Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
58. Sitzung vom 10. September 1987
Schneider
sind, desto besser stehen unsere Chancen in Bonn, es auch so
durchzubringen.
[Beifall bei der SPD]
Herr Finanzsenator, wir sind gespannt darauf, ob Sie sich
guten Argumenten nicht verschließen werden, die gegen eine
Realisierung dieser unseligen Steuerreform sprechen. Setzen
Sie sich ein im Bundesrat für eine Steuerpolitik, die Angebots
und Nachfrageelemente sinnvoll verbindet, die Steuersenkungen
für kleine und mittlere Einkommen zur Erhöhung der Massenkauf
kraft vorsieht und im übrigen eine Investitionsrücklage zur Stär
kung der Investitionskraft kleiner und mittlerer Unternehmer
steuerlich begünstigt. Im privaten wie im öffentlichen Sektor muß
die Investitionstätigkeit gesteigert und auf einem höheren Niveau
als bisher stabilisiert werden. Im Bereich des Umweltschutzes,
der Energieversorgung, der Infrastruktur und Stadterneuerung
besteht enormer Bedarf an langfristig orientierten Zukunftsinve
stitionen. Hierfür brauchen wir Geld, und das wissen Sie, Herr
Finanzsenator, so gut wie wir.
[Beifall bei der SPD - Buwitt (CDU):
Sie haben doch den kleinen Leuten
das Geld aus der Tasche gezogen!]
Stellv. Präsident Logolius: Zur Beantwortung hat Senator
Dr. Rexrodt das Wort.
Dr. Rexrodt, Senator für Finanzen: Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Herr Abgeordneter Schneider, das
Steuerreformpaket verfolgt das Ziel, den Unternehmen mehr In
vestitionsfähigkeit zu verschaffen, dem Bürger mehr Kaufkraft zu
verschaffen, damit er dann über eine verstärkte Nachfrage dazu
beiträgt, daß zusätzlich Arbeitsplätze geschaffen werden.
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU]
Das ist original das, was von der SPD seit langem gefordert wird,
nämlich über eine Stärkung der privaten Kaufkraft dazu beizutra
gen, daß zusätzliche Arbeitsplätze entstehen. Dieses Ziel ver
folgt die Steuerreform, und die Maßnahmen in diesem Steuer
reformpaket sind so angelegt, daß diesem Ziel entsprochen wer
den kann.
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU -
Buwitt (CDU); Sehr richtig!]
Das ganze ist ein Paket: 1985 wurde vor allem für kleinere Ein
kommensbezieher und Familien mit Kindern die Steuer um
10 Milliarden DM gesenkt, 1988 kommt eine inzwischen auf
14 Milliarden DM aufgestockte Entlastung für kleine und mittlere
Einkommensbezieher über die weitere Anhebung des Grundfrei
betrags und über eine verstärkte Tarifglättung hinzu.
1990 schließlich folgt der arbeitsmarkt- und mittelstands
freundliche Tarif mit einer Bruttoentlaslung von 44 Milliarden
DM. Dadurch werden die Wachstumskräfte auf Dauer gestärkt
und staatliche Interventionen möglichst reduziert. Das Paket ist
so angelegt, daß wir nicht heute der einen und morgen der an
deren Gruppe helfen wollen, sondern dieses Steuerentlastungs
paket ist so angelegt, daß es eine dauerhafte Entlastung für alle
gibt.
Die bisherige Kumulation von Einkommensteuer bzw. Körper
schaftsteuer mit der Gewerbesteuer, der Vermögensteuer, der
Kirchensteuer führte zu einer Totalbelastung von bis zu 70 %.
Dies erweist die Bundesrepublik Deutschland als Hochsteuer
land par excellence. Dies gefährdet die internationale Wett
bewerbsfähigkeit. Die anderen Industriestaaten haben inzwi
schen die verheerenden Folgen überzogener Steuerbelastungen
erkannt. In den Vereinigten Staaten beträgt inzwischen der Spit
zensteuersatz nicht mehr als 28 % bei den gewerblichen Unter
nehmen und 34 % bei den natürlichen Personen. Auch in Groß
britannien, Frankreich, Japan, Italien, in den Niederlanden zeich
net sich eine spürbare Senkung der steuerlichen Belastung ab.
Die Steuerreform beschränkt sich nicht auf die Absenkung der
Spitzensteuersätze der Einkommen- und Körperschaftsteuer,
wie das immer wieder behauptet wird. Diesem kleinen Komplex
ist in der öffentlichen Diskussion - vielleicht auch durch Schuld (C)
der Koalitionsparteien, das räume ich ruhig einmal ein - eine
unangemessene Aufmerksamkeit gewidmet worden. Vielmehr
erfolgt sowohl die Absenkung des Eingangsteuersatzes von
22 % auf 19 % als auch eine deutliche Anhebung der Grundfrei
beträge. Diese doppelte Entlastung im unteren Einkommens
bereich - Grundfreibeträge und Absenkung des Einkommen
steuersatzes - hat zur Folge, daß künftig eine halbe Million
Arbeitnehmer nichts mehr mit dem Finanzamt zu tun haben, weil
ihre Einkünfte nicht mehr der Steuer unterliegen.
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU]
Ich glaube, der Vorwurf sozialer Unausgewogenheit der Steuer
reform läßt sich vor diesem Hintergrund nicht halten.
Kern der Reform ist Einführung des linear-progressiven Tarifs.
Damit ist gewährleistet, daß alle relevanten Bevölkerungsschich
ten von dem steilen Anstieg der Steuerprogression entbunden
werden. Gerade die Abschaffung dieses „Mittelstandsbauches“
- manche sagen, das sei eine Eiger-Nordwand - beläßt den
Arbeitnehmern und den Mittelbetrieben künftig einen erheblich
größeren Teil ihrer Mehreinnahmen. Auf die Steuerzahler in der
unteren Proportionalzone - also bis zu 18 000 bzw. 36 000 DM,
das sind die Bezieher der niedrigen Einkommen - entfällt mit
6.6 % Entlastung ein wesentlich höherer Entlastungsanteil, als
ihrem Beitrag zum gesamten Steueraufkommen von 4,4 % ent
spricht. Auch die Steuerzahler in der Progressionszone - der
mittlere Bereich - werden mit 85,9 % nachhaltiger entlastet, als
ihr Anteil am Steueraufkommen von 82,4 % ausmacht. Dem
gegenüber liegt der Entlastungsanteil für die Steuerzahler in der
obereren Proportionalzone - zum Beispiel zwischen 130 000
und 260 000 DM - mit 7,5 % erheblich unter dem Beitrag dieser
Gruppe zum Steueraufkommen von derzeit 13,2 %. Wenn man
diese seriöse Betrachtungsweise vornimmt, daß man nämlich
nicht absolute Beträge aneinander mißt - das ist messen von
Äpfeln und Birnen aneinander -, sondern daß man die Anteile
der unteren, mittleren und oberen Gruppe am Steueraufkommen
mißt und sich vor Augen hält, daß die Entlastungen im unteren (D)
und mittleren Bereich größer sind als im oberen Bereich, dann
kann keineswegs davon gesprochen werden, daß diese Steuer
tarifreform sozial unausgewogen sei. Das ist sachlich einfach
falsch.
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU]
Von dem Gesamtpaket von 44,4 Milliarden DM Steuerent
lastung entfällt gerade 1 Milliarde DM auf die Senkung des Spit
zensteuersatzes. Gerade umgekehrt wird ein Schuh daraus:
6.7 Milliarden DM entfallen auf die Senkung des Eingangssatzes
von bisher 22 °/o auf künftig 19 %, und 23,7 Milliarden DM entfal
len auf die Begradigung des Tarifs. Wie will man es eigentlich
rechtfertigen, wenn im internationalen Vergleich der Spitzen
steuersatz bei der Einkommensteuer in den Vereinigten Staaten
gerade 28 % beträgt und bei uns auch künftig mittlere Einkom
men schnell die 40 %-Grenze übersteigen? Wie will man recht
fertigen, auf eine derartige Steuerreform zu verzichten? Wo
sollen die Arbeitsplätze herkommen, wenn mittlere Betriebe
auch künftig 53 % Einkommensteuer zu entrichten haben, von
Gewerbesteuer und Vermögensteuer ganz zu schweigen? - Bei
einer Gesamtwürdigung der beschlossenen Steuerreform wer
den Sie - wenn Sie wirklich einen objektiven Maßstab anlegen -
festsfellen müssen, daß es sich bei den beschlossenen Steuer
entlastungen um eine Dimension handelt, wie sie in der Ge
schichte der Bundesrepublik Deutschland einmalig ist. Der
Senat ist der festen Überzeugung, daß die beschlossene Steuer
reform - das war Ihre konkrete Frage, Herr Kollege Schneider -
einen zeitgerechten und signifikanten Wachstumsimpuls für die
deutsche Volkswirtschaft darstellt.
Eine Bestätigung der positiven Wirkung der geplanten Steuer
reform folgt auch aus dem Gutachten der Wirtschaftsfor-
schungsinstifute, die sich dafür ausgesprochen haben, die ge
plante Steuerreform auf den frühestmöglichen Zeitpunkt vorzu
ziehen. Wirtschaftsforschungsinstitute sind neutrale Institutio
nen; man kann wohl nicht sagen, daß sie - jedenfalls die Masse
von ihnen - der Regierungskoalition nahestehen; und wenn die
sagen, daß das etwas Richtiges sei und auf den frühestmög-
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