Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
59. Sitzung vom 24. September 1987
(A) wird die erwähnte Ausgleichszahlung sogar um 20 % herauf
gesetzt. Das geschieht auch bei Telebus-Benutzern, die eben
falls diese Wertmarke erhalten. Für sie wird auch eine Aus
gleichsabgabe gezahlt, dabei wird aber eine Begleitperson hin
zugerechnet, und für beide Personen ein Aufschlag von 20 %
berechnet. Ich will jetzt nicht daran rühren, ob auch diese Aus
gleichszahlung rechtens ist, aber ich denke, daß wir noch viel
mehr Behinderte dazu bringen könnten, eine solche Wertmarke
zu kaufen, wenn die Verkehrsmittel behindertenfreundlich wären.
Dazu gehört aber, daß die Verkehrsmittel zumindest in der Zu
kunft behindertengerecht - oder besser gesagt: fahrgastge
recht - ausgestattet werden.
[Beifall bei der AL und der SPD]
Es gibt einen Senatsbericht, der in seiner Art vielleicht sogar
etwas ganz Neues darstellt - insofern bin ich der Senatsverwal
tung für Gesundheit und Soziales sehr dankbar -, das Programm
heißt „Behindertenfreundliches Berlin“. In dem Bericht steht, daß
man mit einem Kostenaufwand von 50 Millionen DM nachträglich
40 U-Bahnhöfe jeweils mit einem Aufzug ausstatten kann. Das
wird an die Presse weitergegeben. In dem Papier des Senats
aber steht auch - und das wird der Presse nicht erklärt -, daß es
dafür keine Finanzmittel gibt. Man hat also wieder eine Studie für
200 000 DM bei der unseligen Studiengesellschaft Nahverkehr
mbH anteiligen lassen, in der eine Kostenschätzung erstellt wor
den ist und ein Stufenplan darüber, wie und in welcher Reihen
folge man ein Drittel der U-Bahnhöfe umrüstet; das Geld für eine
Studie verbraten, für den Plan wird dann kein Geld bereitgestellt.
Und die Verwaltung einschließlich Herrn Wronskis sagt immer,
man mache das, man finde das gut, aber: Gebt uns Geld! -
Dann bitte ich Sie doch, bitteschön, da mal genau nachzufor
schen, ob aus dem EG-Topf Gelder zur Verfügung gestellt wer
den können und ob über das Gemeindeverkehrsfinanzierungs
gesetz - wie in München, dort sogar beim nachträglichen Einbau
von Aufzügen - Mittel beschafft werden könnten.
Ich denke, auf Dauer ist das alles so nicht hinzunehmen. Wir
(B)
müssen uns mal vorstellen: Da gibt es eine Neuentwicklung des
Eindeckerbusses, und der hat immer noch drei Stufen! Ich
glaube, wir müssen uns mal von Attraktivitätsanforderungen an
den öffentlichen Personennahverkehr leiten lassen. Das be
deutet: Natürlich ist über den Fahrpreis allerhand zu erreichen,
wenn die Leute sich überlegen: Wenn es so günstig ist, dann
steige ich doch lieber um auf die BVG. - Aber ein zweiter Punkt
ist natürlich die Bequemlichkeit und die Schnelligkeit. Bequem
heißt hauptsächlich, daß man gut ein- und aussteigen kann,
abgesehen von den Verknüpfungspunkten beim Umsteigen. Und
die Schnelligkeit wird auch erhöht, wenn das Einsteigen bequem
ist. Die Schnelligkeit wird zum Beispiel erhöht - um das mal aus
zuführen, weil Sie da immer sagen, wir hätten das nicht über
legt -: Wenn man sich vorstellt, ein Bus hat nur eine kleine
niedrige Stufe, dann ist das schon mal ein Vorteil. Ein zweiter
Vorteil ergäbe sich, wie meine Kollegin Vonnekold schon gesagt
hat, wenn man anstelle der Haltestellebuchten die Haltestellen in
den Fahrbahnbereich hinausbaute und so hoch anlegte, daß da
gar kein Niveauunterschied mehr ist. Das brächte natürlich auch
den ungeheuren Vorteil, daß der Bus sich nicht mehr in den
fließenden Verkehr einzufädeln brauchte; das hieße aber auch,
der Ein- und Ausstiegsvorgang wäre viel kürzer, besonders wenn
man an die zahlreichen Gehbehinderten denkt, die die BVG be
nutzen wollen, und die will man doch wohl nicht ausgrenzen -
das denke ich jedenfalls immer noch. Das heißt auch, dahinter
steht dann womöglich der Pkw in der Fahrspur des Busses und
muß warten, bis es weitergeht. So schaffen wir dann eine ganz
natürliche Busspur; da braucht man dann überhaupt keine groß
artigen Investitionen oder zusätzlichen Mittel einzusetzen, um die
Pkws dann da alle wegzuschleppen; die können da ruhig parken,
bis sie schwarz werden. Der Bus fährt in der Fahrspur,
bleibt an der Haltestelle in der Fahrspur und kann dann auch
zügig weiterfahren. Das ist zum Beispiel ein ganz konkretes
Detail, aber darüber machen Sie sich offensichtlich gar keine
Gedanken.
Weitere Gedanken muß man sich auch machen über die
sogenannten Seniorenkarten; das ist mir vorhin ganz übel auf-
gestoßen, ln Berlin gab es früher einen verbilligten Tarif für
Gehbehinderte; den hat man gestrichen. Ich will das jetzt nicht (C)
so ausführlich darstellen, wofür man das Geld verwandt hat; ich
habe neulich schon gesagt: Das hat man zur Finanzierung des
Telebusses verwandt. - Diesen günstigeren Tarif hat man also
gestrichen, und jetzt überlegt man, warum denn ausgerechnet
Senioren es nötig haben, öfter die BVG zu benutzen. Die Senio
ren sind es doch gerade, die die BVG benutzen müssen!
Schonns weil sie oft gehbehindert sind; sie können die U-Bahn
vielleicht schon deshalb nicht nehmen, weil sie gar nicht dorthin
kommen. Wir haben doch das Bild, daß ein junger Mensch die U-
Bahn für eine Station gar nicht erst benutzt - dafür sind ihm die
Kontrollen viel zu stressig -, sondern die Strecke läuft, während
eine ältere Person, die gehbehindert ist, sich unter Umständen
auch noch die Stufen runterquält, um diese eine Station zu
fahren. Und dann wird davon geredet, daß diese Leute doch
nicht unbedingt in den Genuß von Seniorenkarten kommen
müßten! Es sind doch gerade die Allen, die wirtschaftlich und
physisch nicht in der Lage sind, ein Auto zu halten oder auch zu
steuern
Präsident Rebsch: Herr Kollege Eggert, ich bitte, nunmehr
zum letzten Satz zu kommen, die Redezeit ist abgelaufen.
Eggert (AL): Ja, ich will nur noch diesen Gedanken zu Ende
bringen. - Ich sage nur so viel: Senioren, Behinderte und andere
Leute, die Gepäckstücke haben, müssen stärker berücksichtigt
werden; das heißt insbesondere: Festhalten an den Bussen,
denn das ist ein Angebot gerade für diesen Bevölkerungsteil;
man kann doch nicht verlangen, daß ich oder Oma Schulze mit
dem Fahrrad zur S-Bahn fahren; das ist ein Irrweg. Deswegen
brauchen wir weiterhin behindertengerechte Busse und natür
lich auch S-Bahn und U-Bahn.
[Beifall bei der AL und der SPD]
Präsident Rebsch; Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete
Kittner. (D)
Kittner (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Sehr geehrte Autofahrer in allen Fraktionen, die Sie ja nicht die
BVG benutzen, sondern autofahren, insbesondere da die
Freunde in der SPD und der AL! Lieber Kollege Niklas, etwas
möchte ich doch richtigstellen: Sie haben hier über die Busspu
ren gesprochen, sich dabei echauffiert und dem Senat vorge
worfen, da würde zuwenig passieren. Das ist richtig, aber Sie
wissen doch wie ich: Busspuren sind Sache der Bezirke! Der
Senator „läuft sich einen Wolf“, die Bezirke machen da aber
nicht mit. Sie wissen das doch selbst; Sie tingeln ja auch bei den
SPD-Kreisvorständen in ganz Berlin herum und wollen die über
zeugen, daß Busspuren in ihrem Bezirk mehr gebaut werden
müssen als bisher. Sie schaffen das nicht, ich laufe rum, schaffe
es auch nicht. Also, diese Schwierigkeiten sind doch bekannt.
Lassen Sie mich, meine sehr verehrten Damen und Herren,
der Opposition ein Lob aussprechen. Sie hat es nach sieben
Jahren erstmals geschafft, das Thema „Verkehrspolitik“ hier über
eine Große Anfrage zur Sprache zu bringen. Dafür sind Sie ja
eigentlich zuständig. Was haben Sie denn in diesen sieben
Jahren eigentlich gemacht? Wir als Regierungsfraktion sind
doch nicht dazu da, diese Diskussion hier anzufachen, obwohl
ich glaube, daß es falsch war, daß wir so lange gewartet haben,
denn die Diskussion, die wir da in der Stadt haben, ist auch da
durch verschuldet, daß wir hier im Parlament nicht öfter über
dieses Thema reden. Ich hoffe nur, daß Sie nicht wieder sieben
Jahre brauchen und daß auch die AL sich mal irgendwann dieses
Themas annimmt; aber die ist wahrscheinlich nur am Rotieren.
Weitere Vorbemerkung: Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der SPD, hätten wahrscheinlich auch diese Große Anfrage
nicht gebracht, wenn es nicht eine dreifache Diskussion in der
Stadt gäbe, die immer durcheinandergeht - hier ist schon darauf
hingewiesen worden -, nämlich Tarifreform, 700-Millionen-
Grenze und 6,8 % Preiserhöhung. Sie haben den Finger in die
Luft gehalten und gesagt: Vielleicht ist da ein bißchen was drin;
machen wir mal eine Große Anfrage, vielleicht kriegen wir so ein
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