Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
53. Sitzung vom 21. Mai 1987
Goryanoff
(A) können; vielmehr hat er ahnungsvoll dahergeredet. Ahnungsvoll
in dem Sinne, daß er sich versucht hat an der Interpretation
der Rechtssystematik des Miethöhenregelungsgesetzes, seiner
Funktionsweise und seiner Praxis der Anwendung. Er hat - das
haben vor ihm auch die Redner von CDU und F.D.P. getan - ver
sucht, dieses Gesetz zu interpretieren. Man kann darüber strei
ten, ob diese Interpretation richtig ist oder nicht. Zumindest
ist es so, daß auch das, was in der Fach- und Presseöffentlich
keit zu diesen Fragen, was die Berlin-Regelung anbelangt, ge
schrieben wurde, einfach von der fachlichen Fundierung der
Sache her meistens nicht gerechtfertigt war. Auch in diesen
Bereichen muß man feststellen, daß die Journalisten oftmals
von der Materie keine Ahnung haben und sich dann auf die Politi
ker verlassen, die mit ihrer Begriffsbeselzung versuchen, eine
Sache zu deuten, bei der es inhaltlich um etwas anderes geht. Im
Falle des Miethöhenregelungsgesetzes ist es aber doch ganz
einfach. Man braucht sich nicht die Umstände zu machen, über
umfassende Interpretationen, Deutungsversuche, sibyllinische
Äußerungen, astrologische Sterndeuterei und -seherei irgend
etwas beweisen zu wollen.
Es ist ganz einfach; im Grunde genommen handelt es sich bei
dem Miethöhenregelungsgesetz, das in Berlin Anwendung
findet, um eine Berliner Sonderregelung, die dem Miethöhen
regelungsgesetz sozusagen angehängt wird. Diese Sonderrege
lung beinhaltet praktisch nur zwei Ausnahmeregelungen: An
stelle der im Miethöheregelungsgesetz vorgesehenen 30prozen-
tigen Kappungsgrenze bezogen auf 3 Jahre wird hier eine 5pro-
zentige Kappungsgrenze jährlich eingeführt. Die andere Rege
lung sieht vor, daß bei Neuvermietungen hier eine lOprozentige
Kappungsgrenze angesetzt wird. Das sind die Unterschiede zu
dem in Westdeutschland geltenden Miethöhenregelungsgesetz.
Man kann es sich einfach machen und nur die Praxis anschauen,
wie das Miethöhenregelungsgesetz in den großen Städten funk
tioniert hat. Dort war dieselbe Ausgangslage. Man muß sich nur
ansehen, wie sich die Mieten entwickelt haben, dann wird man
wissen, was auf Berlin zukommt. In Hamburg gab es bei-
(B) spielsweise jährliche Mietpreiserhöhungen von ca. 12%, in
München liegen diese Mieterhöhungsspielräume noch höher. Ich
habe vorhin schon einmal darauf hingewiesen, daß Wohnungen
mit gleicher Ausstattung und in gleicher Lage in Hamburg Miet
preise haben, die um das Doppelte bis Dreifache über dem lie
gen, was wir hier in Berlin haben. Damit ist eindeutig ausgewie
sen, was auf Berlin zukommen wird, nämlich im Durchschnitt
eine lOprozentige Mieterhöhung pro Jahr, Das ist im Durch
schnitt auf der Basis einer freien Marktwirtschaft für die sozialen
Belange der Mieter schlicht und einfach unerträglich.
[Beifall bei der AL]
Verfälschung, weil sie hier mit Zahlen operieren, die dieses von
der Basis her gar nicht hergeben.
[Simon (CDU): Sie wissen nicht, was Sie reden!]
Jeder Berliner Mieter wird sich natürlich wundern, daß ihn
dieses Schicksal der Mietpreisbindung nicht getroffen hat, denn
das hat so nicht stattgefunden, das weiß auch jeder Berliner
Mieter. Dennoch kommen Sie immer wieder mit diesen alten
Kamellen, die einfach ungenau sind und die auch in der Sache
nicht richtig sind.
Sie zitieren das, um das gegen die Mietpreisbindung
ins Feld zu führen. Es ist überhaupt eine seltsame Argumenta
tionslogik; Sie wenden also praktisch die Funktionsweise und
die Bindungswirkung der Mietpreisbindung gegen diese selbst
und sagen, deswegen ist sie schlecht, weil die Miete gebunden
ist. Das ist also eine Logik, die ich nicht nachvollziehen kann.
Außerdem hat der Regierende Bürgermeister das auch noch ein
mal versucht. Er hat gesagt, er wird jedes Jahr gezwungen, die
Mieten zu erhöhen. - Ja, wer zwingt ihn denn dazu, die Mieten zu
erhöhen? - Das frage ich Sie. Welche naturgesetzliche Oberge
walt zwingt ihn denn dazu, die Mieten zu erhöhen? Das ist doch
schlichtweg Unsinn, was hier geredet wird.
[Beifall bei der AL - Simon (CDU); Richtig, auf Ihre
Rede bezogen!]
Und wenn er hier schon von Verzerrungen spricht: Wer hin
dert ihn denn, auf der Basis der Mietpreisbindung einen Miet
preis-Erhöhungskatalog vorzulegen, der diese Verzerrungen ver
hindert, das heißt unmöglich macht, und damit zur Entzerrung
beiträgt, damit diese Spanne, von der er geredet hat, die in der
Realität auch so nicht existiert, nicht mehr vorkommt? Wer hin
dert ihn denn daran? - Er sich doch selber, weil er ganz andere
Interessen im Kopf hat.
[Beifall bei der AL und der SPD]
Die Mietpreisbindung wird am 1. Januar 1988 beendet. Das
wird die freie Marktwirtschaft bedeuten. Das wird eine erheb
liche Belastung für diese Stadt sein, und wir können nur alle Mie
ter aufrufen, sich an der Mieterabstimmung zu beteiligen, die vom
Mieterverein und von der Berliner Mietergemeinschaft ausge
richtet wird, denn wir wissen ganz genau, daß die entscheiden
den politischen Schlachten außerhalb dieses Parlaments ge
schlagen werden. Sie werden außerhalb dieses Parlamentes
ausgetragen, und da gehören sie auch hin, weil es nämlich die In
teressen aller Berliner Mieter betrifft. Die werden sich dort zu
Wort melden. Und wenn wir das Ergebnis haben, dann werden
wir Sie damit konfrontieren. Bilden Sie sich nicht ein, daß dieses
Thema im Wahlkampf vergessen wird! Dann haben wir die Reali
tät Ihrer unsozialen marktwirtschaftlichen Lösung.
[Beifall bei der AL und der SPD]
Präsident Rebsch: Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete
Biederbick.
Biederbick (F.D.P.): Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Als nach dem schlimmen Zweiten Weltkrieg
dieses Land darniederlag, haben Liberale gemeinsam mit Lud
wig Erhard eine Schlüsselentscheidung für die Bundesrepublik
Deutschland durchgesetzt, nämlich die Einführung der sozialen
Marktwirtschaft. Wir alle können heute sehen, daß diese Schlüs
selentscheidung eine richtige, eine sehr gute Entscheidung war
und jedem anderen System, jedem planwirtschaftlich-sozialisti
schen System überlegen ist.
[Beifall des Abg. Dr. Lehmann-Brauns (CDU)]
Wir haben heute festzustellen, daß die Versorgung der Bürger
mit Gütern, daß die Möglichkeit der Bürger, sich zu entscheiden,
in unserem Lande besser als in jedem anderen Land ist, das
nach einem anderen Wirtschaftssystem regiert wird. Deswegen
können wir nur sagen: Die Marktwirtschaft ist für uns der ent
scheidende Verteilungsfaktor, weil er letztendlich der gerechte
ste Verteilungsfaktor ist. Wir stehen zu diesem Grundprinzip.
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU]
Zweitens: Herr Simon - er ist nicht mehr da;
[Simon (CDU): Schauen Sie doch mal nach vorn!]
- Oh, Entschuldigung! - Ich würde Sie für die Zukunft bitten,
wenn Sie hier mit statistischen Zahlen operieren, ein bißchen
sorgfältiger, nicht so nachlässig, nicht so schluderig und
schlampig damit umzugehen und vor allen Dingen in der begriff
lichen Auslegung etwas genauer zu sein. Das, was Sie eben an
statistischer Erhebung vorgelesen haben, basiert auf den Erhe
bungen des Statistischen Landesamtes, die genommen werden
für Preisindexfeststellungen, also Preisindexentwicklungen,
[Simon (CDU): Nun sagen Sie es doch etwas genauer!]
Es handelt sich um einen Bestand von 500 Wohnungen, die
mehr oder weniger zufällig zusammengetragen werden. Es ist
also noch nicht einmal die statistische Grundlage eines Mikro
zensus vorhanden. In diese Wohnungen fließen völlig zufällig
und ganz unsystematisch auch Mieterhöhungen rein, wenn es
sich zum Beispiel jetzt in den zurückliegenden Fällen um Mieter
höhungen nach der Ertragsberechnungsverordnung handelt
[Simon (CDU): Alles aus der Rechtsverordnung abzulesen!]
oder Mieterhöhungen durch Modernisierung. Das heißt, wenn
Sie hier Zahlen zitieren von 22prozentigen Mieterhöhungen auf
der Basis der Miefpreisbindung jährlich in den letzten zehn
Jahren, dann ist das schlicht und einfach eine völlige statistische
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