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Volume Nr. 54, 18. Juni 1987

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1987, 10. Wahlperiode, Band IV, 50.-67. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
54. Sitzung vom 18. Juni 1987 
Müller 
(A) tionsintern beraten. Sie können sicher sein, daß auch meine 
Fraktion zu diesem Thema durchaus ihre Auffassung hat und 
sie weiter diskutiert. Es geht bei diesem Gesetz schließlich 
darum, mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen: Einer 
seits sagen wir mit Recht, daß staatlich subventionierter 
Wohnungsbau primär den Berechtigten zur Verfügung gestellt 
werden soll, und wer unberechtigt in einer Sozialwohnung 
wohnt, der soll einen angemessenen Ausgleich leisten. Auf 
der anderen Seite kann uns allen aber nicht an einem 
Massenauszug von Familien mit mittlerem Einkommen gele 
gen sein oder daran, daß Familien aus den Wohnungen 
vertrieben werden. Damit ist niemandem gedient. Das würde 
unter Umständen zu einer Strukturverschlechterung in den 
Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus führen - ich 
denke zum Beispiel an das Märkische Viertel. Eine solche 
soziale Strukturverschelchterung kann niemand ernsthaft 
wollen. 
Ich meine, es wird auch bereits aus der Diskussion erkenn 
bar, daß die Auffassungsunterschiede zwischen der Opposi 
tion und den Regierungsfraktionen weniger in der Sache 
bestehen als in der Größenordnung, nämlich wie man den 
Inhalt verändern soll. Was zwischen den Fraktionen und sicher 
auch noch innerhalb der Fraktionen beraten werden muß, ist 
das Ausmaß dieser Veränderungen. 
Es kann nicht Aufgabe einer I. Lesung sein, diese Änderun 
gen im einzelnen zu diskutieren. Die Bauverwaltung sollte 
hierzu auch Zahlenmaterial vorlegen und über die bisher 
gemachten Erfahrungen berichten. 
In der Tendenz läßt sich eines feststellen, daß man über 
mehr als drei Einkommensgruppierungen nachdenken sollte- 
bisher gibt es nur drei Stufen -, und es sollte darum gehen, 
fiskalische Gesichtspunkte vielleicht nicht so sehr in den 
Vordergrund zu stellen, sondern mehr sozialpolitische. Weiler 
3) geht es nach Meinung unserer Fraktion darum, die Rahmen 
bedingungen zu ändern, die sich in der Vergangenheit teilwei 
se als unzweckmäßig erwiesen haben, so zum Beispiel die 
wichtige Frage, ab wann eine Neuberechnung der Fehlbele 
gungsabgabe erfolgen kann, wenn sich die Einkommensver 
hältnisse einer Familie verschlechtern. Wir meinen, daß die 
15%-Grenze der Einkommensminderung wegfallen sollte und 
jede Änderung der Einkommensverhältnisse, die die Herab 
setzung in eine andere Stufe rechtfertigt, den Wohnungsinha 
ber berechtigen sollte, einen entsprechenden Antrag zu 
stellen. Weiterhin sollte man auch über die Freistellungsmög 
lichkeit von der Fehlbelegungsabgabe in Gebieten mit proble 
matischer Sozialstruktur nachdenken und diese Frage prüfen. 
Alles in allem meine ich, wie auch schon mein Vorredner 
testgestellt hat, erfordert das eine gründliche Beratung im 
Ausschuß, der wir uns nach der Sommerpause in der gebote 
nen Sachlichkeit widmen sollten. - Vielen Dank! 
[Beifall bei der CDU] 
Stellv. Präsidentin Wiechatzek: Das Wort hat jetzt der 
Abgeordnete Goryanoff. 
Goryanoff (AL): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 
Wir sind im Grundsatz Befürworter von Maßnahmen, die 
sozial abfedernd im Bereich des sozialen Wohnungsbaues 
greifen. Aufgrund der Entwicklung der Bedingungen des 
Systems des sozialen Wohnungsbaus sehen wir aber für die 
Zukunft erhebliche Probleme auf uns zukommen und fragen 
uns natürlich an dieser Stelle, ob die Maßnahmen, die über die 
Fehlbelegungsabgabe getroffen werden, in dem nötigen Um 
fange greifen können. Deshalb möchten wir die Gelegenheit 
im Rahmen der I. Lesung benutzen, um einige grundsätzliche 
Anmerkungen zur Entwicklung im sozialen Wohnungsbau 
vorzutragen. Dabei geht es im wesentlichen um die Frage des 
klammheimlichen Ausstiegs aus dem sozialen Wohnungsbau. 
Es verhält sich etwa so, daß ab 1995 ein erheblicher Teil der (C) 
Wohnungen, die in den letzten 30 Jahren im sozialen Woh 
nungsbau gebaut worden sind, aus der Bindung herausfallen, 
damit dem freien Markt überlassen werden und der sozialen 
Wohnungsversorgung in dieser Stadt nicht mehr zur Verfü 
gung stehen werden. Es handelt sich um eine Größenordnung 
von 200000 Wohneinheiten; die Zahlen sind zur Zeit nicht 
genau zu ermitteln, sie können also nur geschätzt werden. Es 
gibt auch Gründe, warum das der Fall ist; ich möchte das jetzt 
nicht weiter ausdehnen. Auf jeden Fall handelt es sich ab 1995 
um einen erheblichen Aderlaß am Bestand des sozialen 
Wohnungsbaus. In ca. 15 Jahren werden wir noch schätzungs 
weise 150000 bis 200000 Wohneinheiten im sozialen Woh 
nungsbau haben, die allerdings mit extrem hohen Mieten 
belastet sein werden. Die Gründe liegen einmal in der 
Tatsache, daß die noch preiswerten Bestände, die bis zum 
Jahre 1969 auf der Basis der staatlichen Darlehenssubvention 
gefördert worden sind, durch Zinsanhebungen aus den 50er 
Jahren und durch das Haushaltsstrukturgesetz 1982 für die 
60er Jahrgänge verteuert worden sind und eine Umstrukturie 
rung in den Bindungsfristen erfahren haben. Je höher die 
Zinsen einer jährlich gleichbleibenden Rate des zu verzinsen 
den und tilgenden Darlehens sind, desto kürzer wird die 
Laufzeit. Dieser Effekt bedeutet im Ergebnis eine Verkürzung | 
der Bindungsfristen. Im konkreten Ablauf heißt dies, daß 
jährlich drei- bis fünfmal mehr Wohnungen aus der Bindung 
herausfallen als neue hinzukommen. Bis 1995 dürfte das für 
alle Wohnungsjahrgänge, die bis 1969 gefördert worden sind, 
der Fall sein. 
Hinzu tritt ein weiteres Problem: Mit der quantitativen 
Verringerung findet eine preisliche Umstrukturierung statt. 
Zuerst fallen die preiswerten Bestände aus der Bindung 
heraus, während die teuren drinbleiben. Hinzu kommen 
weitere mietpreistreibende Investitionen, die die Eigentümer 
seite in der Form von Modernisierung tätigt. Eine zusätzliche (p) 
Verschärfung ergibt sich unseres Erachtens noch durch die 
Situation der Jahrgänge, die ab 1969 mit den sogenannten 
Kapitalsubventionen gefördert worden sind. Einmal ist durch 
die Entwicklung der Baukosten und der Kapitalmarktzinsen 
die Kostenmiete von damals - 1972 - 6,50 DM auf - 1982 - 
28 DM gestiegen; zur Zeit liegt sie bei etwa 22 bis 23 DM. Diese 
Kostenmiete ist aber allein deshalb gesunken, weil die Zinsen 
aut dem Kapitalmarkt gesunken sind. 
Als weiteres Problem besteht für die öffentliche Hand - und 
dies ist ein haushalts- und finanzipolitisches Problem -, daß 
die Wohnungen teurer sind, als sie tatsächlich gekostet haben. 
Das bedeutet konkret, daß die Wohnungen teurer finanziert § 
werden, als sie im realen wirtschaftlichen Gegenwert kosten. 
Die hohen Kostenmieten und der Mechanismus der Kapital 
zinsen haben dazu geführt, daß heute in diesen Jahrgängen 
Mieten von 8 bis 10 DM keine Seltenheit mehr sind. Teilweise 
liegen die Sozialmieten über den Höchstbeträgen des Wohn 
geldes. Es sind zwar zusätzliche ausgleichende Maßnahmen 
vom Senat und auch von der Bundesregierung getroffen 
worden, die in einem zusätzlichen Mietausgleich die Tragbar 
keit dieser Mieten sichern sollen. Diese Maßnahmen halten 
wir aber für einen Tropfen auf den heißen Stein, weil sie am 
grundsätzlichen Problem - dem Strukturproblem des sozialen 
Wohnungsbaus - nichts ändern. 
Bei den Jahrgängen ab 1969 kommt noch ein bedeutendes 
haushaltspolitisches Problem hinzu: Hier steht die Anschluß 
förderung an, die kürzlich beschlossen worden ist. Dabei wird 
es aber Mieteckwerte-also die von den Mietern tatsächlich zu 
zahlenden Mieten - Kaltmiete ohne Nebenkosten - in Höhe 
von 8 DM bei Kostenmieten zwischen 15 und 30 DM geben. 
Wir stehen also vor zwei schwerwiegenden Vorgängen. 
Erstens fällt ein Großteil der Wohnungen mit niedrigen Mieten 
aus der Sozialbindung heraus. Das wird zwangsläufig zu einer 
Mietpreisentwicklung nach oben führen. Und zweitens sind 
die eingebauten Mietsteigerungen bei den noch im Bestand 
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