das ohne Wenn und Aber, der muß allerdings auch die
arbeitsmarktpolitische Verantwortung des Staates sehen und
sich ihr auch stellen. Dieser Verantwortung aber wird die
vorgelegte Finanzplanung in keiner Weise gerecht.
[Beifall bei der SPD]
Sie sind in Ihrer Rede sehr schnell über den bestürzenden Tat
bestand am Anfang hinweggehuscht, demzufolge sich die In
vestitionsquote stark verringert. Noch in der vorherigen Planung,
die wir vor einem Jahr behandelt haben, war nur ein Absinken von
18,2 auf 17,9% vorgesehen. Nunmehr soll sie bis 1991 auf
16,4 % zurückgehen. Schlagen Sie nach! In absoluten Zahlen
ausgedrückt heißt dies gegenüber der Planung noch vor einem
Jahr, daß Sie jetzt für den neuen Planungszeitraum ca. 720 Mil
lionen DM Investitionen weniger veranschlagen. Damit ist der
Anstieg der Arbeitslosigkeit vorprogrammiert.
Dann speziell zu dem, was die Bauwirtschaft betrifft: Welcher
verirrte Weihnachtsmann hat Ihnen denn erzählt, daß die Situa
tion der Berliner Bauwirtschaft passabel sei? Wie sagten Sie:
„Die Bauwirtschaft ist gut beschäftigt.“ - Ein Anruf bei Herrn Teuf-
fert hätte genügt. Wir haben derzeit 4 600 Arbeitslose allein im
Bauhaupfgewerbe, und das sind 300 mehr als vor einem Jahr.
[Buwitt (CDU): Das ist doch falsch, was Sie da sagen!]
Hinzu kommen 1 800 Kurzarbeiter und alle die, die jetzt schon -
weil sie dadurch aus der Arbeitslosenstatistik oder der Kurzar
beiterstatistik verschwinden - Schlechtwettergeld bekommen.
Da reden Sie davon, daß die Bauwirtschaft gut beschäftigt sei!
(B) Offenbar brauchen Sie diesen Märchenglauben, um damit zu
rechtfertigen, daß nach der Finanzplanung die Zahl der öffent
lich geförderten Neubauwohnungen auf 5 000 jährlich zurück
gefahren wird. Und Sie brauchen diese märchenhafte Begrün
dung, um in die Finanzplanung hineinzuschreiben, daß im
Bereich von Modernisierung und Instandsetzungsförderungen
vorgesehen ist, die Zahl der Wohnungseinheiten von 15 650 auf
schließlich 11 390 im Jahre 1991 zurückzufahren. Wie Sie hiermit
allein die vorhandenen Kapazitäten auslasten geschweige denn
diese noch ausweiten wollen, das bleibt wirklich Ihr persönliches
Geheimnis!
[Beifall bei der SPD]
Sie räumen ein, daß es not tue, eine expansive Wirtschafts
und Finanzpolitik zu fahren. Richtig! In der vor einem Jahr vorge
legten Finanzplanung sah es noch so aus, daß eine jährliche
Steigerung von wenigstens 2,7 % veranschlagt war. In dieser
Fassung jetzt von 1987 bis 1991 sind Sie mit der jährlichen Stei
gerung auf 2,4 % zurückgegangen. Nennen Sie das etwa Expan
sion? Auch hier hätte ein rechtzeitiger Blick auf das Zahlenwerk
den Wahrheitsgehalt mancher Ihrer Ausführungen durchaus er
höht.
Im Umweltbereich gibt es zum Beispiel eine Fülle von Heraus
forderungen, bei deren Bewältigung es durchaus zu positiven
Beschäftigungseffeklen kommen könnte. Dieser Haushalt
wächst aber nun nicht etwa um wenigstens diese 2,4 % jährlich,
nein, auf Seite 103 der Vorlage ist dazu klipp und klar zu entneh
men, daß für diesen Haushalt eine Steigerungsrate von ganzen
2,1 % für den Vierjahreszeitraum insgesamt vorgesehen ist. Wo
ist denn da die Expansion?
Dann allerdings scheint diesen Senat - und das mag eine
Begründung sein - nicht nur die Unkenntnis der von ihm getrof
fenen Beschlüsse auszuzeichnen, es gibt hier offenbar im Senat
auch grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten. Wie anders
kann ich es verstehen, wenn der Regierende Bürgermeister
noch am vergangenen Sonnabend auf dem Landesparteitag der
Berliner CDU folgendes sagt:
In Berlin gibt es eine Fülle von Herausforderungen. Jeder- (C)
mann sichtbar sind die weiteren Aufgaben in der Baupolitik,
im öffentlichen Personennahverkehr, im Umweltschutz -
von der Grünerhaltung bis zum Industrieflächenrecycling.
Hier können neue Arbeitsplätze geschaffen werden, gerade
Arbeitsplätze durch Umweltschutz. Dieses Programm wer
den wir verwirklichen. Hier hilft die Steuerpolitik, hier hel
fen staatliche Aufträge.
[Beifall bei der CDU]
- Sie können wirklich alle klatschen, das ist vernünftig, diese
Sache.
[Beifall bei der CDU, der SPD und der F.D.P.]
Und nun - wäre er früher gekommen, hätte der Regierende Bür
germeister sich schon heute anhören müssen, was der Finanz
senator sagt?
Wer da aber meint, nun legen wir Geld heraus und machen
ein Programm und garnieren das mit den Begriffen „Ver
kehrsinnovation, ÖPNV und Umweltschutz“ und beseitigen
damit die Arbeitslosigkeit, der liegt falsch und geht auf
Bauernfängerei.
Meine Herren! Im Prinzip können Sie von mir aus im Senat
streiten, soviel Sie wollen. Je mehr desto besser! Aber bitte
nicht an diesem Punkt, weil dieser Streif auf Kosten der
Arbeitslosen geht. Und das haben sie nicht verdient!
[Beifall bei der SPD]
Deshalb gehen Sie endlich in die Investitionsoffensive. Die
Arbeitsfelder liegen in dieser Stadt buchstäblich auf der Straße,
die Arbeitslosen sind beim Arbeitsamt gemeldet. Die beste
Schule für die durchaus notwendige Qualifikation ist noch immer
die praktische Arbeit.
Spätestens an dieser Stelle ist es an der Zeit, sich über die (D)
Finanzierung derartiger unabdingbarer Aufgaben Gedanken zu
machen. Ich sage hier offen, wenn dieser finanzpolitische Offen
barungseid, auch als mittelfristige Finanzplanung 1987 bis 1991
bezeichnet, Realität wird, dann läuft nichts mehr, weder im
Umweltschutz noch auf dem Arbeitsmahkt. Von der Rücknahme
der Investitionen um über 700 Millionen DM habe ich bereits ge
sprochen.
Auf das Erfordernis pauschaler Minderausgaben für die Jahre
1988 bis 1991 bei den konsumtiven Sachausgaben im Umfang
von 500 Millionen DM haben Sie, Herr Rexrodt, ja schon etwas
verschämt hingewiesen. Das heißt aber auf deutsch, daß das
natürlich erst einmal eine Deckungslücke von 500 Millionen DM
bedeutet. Ferner sieht diese mittelfristige Finanzplanung einen
nicht konkretisierten Ausgabenüberhang in Höhe von ca. 360
Millionen DM vor. Das macht zusammen, wenn man sich an den
Grundsatz von Klarheit und Wahrheit hält, schon eine Deckungs
lücke von 860 Millionen DM. Und unter Beachtung des eben ge
nannten Grundsatzes müssen Sie doch die 345 Millionen DM zu
hoch veranschlagter Bundeshilfe für Berlin dazuzählen. Ich halte
es für schlicht unseriös, wie Sie nach Ihren diesjährigen Bundes
hilfeverhandlungen für 1988, wo Sie ja auch schon mit 100 Mil
lionen DM weniger als erhofft zurückgekommen sind, für die
Jahre 1989 bis 1991 noch einmal 345 Millionen DM mehr hier in
Berlin veranschlagen, als überhaupt der Bund in seiner Planung
vorgesehen hat. Der Bund hat erstens aufgrund der Steuer
reform selbst kein Geld, und zweitens hat Berlin in den zurücklie
genden Monaten und Jahren wirklich nicht immer den Eindruck
erweckt, daß es mit der Bundeshilfe sorgfältig und sparsam um
zugehen weiß.
[Beifall bei der SPD]
Ich verweise hier zum Beispiel auf eine wirklich schlimme
„Tagesschau“-Sendung vor etwa 4 Wochen - an einem Sonntag
- im Zusammenhang mit der kostspieligen vorzeitigen Eröffnung
des Kammermusiksaales.
[Beifall bei der SPD]
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