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Volume Nr. 60, 22. Oktober 1987

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1987, 10. Wahlperiode, Band IV, 50.-67. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
60. Sitzung vom 22. Oktober 1987 
Hoffmann 
(A) die richtige Zahl. Wir müssen natürlich auch beachten, daß ge 
rade durch die Aufstockung von Finanzhilfen in Zonenrandgebie 
ten und auch in anderen strukturschwachen Gebieten der Bun 
desrepublik spezielle Fördermaßnahmen noch stattfinden, die 
wir hier in Berlin nicht haben. Das muß ganz deutlich als Argu 
ment in die Debatte in Bonn eingebracht werden. Ich nenne nur 
das Stichwort Bayern. Bayern ist ein finanzkräftiges Land, und 
Bayern kann eine Regionalförderung betreiben, wir können das 
hier nicht. Eigentlich müßten wir ja den Industriestandort Berlin 
mit den süddeutschen Ballungszentren um Stuttgart und Mün 
chen vergleichen. Es geht hier also um eine Weiterentwicklung 
und Stärkung des Standorts Berlin. Wir müssen die Möglichkeit 
behalten, unsere eigenen Kräfte weiter zu entwickeln. Das heißt 
auch, die Investitionsplanungen der Industrie, die langfristig an 
gelegt sind, dürfen nicht durch kurzfristige Maßnahmen gefähr 
det werden. 
Aus gutem Grunde wurde das DIW-Gutachten in Auftrag ge 
geben; die Ergebnisse werden bald vorliegen. Für die Um 
setzung brauchen wir aber zu diesem nicht mehr fernen Zeit 
punkt Handlungsspielraum, und das müssen wir wiederum ge 
meinsam auch in Bonn klarmachen. Die für die langfristige Pla 
nung wichtigen §§2 und 19 Berlinförderungsgesetz dürfen 
nicht angetastet werden - zumindest darf der § 19 nicht generell 
halbiert werden, sondern hier muß gleichzeitig in der endgültigen 
Ausarbeitung eine Strukturverbesserung erreicht werden. Denn 
ordentliche Kaufleute, die wir in der Industrie haben, die schreien 
nicht, die rechnen. Und wenn die Rechnung nicht stimmt, dann 
laufen sie plötzlich weg. Solche Vorgänge dürfen wir nicht durch 
kurzfristige Maßnahmen mutwillig einleiten. Und das, glaube ich, 
kann auch in Bonn klargemacht werden. Der § 17 soll erhalten 
bleiben; dies scheint gerade auch durch den Einsatz unseres 
Finanzsenators gewährleistet. Gleichen Einsatz erwarten wir 
natürlich - und ich glaube, er tut es auch - vom Wirtschafts 
senator. Einzig die Beschränkung des § 14 auf neue Wirt 
schaftsgüter wirkt in die richtige Richtung, so daß dies akzep- 
^ tabel ist. 
Zusammengefaßt darf ich feststellen, daß Berlin seinen Bei 
trag zur Steuerreform leisten will und wird, daß dieser Beitrag 
jedoch angemessen sein muß. Auch Schiffahrt, Stahl, Kohle 
und Landwirtschaft dürfen keine Tabus sein, obwohl es so aus 
sieht, als ob diese Gebiete in Bonn - aus vielleicht einsehbaren 
Gründen - nicht angetastet werden. Aber dies muß man sehen; 
Berlin hat hier eine Aufgabe zu erfüllen in der gesamten Bundes 
republik. Die langfristige Leistungskraft von Industrie und Ge 
werbe ist eine Grundvoraussetzung des Standortes Berlin, sie 
muß erhöht und darf nicht vermindert werden. Dazu gehört natür 
lich Weitblick und Behutsamkeit. Und da möchte ich an alle Ver 
antwortlichen appellieren, in den nächsten Tagen und Wochen 
in die Diskussion mit diesem Weitblick und dieser Behutsamkeit 
einzusteigen und unsere Bonner Freunde davon zu überzeugen, 
daß die Stärkung Berlins notwendig ist. 
Stellv. Präsidentin Wiechatzek; Herr Hoffmann, gestatten 
Sie eine Zwischenfrage? 
Hoffmann (F.D.P.): Nein, im Moment nicht. 
Ich möchte noch ein letztes sagen: Etwas mehr Bescheiden 
heit in der Außendarstellung wäre sicher für uns Berliner manch 
mal angebracht. Optimismus sollten wir zeigen. Daß aber durch 
»Hörfehler“ Gehaltserhöhungen bei staatsnahen Institutionen er 
folgen und Beispiele ähnlicher Qualität immer wieder Meldungen 
über Berlin prägen, erzeugt keine positive Stimmung für Berlin. 
Wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß auch eine positive Stim 
mung bei Bundestagsabgeordneten wichtig ist, um mit unseren 
Argumenten, die sachlich fundiert sein müssen, etwas durchzu 
setzen. Diese Stimmung für Berlin, die brauchen wir, und die 
brauchen wir auch in Zukunft. Deshalb an manchen Stellen 
etwas mehr aufgepaßt, wäre mit Sicherheit uns allen ange 
messen! 
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU 
sowie der Abgn. Momper (SPD) und Schneider (SPD)] 
Stellv. Präsidentin Wiechatzek: Das Wort hat jetzt der (C) 
Abgeordnete Seiler. 
Seiler (AL): Meine Damen und Herren! Die Verteidigungs 
strategie, die die Koalitionsfraktionen und der Senat - jedenfalls 
in Person des Finanzsenators - bislang hier vorgetragen haben, 
ist allzu durchsichtig. Nachdem sie uns vor einigen Wochen 
beruhigt und gesagt haben, wir brauchten uns an der Finanzie 
rung der Steuerreform nicht zu beteiligen, sagen sie jetzt, die 
Steuerreform sei so toll und so gut. Sie stellen die positiven 
Wirkungen der Steuerreform noch einmal kräftig heraus und 
sagen: Warum sollen wir für diese phantastische Sache nicht 
auch unseren Beitrag leisten? - Das ist die durchsichtige Vertei 
digungslinie. Sie ist allerdings brüchig, denn je länger die Diskus 
sion um die Steuerreform geht, um so deutlicher werden ihre 
Macken. Da kann natürlich der Finanzsenator sagen, alle würden 
davon profitieren, alle hätten zum Schluß weniger im Geldbeu 
tel. - Ganz abgesehen davon, daß das, was dann im Geldbeutel 
bleibt, sozial ungerechtfertigt verteilt ist. Das eigentliche Problem 
der Steuerreform ist aber gerade ihre Finanzierung. Das ist doch 
die Kehrseite der Medaille, und darin besteht das eigentliche 
Problem. Da zeigt sich, daß die Finanzierung, so wie die Koali 
tionsfraktionen in diesem Haus und in Bonn das immer gewollt 
haben, in der Form wahrgemacht wird, daß Subventionen 
gekürzt werden. Und dann geht die Finanzierung der Steuer 
reform zweifelsohne auch an Berlin nicht vorbei. Da ist die nach 
trägliche nochmalige Aufmotzung der positiven Effekte allzu 
durchsichtig. 
Der Finanzsenator sagt, die Steuerreform sei eine gute Sache, 
aber wir hätten Deckungsprobleme. Was heißt denn das? Es 
heißt: Wir haben uns etwas Teures und Schönes eingekauft, 
aber wir können es nicht bezahlen. Genau darin liegt das 
Problem der Steuerreform. Wie soll sie finanziert werden? 
Welche Auswirkungen hat die Finanzierung? - Das ist doch die 
Kehrseite der Medaille, um die es heute geht. Es geht nicht dar 
um, nochmals zu bekräftigen, wie toll die Reform sei. Da kennen (D) 
wir Ihren Standpunkt. Sie haben nichts darüber gesagt, was 
erkennen läßt, daß die Finanzierungsseite der Steuerreform als 
positiv zu beurteilen wäre. Sie haben nur gesagt: Wir gehen 
nach Bonn und in Bonn reden wir mit allen Verbündeten, und 
dann stellen wir fest, daß wir wenig Freunde haben. - Das ist 
interessant zu hören, nachdem Sie uns immer erzählen, wie gut 
Sie mit Bonn zusammenarbeiteten und so weiter. Aber warum 
hat man dort so wenig Freunde? - Berlin ist neben anderen 
Regionen in der Bundesrepublik - neben den Küstenregionen 
und den strukturschwachen Gebieten, wie z B. das Saarland - 
eine Region, die von der Finanzkraft des Bundes und anderer 
Länder lebt. Man kann das den anderen Kollegen nicht ver-. 
denken, wenn sie sagen; Warum sollen wir Rücksicht auf eure 
Problemlage in Berlin nehmen, nachdem wir gerade durch die 
Schließung von Stahl-Standorten genau die gleichen, wenn 
nicht noch gravierendere Probleme haben. - Das ist doch der 
Punkt. 
Ich verstehe auch die Gewerkschaften nicht. Herr Kollege 
Wagner hat gesagt, Berlin dürfe auf keinen Fall in irgendeiner 
Weise berührt werden. Er soll doch einmal die Kollegen von der 
IG Metall bei der Arbed-Saarstahl fragen, was die zur Berlinför 
derung sagen. Er soll einmal die Kollegen von der NGG bei 
spielsweise in Lahr oder Ahrensburg fragen. Dort sollen dem 
nächst wegen der Berlinförderung Tabakfabriken verlagert wer 
den. Dort sollen wegen der Berlinförderung Arbeitsplätze ver 
nichtet werden, und zwar in wesentlich größerem Umfang, als sie 
in Berlin geschaffen werden sollen. Er soll die Kollegen von den 
Gewerkschaften fragen, was diese zur Berlinförderung sagen. 
Man kann ihnen nicht verdenken, wenn sie sagen; So, wie das 
Instrument ausgestaltet ist, ist es kontraproduktiv. - Deshalb 
wind man nicht daran vorbeikommen, über die bessere Wirksam 
keit des Beriinförderungsgesetzes nachzudenken. 
[ Beifall bei der AL] 
Dann möchte ich noch auf einen ganz besonders interessan 
ten Aspekt eingehen, der aus liberalem Mund immer wieder so 
gebracht wird und der auch das Positive an der Steuerreform 
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