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Volume Nr. 63, 26. November 1987

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1987, 10. Wahlperiode, Band IV, 50.-67. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
63. Sitzung vom 26. November 1987 
Sen Fink 
Wir werden damit weiter vorankommen müssen! Auch in An 
betracht erheblicher Summen, die in diesem Zusammenhang 
notwendig sind, ist es dennoch richtig, daß wir uns darauf kon 
zentrieren, denn Schwerbehinderte müssen auch dort ihre Mög 
lichkeit haben, am Verkehr ganz ungehindert teilnehmen zu kön 
nen. 
Heute sprechen wir über das Thema Wohnsifuafion der Be 
hinderten. Wir sprechen dieses Thema nicht zum erstenmal an, 
denn wir sind vor allem den Behinderten gegenüber rechen 
schaftspflichtig, die die Bedürfnisse nach speziellen Wohnfor- 
men haben. Wir wollen ihren Bedürfnissen wirklich Rechnung 
tragen. Lassen Sie mich deshalb folgende Grundsätze vortra 
gen, nach denen der Senat seine Politik ausrichtet. 
Selbständiges Wohnen hat Vorrang vor allen anderen mög 
lichen Wohnformen. Die Betreuung durch Angehörige ist an 
deren Formen der Zuwendung vorzuziehen. Die Betreuung 
durch professionelle Kräfte ist allerdings auch in dem notwen 
digen Umfang sicherzustellen. Offene Wohnformen haben Vor 
rang vor stationärer Versorgung. Die unterschiedlichen Wohn- 
angebote sind dezentral über die ganze Stadt zu verteilen. Dabei 
muß die Verkehrsanbindung, müssen die Einkaufsmöglichkeiten 
und Freizeitangebote bei der Standortwahl berücksichtigt wer 
den. Auch das Wohnumfeld muß behindertengerecht gestaltet 
werden. 
Wenn wir über die verschiedenen Wohnangebote für Behin 
derte sprechen, müssen wir auch die verschiedenen Arten von 
Behinderungen unterscheiden. Dem weitaus überwiegenden 
Teil der Behinderten ist es trotz ihrer Behinderung möglich, selb 
ständig in einer ganz normalen Wohnung zu leben. Für Blinde 
und Gehörlose läßt sich nahezu jede Wohnung problemlos mit 
den nötigen Hilfsmitteln ausstatten. Rollstuhlfahrer benötigen 
spezielle behindertengerechte Wohnungen. Heute gibt es in 
Berlin insgesamt 753 solcher rollstuhlgerechter Wohnungen. 
Ca. 60 weitere Wohnungen werden zur Zeit gebaut, und zusätz 
lich befinden sich 180 rollstuhlgerechte Wohnungen in der Pla 
nung. Das Gesamtvolumen umfaßt somit knapp 1 000 Wohnein 
heiten. 
[Wieland (AL): Reicht nicht aus!] 
Aber wir haben auch noch einen weiteren, bisher ungedeckten 
Bedarf an rollstuhlgerechten Wohnungen, Dies zeigt die Zahl 
von 553 Vormerkungen, die beim Landesaml für Zentrale Soziale 
Aufgaben registriert sind. Wir dürfen also auch in Zukunft nicht 
nachlassen, den bisher erreichten Stand den tatsächlichen Be 
dürfnissen anzupassen. 
Zu leicht wird vergessen, daß es nicht nur körperlich Behin 
derte gibt. 
[Eggert (AL): Sehr richtig!] 
Daher haben wir in den letzten Jahren einen besonderen 
Schwerpunkt auf die Betreuung und Versorgung geistig Behin 
derter gelegt. Gerade auf diesem Gebiet besteht ein Nachhol 
bedarf. Wir konnten die Plätze in betreuten Wohnformen für 
geistig Behinderte und Lernbehinderte von 30 im Jahre 1984 auf 
jetzt 81 steigern. Die Plätze in Wohngemeinschaften für geistig 
Behinderte erhöhten sich in demselben Zeitraum auf 188, und 
die Zahl der Heimplätze für geistig Behinderte stieg von 91 im 
Jahre 1984 auf immerhin über 300 in diesem Jahr. Ich glaube, 
daß diese Bilanz sich insgesamt sehen lassen kann, trotzdem 
müssen wir prüfen, welche Wohnangebote für geistig Behin 
derte wir in den nächsten Jahren noch weiter ausbauen müssen. 
Für die Gruppe der psychisch Kranken können wir heute über 
300 Plätze in therapeutischen Wohngemeinschaften bereitstel 
len. Das ist immerhin fast doppelt so viel wie im Jahre 1984. In 
Übergangsheimen für psychisch Kranke und Behinderte stehen 
heute auch knapp 200 Plätze zur Verfügung. Neben diesen Plät 
zen für unterschiedliche Arten der Behinderung sind auch wei 
terhin Heime für Behinderte notwendig, wo eine Rund-um-die- 
Uhr-Betreuung gewährleistet werden muß. Die Zahl der Heim 
plätze insgesamt für Erwachsene ist von 271 im Jahre 1984 auf 
456 bis heute gestiegen. Dabei konnten insbesondere die Heim 
plätze für geistig Behinderte gesteigert werden. 
An dieser Stelle möchte ich auch den Trägern der verschie 
denen Behinderteneinrichtungen danken. Ihnen vor allem ist es 
zuzurechnen, daß wir den heutigen Stand erreicht haben. Die 
Planungen dieser Träger wurden von uns vollständig angenom 
men und gefördert. So ist in der Anmeldung zur Investitions 
planung bzw. im Haushalt 1988 bereits ein neuer Bedarf von 
weiteren 200 Heimplätzen eingeplant. 
So stolz wir auf der einen Seite auf das Erreichte sein können, 
wir dürfen uns darauf nicht ausruhen. Wir sind den behinderten 
Mitbürgern gegenüber Rechenschaft schuldig, ob wir genügend 
Wohnangebote und ob wir die richtigen Wohnangebote in aus 
reichender Zahl zur Verfügung stellen. Ziel muß es sein, jedem 
Behinderten die seiner Behinderung entsprechende Wohnmög- 
lichkeit zur Verfügung zu stellen. Gerade die Eltern von Behinder 
ten machen sich Gedanken und Sorgen um die Zukunft ihrer Kin 
der. Wir nehmen diese Sorgen sehr ernst. Sie sind für mich wich 
tiger als vieles andere, was in der sozialpolitischen Diskussion oft 
geäußert wird. Auch ich sehe noch Defizite bei den Wohnange- 
boten für jüngere Behinderte, die den Einrichtungen für Kinder 
und Jugendliche entwachsen sind. Wir haben daher bereits zwei 
Wohnstätten, die im Zuständigkeitsbereich der Senatsverwal 
tung für Jugend lagen, umgewidmet in Einrichtungen für Erwach 
sene. Aber auch heute noch sind erwachsene Behinderte zum 
Teil in Jugendeinrichtungen untergebracht. Dieses Problem müs 
sen wir in der nächsten Zeit Zug um Zug lösen. Dies ist nur ein 
Beispiel für die Aufgaben, die noch vor uns liegen, um Berlin 
wirklich zu einer behindertengerechten Stadt zu machen. 
Der Berliner Senat hat ein detailliertes Programm verabschie 
det, das allein 38 einzelne Punkte aufführt, wo konkrete Verbes 
serungen in absehbarer Zeit erzielt werden müssen. Eine Reihe 
dieser Maßnahmen kann sofort greifen; einige andere Maßnah 
men werden erst in einigen Jahren greifen können. Gleichwohl ist 
mit dem Programm der Grundstein gelegt für ein behinderten 
freundliches Berlin. Das ist nicht zum Null-Tarif zu haben. Allein 
im kommenden Haushaltsplan sind für unmittelbare Leistungen 
an Behinderte und für behindertengerechte Maßnahmen weit 
über 300 Millionen DM im Berliner Haushalt vorgesehen. Sie 
können nicht alle Verantwortung für ein behindertenfreundliches 
Berlin an den Staat abtreten. Jeder von uns kann durch sein per 
sönliches Verhalten und seine Einstellung gegenüber Behinder 
ten entscheidend zur Verbesserung der Situation beitragen. Das 
ist das mindeste, was wir tun können. Vor allem aber müssen wir 
uns als Bürger, und zwar jeder einzelne, stets folgendes ver 
gegenwärtigen: Es ist nicht unser Verdienst, daß wir nicht behin 
dert sind. Für dieses Geschenk kann sich jeder einzelne von uns 
bedanken, indem er mithilft, Vorurteile gegenüber Behinderten 
abzubauen und indem er selber mithilft. - Ich bedanke mich für 
die Aufmerksamkeit! 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Stellv. Präsident Longolius: In der Besprechung hat jetzt 
Frau Frohnert das Wort. 
Frau Frohnert (SPD); Herr Präsident! Meine Damen und 
Herren! Die Worte, die Herr Senator Fink hier eben gesagt hat, 
kann man sicherlich in allen Punkten unterstreichen. In Wirklich 
keit sieht aber das, was jedenfalls diesen Bericht angeht, etwas 
anders aus. 
Ich meine, daß die Wohnsituafion der erwachsenen Behinder 
ten im Land Berlin, wie sie im Bericht vom 12. November geschil 
dert wird, eine Mischung ist von Wiederholungen des Berichts 
vom Oktober 1984 und von Allgemeinplätzen. Es sind zwar 
einige neue Erkenntnisse über neue Wohnformen eingearbeitet 
worden, und auch die psychisch Behinderten sind mit aufge 
nommen worden, ansonsten bringt aber der Bericht, wie er hier 
vorliegt, nichts Neues. Er enthält keine eigene Perspektive, keine 
konkrete Planung des Senats. Und es sind auch nicht ansatz 
weise Aussagen darüber getroffen worden, wie der Senat kon 
kret planen will. Ich betone dies; der Senat, und nicht irgendein 
anderer Träger! Hierbei sind natürlich nicht nur die räumlichen 
Verbesserungen zu berücksichtigen, sondern das, was der 
Senator vorhin schon gesagt hat: das Umfeld, die Einkaufsmög-
	        
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