Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
54. Sitzung vom 18. Juni 1987
Müller
(A) tionsintern beraten. Sie können sicher sein, daß auch meine
Fraktion zu diesem Thema durchaus ihre Auffassung hat und
sie weiter diskutiert. Es geht bei diesem Gesetz schließlich
darum, mehrere Gesichtspunkte zu berücksichtigen: Einer
seits sagen wir mit Recht, daß staatlich subventionierter
Wohnungsbau primär den Berechtigten zur Verfügung gestellt
werden soll, und wer unberechtigt in einer Sozialwohnung
wohnt, der soll einen angemessenen Ausgleich leisten. Auf
der anderen Seite kann uns allen aber nicht an einem
Massenauszug von Familien mit mittlerem Einkommen gele
gen sein oder daran, daß Familien aus den Wohnungen
vertrieben werden. Damit ist niemandem gedient. Das würde
unter Umständen zu einer Strukturverschlechterung in den
Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus führen - ich
denke zum Beispiel an das Märkische Viertel. Eine solche
soziale Strukturverschelchterung kann niemand ernsthaft
wollen.
Ich meine, es wird auch bereits aus der Diskussion erkenn
bar, daß die Auffassungsunterschiede zwischen der Opposi
tion und den Regierungsfraktionen weniger in der Sache
bestehen als in der Größenordnung, nämlich wie man den
Inhalt verändern soll. Was zwischen den Fraktionen und sicher
auch noch innerhalb der Fraktionen beraten werden muß, ist
das Ausmaß dieser Veränderungen.
Es kann nicht Aufgabe einer I. Lesung sein, diese Änderun
gen im einzelnen zu diskutieren. Die Bauverwaltung sollte
hierzu auch Zahlenmaterial vorlegen und über die bisher
gemachten Erfahrungen berichten.
In der Tendenz läßt sich eines feststellen, daß man über
mehr als drei Einkommensgruppierungen nachdenken sollte-
bisher gibt es nur drei Stufen -, und es sollte darum gehen,
fiskalische Gesichtspunkte vielleicht nicht so sehr in den
Vordergrund zu stellen, sondern mehr sozialpolitische. Weiler
3) geht es nach Meinung unserer Fraktion darum, die Rahmen
bedingungen zu ändern, die sich in der Vergangenheit teilwei
se als unzweckmäßig erwiesen haben, so zum Beispiel die
wichtige Frage, ab wann eine Neuberechnung der Fehlbele
gungsabgabe erfolgen kann, wenn sich die Einkommensver
hältnisse einer Familie verschlechtern. Wir meinen, daß die
15%-Grenze der Einkommensminderung wegfallen sollte und
jede Änderung der Einkommensverhältnisse, die die Herab
setzung in eine andere Stufe rechtfertigt, den Wohnungsinha
ber berechtigen sollte, einen entsprechenden Antrag zu
stellen. Weiterhin sollte man auch über die Freistellungsmög
lichkeit von der Fehlbelegungsabgabe in Gebieten mit proble
matischer Sozialstruktur nachdenken und diese Frage prüfen.
Alles in allem meine ich, wie auch schon mein Vorredner
testgestellt hat, erfordert das eine gründliche Beratung im
Ausschuß, der wir uns nach der Sommerpause in der gebote
nen Sachlichkeit widmen sollten. - Vielen Dank!
[Beifall bei der CDU]
Stellv. Präsidentin Wiechatzek: Das Wort hat jetzt der
Abgeordnete Goryanoff.
Goryanoff (AL): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Wir sind im Grundsatz Befürworter von Maßnahmen, die
sozial abfedernd im Bereich des sozialen Wohnungsbaues
greifen. Aufgrund der Entwicklung der Bedingungen des
Systems des sozialen Wohnungsbaus sehen wir aber für die
Zukunft erhebliche Probleme auf uns zukommen und fragen
uns natürlich an dieser Stelle, ob die Maßnahmen, die über die
Fehlbelegungsabgabe getroffen werden, in dem nötigen Um
fange greifen können. Deshalb möchten wir die Gelegenheit
im Rahmen der I. Lesung benutzen, um einige grundsätzliche
Anmerkungen zur Entwicklung im sozialen Wohnungsbau
vorzutragen. Dabei geht es im wesentlichen um die Frage des
klammheimlichen Ausstiegs aus dem sozialen Wohnungsbau.
Es verhält sich etwa so, daß ab 1995 ein erheblicher Teil der (C)
Wohnungen, die in den letzten 30 Jahren im sozialen Woh
nungsbau gebaut worden sind, aus der Bindung herausfallen,
damit dem freien Markt überlassen werden und der sozialen
Wohnungsversorgung in dieser Stadt nicht mehr zur Verfü
gung stehen werden. Es handelt sich um eine Größenordnung
von 200000 Wohneinheiten; die Zahlen sind zur Zeit nicht
genau zu ermitteln, sie können also nur geschätzt werden. Es
gibt auch Gründe, warum das der Fall ist; ich möchte das jetzt
nicht weiter ausdehnen. Auf jeden Fall handelt es sich ab 1995
um einen erheblichen Aderlaß am Bestand des sozialen
Wohnungsbaus. In ca. 15 Jahren werden wir noch schätzungs
weise 150000 bis 200000 Wohneinheiten im sozialen Woh
nungsbau haben, die allerdings mit extrem hohen Mieten
belastet sein werden. Die Gründe liegen einmal in der
Tatsache, daß die noch preiswerten Bestände, die bis zum
Jahre 1969 auf der Basis der staatlichen Darlehenssubvention
gefördert worden sind, durch Zinsanhebungen aus den 50er
Jahren und durch das Haushaltsstrukturgesetz 1982 für die
60er Jahrgänge verteuert worden sind und eine Umstrukturie
rung in den Bindungsfristen erfahren haben. Je höher die
Zinsen einer jährlich gleichbleibenden Rate des zu verzinsen
den und tilgenden Darlehens sind, desto kürzer wird die
Laufzeit. Dieser Effekt bedeutet im Ergebnis eine Verkürzung |
der Bindungsfristen. Im konkreten Ablauf heißt dies, daß
jährlich drei- bis fünfmal mehr Wohnungen aus der Bindung
herausfallen als neue hinzukommen. Bis 1995 dürfte das für
alle Wohnungsjahrgänge, die bis 1969 gefördert worden sind,
der Fall sein.
Hinzu tritt ein weiteres Problem: Mit der quantitativen
Verringerung findet eine preisliche Umstrukturierung statt.
Zuerst fallen die preiswerten Bestände aus der Bindung
heraus, während die teuren drinbleiben. Hinzu kommen
weitere mietpreistreibende Investitionen, die die Eigentümer
seite in der Form von Modernisierung tätigt. Eine zusätzliche (p)
Verschärfung ergibt sich unseres Erachtens noch durch die
Situation der Jahrgänge, die ab 1969 mit den sogenannten
Kapitalsubventionen gefördert worden sind. Einmal ist durch
die Entwicklung der Baukosten und der Kapitalmarktzinsen
die Kostenmiete von damals - 1972 - 6,50 DM auf - 1982 -
28 DM gestiegen; zur Zeit liegt sie bei etwa 22 bis 23 DM. Diese
Kostenmiete ist aber allein deshalb gesunken, weil die Zinsen
aut dem Kapitalmarkt gesunken sind.
Als weiteres Problem besteht für die öffentliche Hand - und
dies ist ein haushalts- und finanzipolitisches Problem -, daß
die Wohnungen teurer sind, als sie tatsächlich gekostet haben.
Das bedeutet konkret, daß die Wohnungen teurer finanziert §
werden, als sie im realen wirtschaftlichen Gegenwert kosten.
Die hohen Kostenmieten und der Mechanismus der Kapital
zinsen haben dazu geführt, daß heute in diesen Jahrgängen
Mieten von 8 bis 10 DM keine Seltenheit mehr sind. Teilweise
liegen die Sozialmieten über den Höchstbeträgen des Wohn
geldes. Es sind zwar zusätzliche ausgleichende Maßnahmen
vom Senat und auch von der Bundesregierung getroffen
worden, die in einem zusätzlichen Mietausgleich die Tragbar
keit dieser Mieten sichern sollen. Diese Maßnahmen halten
wir aber für einen Tropfen auf den heißen Stein, weil sie am
grundsätzlichen Problem - dem Strukturproblem des sozialen
Wohnungsbaus - nichts ändern.
Bei den Jahrgängen ab 1969 kommt noch ein bedeutendes
haushaltspolitisches Problem hinzu: Hier steht die Anschluß
förderung an, die kürzlich beschlossen worden ist. Dabei wird
es aber Mieteckwerte-also die von den Mietern tatsächlich zu
zahlenden Mieten - Kaltmiete ohne Nebenkosten - in Höhe
von 8 DM bei Kostenmieten zwischen 15 und 30 DM geben.
Wir stehen also vor zwei schwerwiegenden Vorgängen.
Erstens fällt ein Großteil der Wohnungen mit niedrigen Mieten
aus der Sozialbindung heraus. Das wird zwangsläufig zu einer
Mietpreisentwicklung nach oben führen. Und zweitens sind
die eingebauten Mietsteigerungen bei den noch im Bestand
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