Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
54. Sitzung vom 18. Juni 1987
Oxfort
fürstendamm nicht fernhalten könne, weil dies verfassungs
widrig sei. Ich habe zum Beispiel daruaf hingewiesen, daß
man Gewalt nicht allein mit polizeilichen Mitteln lösen könne,
[Wieland (AL): Ist lange her! - Frau Enkemann
(AL): Nach 20 Jahren muß es der Senat begreifen!]
sondern auch politischer Maßnahmen bedürfe. Das habe ich
auch bei Herrn Pätzold gehört, ohne daß er allerdings
konkrete Maßnahmen vorgeschlagen hat, was denn nun
tatsächlich politisch verändert werden soll und was insbeson
dere eigentlich der Innensenator in den letzten Tagen an
politischen Maßnahmen hätte ergreifen sollen, anstatt die
Polizei einzusetzen, ich will das gar nicht mehr alles zitieren,
was wir damals gesagt haben. Es gibt auch heute beanstan-
denswerte Dinge; der Kollege Rasch hat einige Probleme
aufgeworfen.
Ich will zunächst mal sagen, der Regierende Bürgermeister
hat in irgendeiner Rundfunksendung davon gesprochen, daß
die gewalttätigen Demonstranten der Polizei zugeführt wer
den. Das ist eine Äußerung, die ich so nicht gerne höre; ich
sage das in aller Offenheit. Gewalttätige Demonstrationen
werden der Justiz zugeführt und nicht der Polizei; der Polizei
führt man gewalttätige Menschen nur in einem Polizeistaat zu.
Deshalb würde ich darum bitten, daß hier auch die richtigen
Vokabeln verwendet werden. Ich bin zum Beispiel durchaus
der Meinung, daß man kritisch über die Vorgänge in Kreuz
berg streiten mag. Nur nehme ich es dem Innensenator ab,
daß es sich um eine ganz außergewöhnliche Maßnahme
gehandelt hat, bei der er die Verhältnismäßigkeit der Mittel
schon eingeplant hat.
[Wieland (AL): Das Subsumiert sich doch! - Wo ist
denn hier die Verhältnismäßigkeit?]
Verhältnismäßigkeit der Mittel zu beachten, heißt ja nicht,
beispielsweise eine notwendige Maßnahme der Strafverfol
gung zu unterlassen, sondern heißt nur, im Hinblick auf den
angestrebten Zweck das Mittel einzusetzen, das am wenig
sten belastet, also das berühmte Beispiel, daß man nicht mit
Kanonen auf Spatzen schießt.
Bei der Beurteilung der Maßnahmen, die in Kreuzberg
ergriffen worden sind, insbesondere hinsichtlich der Ver
kehrsmaßnahmen, stellt sich eben die Frage: Was wäre
passiert, wenn dies nicht gemacht worden wäre, und hätte es
ein milderes Mittel gegeben? Da haben wir bisher unwiderlegt
gehört, daß die Gewaltszene aufgerufen hatte, mit ihren
eigenen Worten natürlich, zum Sturm auf das KaDeWe. Und ich
frage hier in der Tat; Wer hätte hinnehmen wollen, daß eine
große Menge Chaoten, von Gewalttätern das KaDeWe stürmt?
Und Sie dürfen sicher sein, daß weit über den materiellen
Schaden hinaus ein ideeller Schaden für Berlin in der
deutschen und Weltöffentlichkeit angerichtet worden wäre,
wenn man es zugelassen hätte, daß die autonomen Gruppen
massenweise mit der U-Bahn mitten in die City, mitten auf den
Tauentzien befördert worden wären. Und genau für den
Zeitpunkt, als der sogenannte Kessel eingerichtet worden ist,
[Kapek (AL): Es war einer!)
genau zu dem Zeitpunkt war zum Sturm auf das KaDeWe
aufgerufen! Wir haben vom Innensenator gehört, es sind
nachher 500 Personen gewesen, die da eingeschlossen
worden sind. Das ist im Hinblick auf die Gesamtzahl der
möglicherweise zu erwartenden Autonomen - wir haben über
3 500 in der Stadt gehabt - natürlich ein Erfolg. Gar kein
Zweifel!
Weil hier immer Vergleiche gezogen werden mit dem
Hamburger Kessel, möchte ich mir erlauben, ein kurzes Zitat
aus dem Urteil des Hamburger Verwaltungsgerichts zum
Hamburger Kessel zu bringen, da heißt es:
Die Verhinderung der Versammlung war nicht durch das
Versammlungsgesetz gedeckt. Von den darin vorgesehe
nen Möglichkeiten, gegen eine Versammlung einzu
schreiten, durch Verbot der Versammlung, Erteilung von
Auflagen, Auflösung der Versammlung oder Ausschluß
von Teilnehmern, hat die Beklagte
- also die Polizei Hamburg -
keinen Gebrauch gemacht.
Und dann heißt es weiter:
Eine ausdrückliche Auflösungsverfügung ist nicht ergan
gen. Der auf die Teilnehmer der Versammlung ausgeübte
Zwang, sich von dem Platz, auf den sie von den Polizeiket
ten gedrängt worden war, nicht zu entfernen, läßt nicht
auf den Willen der Beklagten schließen, die Versammlung
aufzulösen.
Der wesentliche Unterschied zum Hamburger Kessel besteht
also darin: Es waren keine polizeilichen Maßnahmen, wie sie
das Versammlungsgesetz zuiieß, gegen die auch gewalttäti
gen Demonstranten ergangen. Hier war die Veranstaltung
verboten. Das ist schon mal ein ganz wesentlicher Unter
schied! Und Ihr Versuch, auf dem Umweg über eine soge
nannte Spontandemonstration, Herr Abgeordneter Wieland,
so eine Art Ausweg und Rechtfertigung für das zu finden, was
sich auf der Tauentzien zugetragen hat, das ist dann doch wohl
ein etwas sehr gewagter Versuch.
Die Polizei hat jedem die Möglichkeit eingeräumt, den Platz
frühzeitig zu verlassen. Er mußte sich kontrollieren und
durchsuchen lassen und dies, weil er sich entweder strafbar
gemacht hatte oder weil Verstöße gegen Ordnungsrecht
Vorlagen. Die Polizei hat jedenfalls genau das getan, was in
der Regel zum Abbau der Gewalttätigkeiten führt.
Die Durchsuchung auf passive oder aktive Bewaffnung hat
zwar bei einigen Beteiligten - so auch bei Ihnen möglicher
weise - Frust ausgelöst, aber hat im großen und ganzen den
gewünschten Erfolg gehabt.
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU]
Stellv. Präsident Longolius: Gestatten Sie eine Zwischenfra
ge?
Oxfort (F.D.P.): Tut mir leid, Sie haben, Herr Präsident,
schon geblinkt, meine Zeit ist vorüber, deshalb kann ich es
ausnahmsweise heute nicht gestatten, sonst gerne, Herr
Wieland!
Ich möchte also sagen, was den sogenannten Kessel auf
dem Tauentzien anbetrifff, war die Maßnahme in Anbetracht
dessen, was bevorsteht, gerechtfertigt. Dies gilt gleicherma
ßen für die Verkehrsbehinderung, wobei ich mit Nachdruck
unterstreiche - Herr Innensenator, ich freue mich darüber,
daß Sie das auch hier öffentlich selbst erklärt haben -, daß,
wenn es jemals wieder geschehen sollte - es handelt sich um
eine ganz außergewöhnliche Maßnahme-, dann jedenfalls zu
Beginn der Aktion klar Schiff gemacht und die Öffentlichkeit
darüber aufgeklärt werden muß, was ansteht.
Es gibt vieles, was man dazu noch sagen wollte, aber man
kann eine Sache auch totreden. Deshalb will ich mich auf eine
letzte Bemerkung beschränken; Es gibt neuerdings eine
Sprachregelung unter den Krawallmachern, und die AL hat
sich dieser Sprachregelung angeschlossen, daß nämlich die
Gewalt herbeigeredet worden sei. Gewalt in dieser Form kann
man allenfalls dadurch herbeireden, daß man zur Gewalt
aufrufl. Sie können der Polizei oder dem Innensenator nicht
nachsagen, sie hätten zur Gewalt aufgerufen. Der Innensena
tor hat vor der Gewalt gewarnt. Das Warnen vor der Gewalt hat
noch nie Gewalt ausgelöst. Das sollten Sie sich sagen lassen!
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU]