Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
58. Sitzung vom 10. September 1987
Kapek
kettenschwindel, daß Sie zwar sagen, 50 000 Kleingärten sollen
erhalten werden, diese aber dann auf die landwirtschaftlichen
Flächen umgesiedelt werden, und ist die Meldung der „Berliner
Morgenpost“ so zu verstehen, daß Sie der Meinung waren, in
Anbetracht der großen und tollen Kundgebung hier vor dem
Hause etwas sagen zu müssen, Sie aber im Grunde genommen
den Protest, der hier vor dem Hause kundgetan wurde, - mit Ver
laub - verscheißert haben?
Stellv. Präsident Longolius: Wer antwortet trotz der einer
etwas unüblichen Formulierung? - Herr Senator!
Dr. Starnick, Senator für Stadtentwicklung und Umwelt
schutz: Herr Abgeordneter Kapek, im Erläuterungsbericht zum
öffentlich ausgelegten Flächennutzungsplan ist nachzulesen,
daß wir insgesamt in Berlin einen Bestand von etwa 50 000
Kleingärten haben. Wenn Sie den Vergleich ziehen zum jetzt gül
tigen Flächennutzungsplan '65, werden Sie feststellen, daß etwa
1 160 ha Kleingartenfläche planungsrechtlich gesichert sind,
das sind etwa 30 000 Kleingärten. Der neue Flächennutzungs
plan will die Kleingärten insgesamt sichern, und dabei können
mindestens 40 000 Kleingartenparzellen in ihrer gegenwärtigen
Kolonie so verbleiben, wie sie sind.
[Beifall bei der CDU]
Allerdings weisen wir in diesem Flächennutzungsplan Ersatz
kleingartenflächen aus für den Fall, daß tatsächlich eine bislang
im gültigen Flächennutzungsplan als Gewerbe- oder Wohn
bebauungsfläche ausgewiesene Fläche, die als solche im neuen
Flächennutzungsplan beizubehalfen sein wird, in Anspruch
genommen wird, ohne daß natürlich aus dem Flächennutzungs
plan die Schlußfolgerung gezogen werden kann, daß in der
nahen Zukunft eine solche Inanspruchnahme tatsächlich reali
siert wird. Für diesen Fall haben wir im Flächennutzungsplan
Ersatzgelände für etwa 7 500 Kleingartenparzellen vorgesehen.
Wir erwarten, daß etwa 50 % von etwa 6 000 Kleingartenparzel
len, die größer als 500 Quadratmeter sind, teilbar sind. Und wir
haben auch in dem Rahmenvertrag mit den Kleingartenverbän
den festgelegt, daß das durchgeführt wird, so daß im Endergeb
nis, wenn wir die 6 000 dann insgesamt in Anspruch nähmen, in
Berlin sogar mehr als 50 000 Kleingartenparzellen erhalten wer
den können.
[Kapek (AL): Wir sind doch hier nicht in der Lindenstraße!]
Das heißt, nach der Vorgabe, die der Flächennutzungsplan sel
ber macht, wird insgesamt keine Kleingartenparzelle verloren
gehen.
Stellv. Präsident Longolius: Herr Roß!
Roß (SPD): Herr Senator, sind Sie bereit, an dieser Stelle Ihre
gegenüber der Presse vorgebrachte Beschimpfung der Funktio
näre des Berliner Landesverbands der Kleingärtner, die etwa
dahin gehend gelautet hat, die Funktionäre hätten bei der Klein
gärtnerdemonstration ihre Kleingärtner belogen und betrogen,
zurückzunehmen und sich der Erkenntnis zu beugen, daß viel
mehr Ihr sehr mangelhafter Entwurf des Flächennutzungsplans
diese Kleingärtnerdemonstration auf die Bühne gerufen hat?
[Beifall bei der SPD und der AL]
Stellv. Präsident Longolius: Herr Senator!
Dr. Starnick, Senator für Stadtentwicklung und Umwelt
schutz: Herr Abgeordneter Roß! Meine Damen und Herren! Ich
glaube, ich habe den Kleingartenverbandsvorsitzenden, den
-oberen mit Recht vorgeworfen, daß die ihren eigenen Mitglie
dern nicht die Realität richtig deutlich machen,
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU]
nämlich daß der neue Flächennutzungsplan mehr Kleingarten
flächen planungsrechtlich sichert und damit auch als Dauerklein
gärten bestehen lassen wird als der jetzt gültige Flächen
nutzungsplan. Und wenn man fordert, daß dieser neue Flächen
nutzungsplan nicht in Kraft treten soll, fordert man zugleich, daß
der alte weiter gültig bleibt I
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU]
Und das ist eine Verhohnepipelung der eigenen Mitglieder!
Stellv. Präsident Longolius: Herr Dr. Rüterl
Dr. Rüter (SPD): Herr Senator Starnick, wie stehen Sie zu
der Äußerung des Fraktionsvorsitzenden der CDU, Buwitt, in der
„Berliner Morgenpost“ zitiert, wer bisher noch nicht gewußt
habe, wie das Sankt-Florians-Prinzip funktioniere, für den biete
die derzeitige Diskussion um den FNP ein Lehrbeispiel, wodurch
Herr Buwitt nahezu jeden Berliner des extremen Egoismus
bezichtigt. Wie stehen Sie zu dieser allgemeinen Volks
beschimpfung?
[Beifall bei der SPD]
Stellv. Präsident Longolius: Herr Senator!
Dr. Starnick, Senator für Stadtentwicklung und Umwelt
schutz: Herr Rüter, ich betrachte diese Frage nicht als an mich
gerichtet, sondern an den Abgeordneten Buwitt. Aber der
Begriff „Sankt-Florians-Prinzip“ besagt natürlich, daß ungeliebte
Nutzungen möglichst nicht vor der eigenen Haustür abgeladen
werden. Das möchte jeder Bezirk und auch alle anderen, die
betroffen sind, verhindern. Im Gesamtinteresse der Stadt Berlin
muß man allerdings darauf achten, daß - ich will mal sagen -
auch solche ungeliebten Nutzungen natürlich nach stadträum
lichen Gesichtspunkten, aber auch nach den Gesichtspunkten
der Lastenverteilung in allen Bezirken akzeptiert werden müssen.
Insofern habe ich den Begriff „Sankt-Florians-Prinzip“ in der Dis
kussion um den Flächennutzungsplan auch schon gebraucht.
[Dr. Meisner (SPD): Das macht das Zitat von Herrn Buwitt
nicht besser!]
Stellv. Präsident Longolius: Herr Behrendt!
Behrendt (SPD): Sind Sie bereit, aufgrund der vielen fundier
ten Einwendungen bei der Überarbeitung Ihres Entwurfes ent
sprechend dem Beschluß des Abgeordnetenhauses von 1984
auf die Inanspruchnahme von landwirtschaftlichen Flächen zu
verzichten, und welche Konsequenzen hat das für die Existenz
der Kleingärtner in Berlin?
Stellv. Präsident Longolius: Herr Senator!
Dr. Starnick, Senator für Stadtentwicklung und Umwelt
schutz: Meine Damen und Herren I Herr Abgeordneter Behrendt,
der Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz als derje
nige, der die Abwägung durchzuführen hat, ist verpflichtet, alle
Bedenken, und vor allen Dingen auch alle Anregungen der Bür
ger, mit den Vorschlägen, die darin gemacht werden, ernsthaft in
Erwägung zu ziehen. Dabei wird natürlich auch abzuwägen sein,
inwieweit es möglich ist, einerseits dem Wunsch des Abgeord
netenhauses zu entsprechen, aber auch der besonderen Her
ausstellung der landwirtschaftlichen Flächen im Baugesetzbuch
Rechnung zu tragen und zu prüfen, inwieweit es möglich ist, so
viel wie nur möglich landwirtschaftliche Flächen in Berlin zu
erhalten.
[Beifall des Abg. Vogt (CDU)]
Hier stehen im Grunde genommen zwei Wünsche des Abgeord
netenhauses und auch des Senats so miteinander in Konkurrenz,
daß man letzten Endes wohl zu einem Kompromiß kommen muß,
nämlich sowohl die 50 000 Kleingärten in Berlin zu erhalten als
natürlich auch möglichst viel landwirtschaftliche Fläche. Beides
gleichzeitig voll zu erfüllen, wird mit dem Flächennutzungsplan
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