Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
64. Sitzung vom 3. Dezember 1987
Sen Dr. Rexrodt
(A) Und dann gibt es noch andere Überlegungen - quer durch
die Parteien im übrigen. Da versteht man Beschäftigungspro
gramme als ein „Durchschleifen“ von Arbeitslosen im öffent
lichen Dienst oder in öffentlichen Betrieben. Arbeitsplätze, die
dort geschaffen werden - als ob dies so einfach etwas brächte
für die Menschen, die dazu herangezogen werden sollen, die
sich sehr schnell, wenn man das nicht richtig macht, als fünftes
Rad am Wagen verstehen müßten. Oder wie versteht man das
für die öffentlichen Institutionen, die so etwas gar nicht leisten
können, es sei denn - und das sind wir wieder da, wo wir waren
- im Rahmen von Qualifizierungsmaßnahmen? Das ist der Aus
gangspunkt. Da sind wir dort, wo der Senat zusätzliche Maßnah
men in diesen Tagen, in diesen Wochen vorbereitet. Das werden
Maßnahmen sein, die auf zusätzliche Arbeitsplätze gegebenen
falls auch im öffentlichen Bereich hinauslaufen. Es sind aber im
mer Arbeitsplätze, mit denen eine Qualifizierung verbunden sein
muß und wird und kein Durchschleifen im öffentlichen Dienst für
sinnlose Maßnahmen, die auch die Menschen, die dazu herange
zogen werden sollen, nicht befriedigen.
Ich bin sehr für das Engagement auch der öffentlichen Hand
bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, auch für eine fiskalpoli
tische Öffnung, auch für sinnvolle Azente. Aber wer da meint,
nun legen wir mal Geld raus, machen mal ein Programm garnie
ren das mit den innovativen Begriffen „Umweltschutz“ und „Ver
kehrstechnologie“ und beseitigen damit die Arbeitslosigkeit, der
liegt falsch oder geht damit bewußt auf Bauernfängerei.
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU]
Was not tut, ist neben einer zweifellos expansiven Wirt
schafts- und Finanzpolitik, neben sinnvollen Qualifizierungs- und
Beschäftigungsmaßnahmen - das ist meine persönliche Über
zeugung - mehr Beweglichkeit unseres Tarif- und Arbeitsrechts,
und zwar nicht, um soziale Errungenschaften abzubauen, die die
Grundlage unseres gesamtstaatlichen Konsenses sind, nein,
sondern um die Firmen dazu zu bringen, ihren Attentismus bei
der Einstellung von wenig qualifizierten Menschen zu überwin-
(B) den. Ich würde darüber im übrigen sehr gern ausführlich
sprechen; dies ist aber leider im Rahmen einer Aussprache zur
mittelfristigen Finanzplanung nur bedingt möglich.
Der Senat erteilt eine Absage an kreditfinanzierte, „unintel
ligente“ Beschäftigungsprogramme. Kein dauerhafter
Arbeitsplatz würde geschaffen werden, sondern lediglich eine
dauerhafte Schieflage der Finanzen in Berlin und gegebenenfalls
auch woanders. Der Schuldendienst würde jegliche Handlungs
fähigkeit zunichte machen! Schon jetzt summieren sich die Aus
gaben für Zinsen im Planungszeitraum auf fast 12 Milliarden DM.
Sie steigen von 2,2 Milliarden DM im Jahre 1987 auf 2,6 Milliar
den DM im Jahre 1991. 1990 wird die Netto-Kreditaufnahme bei
950 Millionen DM liegen und damit 500 Millionen DM höher als
ursprünglich erwartet. Verursacht wird diese - ich sage einmal:
vorübergehend - erhöhte Kreditaufnahme im wesentlichen
durch die Ausfälle im Zusammenhang mit der Steuerreform. Ich
rede aber bewußt von einer vorübergehenden Erhöhung.
Ziel des Senats ist es, ab 1991 die gesamtwirtschaftliche
Lage auch dadurch zu verbessern, daß er die Kreditaufnahmen
zurückführt. Leicht wird dies nicht sein, auch wenn dann die
Steuereinnahmen wieder stärker wachsen werden. Deshalb muß
ich schon heute von einer anderen Seile Flankenschutz haben,
nämlich von der Seite her, daß die Ausgaben konsequent be
grenzt bleiben müssen. Wichtige stadtpolitische Vorhaben wer
den wir in Berlin im Sozialbereich, im kulturellen, im städtebau
lichen, im wirtschaftspolitischen Bereich, in allen wichtigen
Bereichen, weiterhin durchführen können, sie müssen aber nach
Prioritäten geordnet sein. Insofern erteilt der Senat einer Politik
die Absage, die unter der Überschrift stünde „alles auf einmal“.
Alles auf einmal ist nicht machbar!
Der Senat vertritt die Auffassung, daß die Überforderung der
öffentlichen Finanzen beendet werden muß. Der privaten Initia
tive muß mehr Raum gegeben werden. Was die Privaten besser
und erfolgreicher als der Staat machen können, gehört in private
Hände, und für private Hände müssen die steuerlichen Fesseln
beseitigt werden. Das will die Steuerreform in ihren drei Etappen
erreichen.
Mit der Steuerreform verzichtet der Staat, verzichten die (C)
öffentlichen Hände insgesamt auf 64 Milliarden DM. Die Steuer
ausfälle Berlins machen von 1988 bis 1991 rund 3,1 Milliarden
DM aus. Weniger Steuern bedeutet weniger öffentliche Hand,
also auch, daß die Anforderungen an den Berliner Haushalt
begrenzt bleiben müssen. Es bedeutet auf der anderen Seite
mehr Möglichkeiten für privates Engagement. Es bedeutet, daß
45 Milliarden DM von diesen 64 Milliarden DM in den Taschen
der Bürger und der Wirtschaft bleiben. Das schafft Arbeits
plätze, und das schafft - davon bin ich überzeugt - letztlich auch
wieder steigende Steuern.
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU]
Daß Berlin in relativ hohem Maße zur Finanzierung der Steuer
reform herangezogen werden soll, macht diese keinesfalls un
glaubwürdig. Sicherlich kann man aus Berliner Sicht Steuer
reform und Berlinförderung nicht einfach trennen. Man kann aber
eine gesamtwirtschaftlich unverzichtbare Maßnahme, die die
Steuerreform nun einmal darstellt, nicht einfach deshalb ableh
nen, weil einem der eigene Finanzierungsbeitrag nicht gefällt.
Das mag eine politische Opposition fordern, verantwortliches
Handeln im Rahmen einer Regierungspolitik ist das aber nicht.
Hätten wir uns so verhalten, dann hätten wir mehr verspielt als
gewonnen. Deshalb werden die Berliner Abgeordneten von
CDU und F.D.P. in Bonn der Steuerreform zustimmen, sich zu
dieser Steuerreform bekennen.
Über die Kürzung der Berlinförderung ist vieles öffentlich
bereits gesagt worden, auch hier. Wir werden heute noch einmal
im Zusammenhang mit der Antwort auf die Große Anfrage der
SPD darauf eingehen. Nur so viel lassen Sie mich hier sagen; Mit
diesem Ergebnis müssen wir leben! Eine geringere Kürzung war
nicht erreichbar. Ich füge hinzu: Es bleibt eine besondere Bela
stung der Berlinerwirtschaft, es ist aber keine Katastrophe, vor
der wir stehen. Es ist kein Einbruch in die Substanz der Berlinför
derung und schon gar nicht ein Alibi für diejenigen, die ohnehin
mit dem Standort Berlin nicht viel im Sinn hatten. Es ist ein Opfer,
ein Sonderopfer, das nicht wiederholbar sein kann. Lassen Sie (D)
uns aber die Debatte über die Kürzung und über die Feineinstel
lung der Maßnahmen im Interesse der Stadt, im Interesse aller
schnell führen.
Die Haltung in Bonn, die ich nicht als berlinfeindlich bezeich
nen würde, die aber zunehmend emotionsloser gegenüber Ber
lin wird, muß uns auch mahnen, mit dem Geld anderer sehr sorg
sam umzugehen. Wir stehen in einem Beziehungsfeld, wir
können nicht machen, was wir wollen, auch wenn es noch so
wünschenswert ist. Ob wir das nun hier in Berlin wahrhaben wol
len oder nicht, wir müssen mit diesem Bonner Sachverhalt leben.
Im Umkehrschluß muß mehr denn je darauf gesetzt werden,
die eigenen Kräfte zu stärken. Hier sind wir ein gutes Stück
vorangekommen; die Strukturen der Haushalte der letzten Jahre
zeigen das. Die Sleuerquote - Ausdruck gestiegener Wirt
schaftskraft - bleibt trotz der Steuerausfälle, die ich ja mit mehr
als einer Milliarde DM bezeichnet habe, stabil; sie pendelt sich
ein bei einer Größenordnung von 24%.
1983 lag der Anteil der Steuern am Haushalt noch bei nur
22%. Unsere wichtigste Einnahmequelle - die Bundeshilfe -
war Anfang der 80er Jahre für viele außerhalb Berlins Anlaß
zu herber, pauschaler Kritik an Berlin. Der Anteil der Bundeshilfe
am Berliner Haushalt drohte, das Gros am Berliner Haushalt
überhaupt zu werden. Ich erinnere an Befürchtungen, daß sich
die Bundeshilfe einpendeln könnte bei einem Wert von rund
60 %. Dieser Wert wäre aus meiner Sicht katastrophal gewor
den in der öffentlichen Verkaufbarkeit Berlins drüben bei den
Menschen in Westdeutschland. Dieser Senat hat durch eine
konsequente Politik von Ausgabenbegrenzung und Stärkung der
eigenen Einnahmekraft erreicht, daß sich die Bundeshilfe heute
in einer Größenordnung von um die 50 % eingependelt hat. Das
bleibt auch in den nächsten Jahren so! Dies belegt die Anstren
gungen und Erfolge Berlins; die Strukturen des Haushaltes sind
- bei allen Problemen - ins Lot gebracht worden. Ich sage dies
auch mit Blick auf Bonn. Wenn wir für Berlin heute eine stärker
wachsende Bundeshilfe für das Jahr 1989 fordern, dann tun wir
dieses mit gutem Gewissen. Wir brauchen nicht den Einwand zu
3819