Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
62. Sitzung vom 12. November 1987
Sen Dr. Turner
(A) ein Vorrang eingeräumt wird. Das scheint mir auch der Hinter
grund der sechsten Frage zu sein, wo es um die Ausstattung der
genannten Fächergruppen geht.
Es ist festzuhalten, daß sich Entwicklungen, Innovationen vor
allem in naturwissenschaftlichen und ingenieurwissenschaft
lichen Bereichen vollziehen und dort auch sehr handgreiflich
werden. Selbst bei jungen Geisteswissenschaften wie Soziolo
gie oder Publizistik sind nicht so rasante Fortschritte feststellbar
wie beispielsweise in der Elektronik, von den philologischen
Fächern ganz abgesehen.
Auf diesem Hintergrund ist es auch erklärbar, daß es im
Grunde genommen Unvergleichbares ist, was miteinander ver
glichen werden soll. Dennoch will ich versuchen, die Frage mit
konkreten Daten zu beantworten. Das Verhältnis von Wissen
schaftlern zum nichtwissenschaftlichen Personal ist in den
Geisteswissenschaften 2 :1, in den Naturwissenschaften 1:1, im
medizinischen Bereich umgekehrt 1 : 3. Daraus können aber
keine voreiligen Schlüsse gezogen werden; auch hier gibt es ein
ausführliches Zahlenmaterial, das ungeeignet ist, Ihnen vorgetra
gen zu werden. Ich bitte, hier genauso verfahren zu dürfen, wie
ich es Ihnen bei der Auflistung der Modellstudiengängen vorge
schlagen habe.
Es kann überhaupt keine Rede davon sein, daß eine bewußte
Auszehrung der Geisteswissenschaften erfolgt. Das Gegenteil
ist der Fall! Das gilt gleichermaßen für die traditionelle Pflege der
großen geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer als auch
für die Existenzsicherung der sogenannten kleinen Fächer.
Eine Sonderbetrachtung der kleinen Fächer hat ergeben, daß
auch hier die erforderliche Grundausstattung, erfreulicherweise
sogar oft mehr, vorgehalten wird. Störungen treten gelegentlich
- und die sind unvermeidbar - beim Personalwechsel ein. Aber
sie treten auch dann ein, wenn die Gremien es unterlassen, bei
einem übergroßen Studentenandrang geeignete Maßnahmen zu
treffen. Dazu gehört zur Not auch - zur Not, ich betone das - die
(B) Zulassungsbeschränkung.
Lassen Sie mich zusammenfassend zu diesem ersten The
menbereich folgendes sagen: Die beiden großen Universitäten,
die Hochschule der Künste und die staatlichen Fachhochschu
len sind das Fundament und das Rückgrat der Wissenschafts
landschaft Berlins. Forschung und Lehre an den Universitäten
und Hochschulen, praxisorientierte Ausbildung auf hohem
Niveau an den Fachhochschulen haben dort ihren ersten und
vornehmsten Ort. Ihre Leistungsfähigkeit zu stärken, ihr jewei
liges Profil zu vertiefen und sie für den Wettbewerb des kom
menden Jahrzehnts zu befähigen, das ist der besondere Schwer
punkt - ihm gilt das Augenmerk - der Wissenschaftspolitik des
Senats.
Das schließt nicht aus, sondern - ich werde das im folgenden
darlegen - das bedingt sogar, daß die Hochschulen im verstärk
ten Maße an dem Forschungsgeschehen außerhalb ihrer Mauern
teilnehmen und sich ihm öffnen. Ich komme damit zum zweiten
Teil, nämlich zu „Wissenschaft und Forschung innerhalb und
außerhalb der Hochschulen“.
In den Richtlinien zur Wissenschaftspolitik, die diesem Haus
Vorgelegen haben, für diese Wahlperiode ist die Rede von einer
„vertieften Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft
und mit Kultur“ bzw. von einer „richtigen Mischung von ange
wandter Forschung und Grundlagenforschung“. Es wird auch
auf die Notwendigkeit einer engen Kooperation aller in Berlin exi
stierenden Forschungseinrichtungen und zwischen den in ihnen
tätigen Wissenschaftlern hingewiesen.
Daraus ergibt sich, daß Zusammenarbeit und Arbeitsteilung
zwei wichtige Elemente sind, die sich daraus ableiten. Die Hoch
schulforschung kann von ihrer Struktur her bestimmte Aufgaben
nur schwer übernehmen. Das gilt für die Großforschung, für die
technologischen Großprojekle, auch für bestimmte Grundlagen
forschung und für Industrieforschung. Dafür gibt es Spezialinsti
tute; ich nenne einmal die Wirtschaftsforschungsinstitute, das
Heinricht-Hertz-Institut, das Wissenschaftszentrum, kurz gesagt,
eine große Zahl der von Bund und Ländern gemeinsam geförder
ten Institute.
Insbesondere beargwöhnt wird in diesem Zusammenhang (C)
das Zusammenspiel von Hochschule und Wirtschaft. Auch hier
zu gibt es begrüßenswerte und zu unterschreibende Empfehlun
gen des Wissenschaftsrats vom Mai 1986. Mit Genugtuung
jedenfalls ist festzustellen, daß die ursprünglichen Schwellen
ängste zwischen Hochschulen und Wirtschaft inzwischen abge
baut sind; im Gegenteil: Gelegentlich muß man sogar eine
gewisse Kooperationseuphorie feststellen. Hier gilt es mit Nüch
ternheit, den Sachverhalt zu beobachten und auch die Zukunft zu
bestimmen. Es darf weder dazu kommen, daß Wissenschaft nur
noch unter dem Gesichtspunkt wirtschaftlicher Verwertbarkeit
betrieben wird, noch etwa dazu, daß die Hochschulen esoteri
sche Spielwiesen für extravagante Theorien werden, während
zukunftsorientierte Forschung sich in Instituten außerhalb der
Hochschulen abspielt. Wenn dies gewährleistet ist - und das ist
in Berlin gewährleistet dann haben beide - Wissenschaft und
Wirtschaft - einen erheblichen Nutzen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch auf einen
Aspekt hinweisen, der im allgemeinen außer acht gelassen wird.
Berlin befindet sich auf dem Weg, eine Metropole von Wissen
schaft und Forschung zu werden; das bedeutet damit auch
einen Wirtschaftsfaktor. Abgesehen davon, daß 40 000 Men
schen im Bereich von Wissenschaft und Forschung beschäftigt
sind, darunter allein 12 000 Wissenschaftler, ist hier ein Poten
tial, von dem auch schon geredet worden ist, gegeben, das es zu
nutzen gilt im Sinne der Wissenschaft, das aber auch für Wirt
schaftsunternehmen von Interesse ist und ein Anreiz sein kann, in
dieser Stadt zu investieren und damit auch dauerhafte Ar
beitsplätze zu schaffen. Dieser Aspekt darf bei der Wissen
schaftspolitik nicht vergessen werden.
Es ist gefragt worden nach den Anteilen der Forschung inner
halb und außerhalb der Hochschulen, das war die Frage drei.
Diese Frage geht ein wenig an den Gegebenheiten vorbei, und
zwar deswegen, weil der den Universitäten gewährte Zuschuß
global zugewiesen wird. Herr Grugelke hat kritisiert, daß ich den
Globalzuschuß - sinngemäß hat er das so gesagt - auf die (D)
Hörner genommen habe. Das ist nicht der Fall! Ich habe nur
gesagt: Wenn man einen Globalzuschuß hat, dann ist man für
die Aufteilung verantwortlich, und dann kann man nicht bei jeder
einzelnen Position nach der korrigierenden Kraft des Staates -
hier konkret in Finanzdingen natürlich des Parlaments - rufen.
Globalhaushalt heißt Verantwortung für diesen Globalhaushalt
und heißt auch, daß ein Überziehen nicht stattfinden darf. Es ist
bei der Aufteilung und der Verwaltung der Mittel nicht möglich
herauszufiltern, welcher Anteil zum Beispiel im Personalbereich
in den Forschungs- und welcher in den Lehrbereich geht.
Ich möchte dazu drei Zahlen nennen: Die Freie Universität hat
insgesamt einen Etat von 1,3 Milliarden DM, die Technische Uni
versität von über einer halben Milliarde DM; die Summe von 380
Millionen DM kann dem insofern gegenübergestellt werden, als
dieses die Kosten der außeruniversitären Forschungseinrichtun
gen im Jahr 1986 waren, der Zuschuß des Landes dazu betrug
110 Millionen DM. Aber hier ist zu berücksichtigen, daß dieser
Zuschuß zum Teil wieder zurückfließf, und zwar über die Fraun
hofer-Gesellschaft und über die Max-Planck-Gesellschaft, und
daß im übrigen zu sehen ist, daß bei der anteiligen Finanzierung
der Schlüssel zwischen 50:50 und 90:10 variiert.
Im übrigen gilt der Grundsatz, daß außeruniversitäre Institute
und Forschungseinrichtungen nur dann ins Leben gerufen wer
den, wenn sie Vorhaben dienen, die an den Universitäten nicht
oder nicht so effektiv getätigt werden können, wenn sie nämlich
eine Lücke füllen, die anders nicht geschlossen werden kann.
Ich gehe aber noch einmal auf das ein, was Herr Grugelke
gesagt hat. Er hat gesagt, ich sollte hier erklären, daß es unter
lassen wird, ein Anti-OSI-lnslitut zu gründen. Das brauche ich
gar nicht zu erklären - es gibt kein Anti-OSI-lnstitut, sondern es
soll und wird ein Institut für Deutsche und Internationale Politik
geben.
[Wieland (AL): Wer braucht das denn?]
Hier ist es gerade so, daß eine Lücke festgestellt worden ist, und
zwar von Wissenschaftlern der Freien Universität, die wir gefragt
haben. Sie haben festgesfellt, daß hier eine Lücke besteht, die
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