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Volume Nr. 54, 18. Juni 1987

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1987, 10. Wahlperiode, Band IV, 50.-67. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
54. Sitzung vom 18. Juni 1987 
Fabig 
(A) haben es sogar fertiggebracht, ein Heuss-Zitat aus dem 
Zusammenhang der damaligen Diskussion zu reißen und als 
gegen diese Novellierung sprechend zu zitieren. Dieses 
Heuss-Zitat war gegen einen Antrag gerichtet, der vorsah, die 
Privatschulen mit ihren Gesamtkosten zu finanzieren, was 
hieße, das öffentliche Schulwesen in Frage zu stellen. Das war 
damals nicht gewollt und ist auch heute nicht gewollt. Ich 
wiederhole es noch einmal: Der Staat ist in seiner Entschei 
dung, Privatschulen zuzulassen oder nicht, überhaupt nicht 
frei; er muß Privatschulen zulassen und fördern, denn die 
Anerkennung der Gründungsfreiheit und die institutionelle 
Garantie verlangen von den Ländern, zusätzlich auch das 
private Ersatzschulwesen neben dem öffentlichen Schulwe 
sen zu fördern. Daran führt überhaupt kein Weg vorbei; das ist 
der generelle Tenor aller bisherigen Verfassungsgerichtsent 
scheidungen, und der Gesetzgeber unterliegt dabei den 
Verpflichtungen des Artikels 3 Grundgesetz - Gleichbehand 
lung aller Schulen. 
[Kuhn (AL): Er muß sozusagen die Gründe 
deutlich machen, warum er ungleich behandelt!] 
Die Zuschüsse in Höhe von 100% der tatsächlichen Perso- 
nalkosfen bedeuten nicht - wie es vielfach in der öffentlichen 
Diskussion suggeriert wird -, daß die Privatschulen 100% 
ihrer sämtlichen Kosten erstattet bekommen. Das ist nicht der 
Fall; die Privatschulen haben weiterhin unter anderem den 
großen Anteil der baulichen Investitions- und Unterhaltungs 
kosten zu tragen, der Unterrichts- und Lehrmittel - um nur 
einmal ein paar Kostenfakloren zu nennen. Das heißt: Sie 
müssen einen wesentlichen Teil ihrer Kosten über das Schul 
geld selbst aufbringen. Wir haben aber andererseits dadurch, 
daß wir eine relativ hohe Bezuschussung gewählt haben, 
sichergestellt, daß das, was das Privatschulgesetz auch 
fordert, nämlich keine Eliteschulbildung, sondern die Ermögli 
chung eines breiten Zugangs, gerade durch diese Zuschußhö- 
(B) he gewährleistet wird. 
Ich sage zum Abschluß ganz deutlich: Für die F. D. P. Berlin 
liegen die Prioritäten eindeutig in der Förderung und der 
Entwicklung des öffentlichen Schulwesens; und hier von zwei 
Vorrednern - Herrn Bayer und Herrn Kuhn - in dem schulpoli 
tischen Wollen der F. D.P. oder auch der Koalition einen 
Widerspruch zu konstruieren, ist falsch. Wer so argumentiert, 
argumentiert wider besseres Wissen und unredlich. Herr 
Bayer, es ist falsch, zu sagen, die Berliner Koalition würde 
dem öffentlichen Schulwesen das Geld verweigern, das es 
benötigt. Wenn Sie nur einmal umrechnen, was der Berliner 
Schule auf Dauer durch die Finanzierung des Lehrerüber 
hangs an Mitteln zufließt, dann werden Sie zugeben müssen, 
daß hier zugunsten der Berliner öffentlichen Regelschule 
strukturelle Bedingungen geschaffen worden sind, die auf 
Dauer enorme Mittel beanspruchen. 
Weil wir - wie ich schon ausgeführt habe - die bisherige 
Differenzierung zwischen 75% und 125% der Personalkosten 
für rechtlich zweifelhaft ansehen, haben wir die vorliegenden 
Änderungen eingebracht: und wir halten diese Gesetzeslö 
sung für die ehrlichste und durchschaubarste, transparente 
ste Lösung, die unter den gegebenen Bedingungen und bei 
der gegebenen Ausgangslage, die wir in Berlin haben, die 
einzig richtige ist. Wir meinen, daß wir damit eine Lösung 
Vorschlägen, die dem Berliner Privatschulwesen gerecht 
wird, ohne daß wir damit den Vorrang der öffentlichen 
Regelschule in Frage stellen. - Vielen Dank! 
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU] 
Stellv. Präsidentin Wiechatzek: Das Wort hat jetzt Frau 
Senatorin Dr. Laurien. 
Frau Dr. Laurien, Bürgermeisterin und Senatorin für Schul 
wesen, Berufsausbildung und Sport: Frau Präsidentin! Meine 
Damen und Herren! In der Tal setzt diese 5. Novelle mehr 
Zeichen, als es sonst bei Gesetzesnovellen üblich ist. Sie (C) 
bestätigt die Gleichrangigkeit von Schulen in freier Träger 
schaff und staatlichen Schulen, und es ist geradezu absurd - 
darauf werde ich noch eingehen -, wenn man hier eine 
Fürsorge für die Privatschulen und für die übrige Bildungspoli 
tik in eine Spannungssituation bringt. Es sind alle Schulen in 
öffentlicher Verantwortung, aber deshalb noch lange nicht alle 
Schulen im Staatsmonopol. Es wird durch diese Novelle auch 
der Unterschied zwischen den freien Trägern - was bereits 
ausführlich dargestellt wurde - beseitigt, und es wird das 
Unrecht aus der nationalsozialistischen Zeit nicht bloß zum 
Anlaß des Bedauerns, sondern auch zum Anlaß ausgleichen 
den Handelns genommen. 
Lassen Sie mich getrost noch einmal diese Spannung - 
Artikel 7 Grundgesetz - das gesamte Schulwesen unter der 
Aufsicht des Staates - und zugleich die Gewährleistung des 
Rechts, private Schulen zu gründen - aufnehmen. Wenn hier 
von der Flucht aus der Verantwortung - von wem eigentlich? - 
oder auch von einem neuen Dienstleistungsunternehmen die 
Rede war- ich meine, in einem bestimmten Sinn sind Schulen 
immer Dienstleistungsunternehmen, wie man sie auch verste 
hen mag, aber nicht in einem kommerziellen Sinn -, wer 
solche Argumente bringt, der muß sich fragen lassen, was er 
eigentlich unter der Freiheitlichkeit in unserem Land versteht. | 
Es ist die Grundidee des freiheitlichen Europas, das Recht auf 
Unterschiedlichkeit zu haben, einen Rechtsanspruch auf Un 
terschiedlichkeit zu begründen. Wir haben die freie Berufs 
wahl. Wir dürfen den Ort wählen, an dem wir leben. Wir 
müssen nicht in der Konfession bleiben, in die wir hineingebo 
ren wurden. Wir entscheiden frei in jeder Wahl, welcher Partei 
wir unsere Stimme geben. Vom Schicksal zur Wahl, das ist die 
inhaltliche Leitlinie der gesellschaftlichen Entwicklung. Das 
schließt in derTatauch im Bildungsbereich ein Staatsmonopol 
aus, schließt Freiheitlichkeit ein. Eben deshalb bindet das 
Grundgesetz die Berechtigung zur Gründung einer solchen 
Schule nicht an den Bedarf. Wenn Herr Kuhn festgestellt hat, 
da werden öffentliche Schulen vielleicht einmal Kindermangel 
haben, und dies hier sei eine öffentliche Bestandsgarantie für 
freie Schulen, dann ist das nicht so. Nein, den Bestand der 
Schulen sichert die Entscheidung der Eltern für ihre Kinder 
und nicht ein dirigistisches Staatshandeln. Aber unser Grund 
gesetz bindet die Genehmigung, wenn ich einmal die Selbst 
verständlichkeiten der Qualität und der wirtschaftlichen Absi 
cherung der Lehrer beiseite lasse, an die Bindung, daß keine 
Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der 
Eltern gefördert werden darf. Damit bekommt das Finanzargu 
ment eine die Freiheit sichernde Qualität, das heißt, die j 
Zuschüsse müssen so sein, daß nicht nur reiche Leute und * 
Begüterte sich das Recht auf Freiheit leisten können. 
Ich wundere mich über den Vertreter der AL, daß er dieses 
Recht auf Freiheitlichkeit hier nicht mit Nachdruck betont hat, 
denn aus seinen Kreisen kommen dann wieder Anträge unter 
der Überschrift „Laßt viele Blumen blühen“, die uns dann 
abverlangen, wir sollten auf die pädagogische Qualitätsprü 
fung verzichten. Da muß ich fragen, wo bleibt denn die 
Konsequenz der politischen Aussage bei der AL? Ich jeden 
falls bekenne mich in unserem Verwaltungshandeln und in der 
politischen Linie zu der Qualitätsprüfung, die auch das 
Bundesverfassungsgericht bestätigt hat, aber auch zugleich 
zur freiheitlichen Ausfüllung des gegebenen Rahmens. 
Stellv. Präsidentin Wiechatzek: Gestatten Sie eine Zwi 
schenfrage? 
Frau Dr. Laurien, Bürgermeisterin und Senatorin für Schul 
wesen, Berufsausbildung und Sport: Nein. 
Lassen Sie mich noch zu den freien Trägern ein paar 
nachdenkliche Bemerkungen machen. Es ist jedem, der die 
Akten von früher liest und der schon früher dabei war, 
bekannt, daß die Parlamentarier dieses Hauses damals bereit 
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