Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
53. Sitzung vom 21. Mai 1987
Goryanoff
(A) Nach diesen Übergangsregelungen wird der weiße Kreis
faktisch ab 1.1.1988 eingeführt. Damit kommen harte Zeiten
auf die Berliner Mieter zu. Der Griff in die Taschen der Mieter
wird tiefer, die Forderungen der Eigentümer, der Vermieter wer
den unverschämter werden. Die sozialen Schutzrechte sind
abgebaut, und das Ungleichverhältnis zwischen Mieter und Ver
mieter wird dadurch ganz erheblich verstärkt.
Wir haben in dieser Stadt eine Situation, die es ganz
einfach nicht zuläßt, für einen freien Markt auf dem Wohnungs
sektor einzutreten. Der freie Markt - das sage ich Ihnen, Herr
Landowsky -, die freie Wohnungsmarktwirtschaft, die Sie hier in
dieser Stadt wollen, das ist die Situation eines freien Fuchses in
einem freien Hühnerstall!
[Beifall bei der AL und der SPD - Dr. Mahlo (CDU):
Wollen Sie nicht den Verfasser dieses Zitats nennen?]
In Berlin kann es aufgrund der besonderen Bedingungen
keinen Markt geben. - Herr Kollege, es ist völlig egal, wer der
Verfasser des Zitates ist; entscheidend ist die inhaltliche
Richtigkeit dieses Zitats! -
[Beifall bei der AL - Kuhn (AL): Fuchs bleibt Fuchs!]
In Berlin gibt es keinen funktionierenden Markt und wird es
auch in Zukunft nicht geben können, der eine reale Preisbildung
ermöglicht, der ein Gleichgewicht herstellt zwischen Mieter
und Vermieter. Und jetzt hören Sie einmal gut zu:
[Palm (CDU): Na, na! Wir sind nicht in der Schule!]
Die besonderen Bedingungen in dieser Stadt sind die, daß
90 % der Haushalte Mieterhaushalte sind, daß Berlin ein räum
lich abgeschlossenes Gebilde darstellt, also überhaupt kein
Umland besitzt,
[Zurufe von der CDU]
daß die Einkommenssituation der Mehrzahl der Haushalte
unter der vergleichbarer Großstädte liegt und daß über 50 %
(B) des Mietwohnungsbestandes Altbauwohnungen sind. Wenn Sie
das einmal mit dem Stadtstaat Hamburg vergleichen, dann sind
das dort nur 26%, in München - vergleichbare Größenord
nung - sind es noch weniger. Wir wissen aus den westdeut
schen Großstädten, daß die Mietbelastung in den innerslädli-
schen Gebieten enorm hoch ist; dort liegen die Mieten über dem
Doppelten bis Dreifachen von dem, was in Berlin in vergleichba
rer Lage bei vergleichbarer Größe und Ausstattung zur Zeit ge
zahlt wird.
Die Folgen dieser Situation sind bekannt. Wir haben eine
Verödung der Innenstädte, weil die Mieter ins Umland ziehen
und es zu Umzugsketten bis weit ins Umland kommt. Die
negativen Folgen sind bekannt: Verödung der Innenstädte, Zu
nahme des innerstädtischen Pendelverkehrs, die Besiedlung
und Zersiedlung der stadtnahen Fläche, der Umnutzungsdruck
innerhalb der innerstädtischen Gebiete - das sind alles
negative Folgen, die in der stadtentwicklungspolitischen Diskus
sion in den Stadtgebieten in der Bundesrepublik diskutiert wer
den. Und nun können Sie nicht so tun, als würde das hier nicht
stattfinden. Ganz im Gegenteil: Hier wird sich das kumulieren,
und die negativen Folgen werden sich hier viel stärker zeigen,
und dieses Ungleichheitsverhältnis zwischen Mieter und Vermie
ter wird sich hier noch verstärken. Deswegen verbietet sich ganz
einfach, in Berlin eine freie Wohnungsmarktsituation herbeizu
führen.
[Beifall bei der AL]
Die öffentlich kontrollierte Mietpreisbindung war gerade das
Korrektiv für den tatsächlich nicht vorhanden Markt, und das
hat leidlich und gut in den letzten Jahren funktioniert.
[Zuruf von der F.D.P.]
Zu diesen verfassungsrechtlichen Bedenken, die Sie immer
einbringen, kann ich nur sagen: Sie sollten das BGH-Urteil von
1979 genau lesen; da steht nämlich etwas ganz anderes
drin. Darin steht nämlich eine Prüfungsnotwendigkeit, und diese
Prüfungsnotwendigkeit ist immer dann gegeben, wenn es die
sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse erforderlich machen.
Schon allein die von mir angeführten Kriterien genügen, daß
nach Maßgabe dieses Urteils in Berlin eine Sondersituation (C
herrscht, und diese Sondersituation rechtfertigt Sonderregelun
gen!
[Beifall bei der AL und der SPD]
Die jetzt vorgelegte Übergangsregelung wird der Situation
in keiner Weise gerecht. Ich habe das vorhin schon angedeutet:
Wir werden ab 1.1.1988 den weißen Kreis haben. Der Senat
operiert hier mit Begriffen, die man schlichtweg als Etiketten
schwindel und als die großangelegte Mieteniüge bezeichnen
muß.
[Beifall bei der AL - vereinzelter Beifall bei der SPD]
Dazu wird hier noch dilettantisch operiert, wie man das an
den beiden völlig unterschiedlichen Vorlagen in Bonn und hier
im Abgeordnetenhaus sehen kann; man sollte sich eigentlich
an dieser Abstimmung gar nicht beteiligen,
[Simon (CDU): Machen Sie doch!]
weil sie schlichtweg lächerlich ist, weil die Dinge ganz
woanders entschieden werden.
Sie operieren in diesen Übergangsregelungen mit Begriffen
wie Bindungswirksamkeit. Diese Bindungswirksamkeit existiert
gar nicht mehr, weil Sie das öffentlich-rechtliche System der
Mietpreisbindung zugunsten eines freien Wohnungsmarkts auf
geben wollen. Das heißt, alle Angelegenheiten zwischen Mieter
und Vermieter regeln sich dann nur noch privatrechtlich. Das be
deutet eine Umkehr der Beweislast, eine Verschlechterung der
Situation der Mieterseite. Es wird ein ungeheuer schwieriger und
komplizierter Weg für den Mieter geben, bei überhöhten Miet
forderungen die ungerechtfertigten Beträge zurückzufordern;
das wird faktisch unmöglich. Auch die Kappungsgrenzen, die Sie
eingeführt haben - die 5 %-Kappungsgrenze bei Bestands
mietverträgen und die 10 % -Kappungsgrenze bei Neumietverträ
gen -, werden so nicht funktionieren, weil Sie in dem Gesetzent
wurf begrifflich nicht sauber operieren. Nach dem Miethöhe-
Regelungsgesetz haben wir nämlich eine zweite Miete, das sind (D)
die Bewirtschaftungskosten. Wie wir alle wissen, werden diese
Bewirtschaftungskosten in Zukunft voll auf die Miete umgelegt
werden können. Das heißt, wir haben zwei Mieten, und insofern
müssen wir davon ausgehen, daß nicht nur diese Mieterhö
hungsmöglichkeit von fünf Prozent besteht, sondern wegen der
Umlagefähigkeit der Bewirtschaftungskosten weit darüber hin
aus. Man muß davon ausgehen, daß die Möglichkeit der Erhö
hung der Mieten um jährlich sieben bis neun Prozent drin ist. Und
die Vermieter werden sich den Teufel darum scheren, was Sie
hier für fromme Worte und propagandistische Parolen verbrei
ten, sie werden nach ihren ökonomischen Profitinteressen rea
gieren und das, was möglich ist, auch nehmen.
Wir können abschätzend sagen - wir haben das einmal über
schlägig berechnet -, daß allein durch die Mieterhöhungsmög
lichkeit ab 1.1.1988 ein Mehreinkommen an Miete zwischen
50 und 70 Millionen DM jährlich in die Taschen der Eigentümer
fließen wird. Dieses Mehraufkommen an Mietzahlung zusätzlich
geht ausschließlich zu Lasten der Einkommen der Berliner Mie
ter; und dieses Mehreinkommen, das in die Taschen der Haus
eigentümer fließt, ist ein leistungsloser Gewinn, der durch
keine wirtschaftliche Tätigkeit gerechtfertigt wird. Ausschließlich
des juristischen Titels wegen kassieren die Hauseigentümer ab
- das ist Ihre typische, ganz klare Umverteilungsstrategie von
Arbeitseinkommen auf arbeitsloses Besitzeinkommen.
[Beifall bei der AL - Simon (CDU): Wir sind beeindruckt,
schwer beeindruckt von dieses Logik!]
Sie brauchen sich nur die jetzige Struktur des Hausbesitzes an
zuschauen; wir wissen, daß in den letzten 20 Jahren eine
ungeheure Wandlung in den Besitz- und Eigentumsverhältnis
sen des Berliner Haus- und Grundstückswesens stattgefunden
hat. Der Hausbesitz im Sinne der klassischen Rentenfunktion
gibt es schon lange nicht mehr,
[Zuruf der Frau Abg. Schmid-Petry (F.D.P.)]
- Das hat etwas mit Ihrer Subventions- und Investitionspolitik
auf dem Gebiet der Wohnungsbauförderung zu tun, aber auch
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