Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
52. Sitzung vom 14. Mai 1987
Fähig
Er hat auch gesagt, wir dürften uns nicht daran hindern lassen,
Mauer und Schießbefehl beim Namen zu nennen. Das ist auch
richtig.
[Zuruf: Das Wortprotokoll kriegen wir doch noch! -
Heiterkeit]
Aber; Mauer und Schießbefehl - das ist die deutsche Tragödie -
sind etwas, was gerade zur Zeit noch die Existenz der anderen
Seite sichert. Und es ist ja nicht so, daß die andere Seite das
nicht wüßte. Es war Erich Honecker, der gesagt hat: „Die Mauer
wird nicht ewig stehen.“ Bei diesem Wort könnte man Erich
Honecker nehmen, dieses Wort hätte man auch in Reden zitie
ren können, die anläßlich der Eröffnung des 750-Jahr-Jubiläums
gehalten worden sind. Der Regierende Bürgermeister hat
Anfang des Jahres das Jahr 1987 zum Jahr der deutschlandpoli
tischen Vernunft ausgerufen. Ich bin nicht sicher, daß alle Teile
der Reden, die am 30, April im ICC gehalten worden sind,
diesem Maßstab standhalten.
[Beifall bei der SPD und des Abg. Rasch (F.D.P.)]
Das Berlin-Problem ist - der Regierende Bürgermeister hat
das gesagt, Vorredner haben es auch gesagt - sicherlich kein
isoliertes Problem, auch nicht losgelöst zu sehen und zu diskutie
ren vom globalen Ost-West-Verhältnis und auch nicht von
Fragen der Abrüstungspolitik und der Sicherheitspolitik. Insofern
ist die Begründung des Antrags der Alternativen Liste durchaus
richtig. Und es ist ja auch so, daß Schritte der Lösung des Berlin-
Problems, der Probleme um Berlin und jede Deutschlandpolitik
sich an die Vernunft der Schlußakte der KSZE-Konferenz von
Helsinki halten müssen, in der die Zusammenhänge beschrieben
worden sind. Wenn wir Forderungen gegen die DDR und den
Osten erheben, indem wir auf die Einlösung der Menschen
rechte pochen und sagen, dieses gehöre mit zu KSZE, dann
müssen wir auch sehen, daß die Schlußakte von Helsinki auch
beschrieben hat, wie man in sicherheitspolitischen Fragen
Zusammenarbeiten muß, aufeinander zugehen muß, wie man ver
trauensbildende Maßnahmen betreibt.
[Beifall bei der F.D.P. und der SPD]
Und da erfüllt mich mit Sorge, was zu diesen Themen in Bonn
gesagt wird. Und leider ist auch die Antwort, die der Regierende
Bürgermeister hier gegeben hat, nicht befriedigend - für mich
und für uns - gewesen.
[Beifall bei der SPD]
Er hat ausdrücklich - ich habe sehr aufmerksam zugehört - nur
von der Nullösung im Bereich der Mittelstreckenraketen mit
längerer Reichweite gesprochen. Ich sage hier: Wir dürfen die
historische Chance nicht vorübergehen lassen, zu einer dop
pelten, zu einer weitergehenden Lösung auch im Bereich der
kürzeren Mittelstreckenraketen zu kommen.
[Beifall bei der F.D.P. und der SPD - Adler (CDU):
Verteidigungsausschuß!]
Wir sind - das ist kein Geheimnis - für die sogenannte dop
pelte Nullösung, und wir betrachten ein Junktim, ganz gleich
womit man etwas Erreichbares koppelt, als nicht gut für die Poli
tik - für absolut nicht gut.
[Beifall bei der SPD und des Abg. Tiedt (F.D.P.) -
Zuruf von der SPD]
Ich erinnere daran, daß die Bundesregierung in Bonn insbeson
dere Herrn Gorbatschow gescholten hat, weil er die Abrüstungs
diskussion in Genf mit dem Junktim zur SDI-Frage belastet hat.
Es ist nicht zuletzt aufgrund der Bemühungen der Bundesrepu
blik und des Bundesaußenministers gelungen, dieses Junktim
aufzulösen. Aber es gibt Kräfte in Bonn, die jetzt ihrerseits ein
neues Junktim zwischen den Mittelstreckenraketen und den kon
ventionellen Waffen herstellen wollen. Ich und mit mir meine
gesamte Partei halten das für eine unvernünftige Position.
[Beifall bei der F.D.P. und der SPD]
Es muß der Grundsatz gelten,
[Zuruf des Abg. Adler (CDU)]
daß abgerüstet werden muß, sowie sich die Chance bietet - auf (C)
welchem Gebiet auch immer.
[Beifall bei der SPD und der AL und
des Abg. Tiedt (F.D.P.) - Unruhe bei der CDU]
Ein letztes Wort: In Bonn wird ja nicht nur über die Raketen
frage dumm geschwätzt, sondern auch über das Thema Wieder
vereinigung. Auch hier will ich einmal ganz deutlich sagen: Wir
halten diese Diskussion von Bonn aus, die von einem bestimm
ten Politiker gehalten wird, auch nur für dummes Geschwätz;
[Zuruf des Abg. Adler (CDU)]
als ob die Wiedervereinigung vor der Tür stünde.
[Beifall bei der SPD und der F.D.P]
- Vielen Dank!
Stellv. Präsident Longolius: Der nächste Redner ist der
Kollege Löffler.
Löffler (SPD): Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Herr Regierender Bürgermeister, wir empfinden es
als richtig, daß Sie in Ihrem Beitrag auch auf Abrüstungsfragen
eingegangen sind, weil für uns unwiderlegbar ein Zusammen
hang zwischen den Abrüstungsbemühungen und Abrüstungs-
Vereinbarungen der Weltmächte und entscheidenden Fortschrit
ten in der europäischen, in der deutsch-deutschen Politik gege
ben ist.
[Beifall bei der SPD]
Sie haben gesagt, der Senat unterstützt die Haltung der Bundes
regierung: die Nullösung für Raketen größerer Reichweite. Herr
Regierender Bürgermeister, nehmen Sie bitte zur Kenntnis,
[Seiler (AL): Der hört gar nicht zu! -
Zuruf von der SPD: Unverschämtheit -
Glocke des Präsidenten] ^
daß der Senat von Berlin im Abgeordnetenhaus für diese redu
zierte Abrüstungsposition keine Mehrheit hat.
[Beifall bei der SPD und der AL - Adler (CDU):
Das ist gar nicht notwendig!]
Das ist nicht nur durch den Beitrag vom Kollegen Fabig deutlich
geworden. Am 6. Mai hat der Kollege Rasch, als Vorsitzender
der F.D.P. und als Bundesvorstandsmitglied, ganz deutlich zum
Ausdruck gebracht, daß die doppelte Nullösung Grundlage der
Politik der Berliner F.D.P. ist.
[Beifall bei der SPD und des Abg. Tiedt (F.D.P.)]
Sie haben keine Mehrheit und wären als Regierender Bürger
meister gut beraten, wenn Sie in dieser zentralen Frage be
denken würden,
[Zurufe der Abgn. Adler (CDU) und Hapel (CDU)]
daß Sie mit dieser Ihrer reduzierten Politik, die nur auf die Unter
stützung der Position von Bundeskanzler Kohl beruht, der die
Interessen des deutschen Volkes hüben wie drüben nicht
berücksichtigt, keine Unterstützung haben.
[Beifall bei der SPD und des Abg. Wieland (AL) -
Momper (SPD): Sehr wahr! -
Wagner, Horst (SPD); Richtig! -
Buwitt (CDU): Unerhört!]
Unser Fraktionsvorsitzender hat dem Regierenden Bürger
meister, was die Politik der letzten Tage betrifft, den Vorwurf des
Dilettantismus gemacht. Es war für mich sehr interessant, Herr
Buwitt, daß Sie diesen schwerwiegenden Vorwurf nicht zurück
gewiesen haben. Entweder fehlt es Ihnen an Improvisations
fähigkeit, Ihre Rede dann schnell zu ändern, oder aber Sie halten
ihn für berechtigt. Wir halten ihn für berechtigt - die Begründung
dafür folgt.
[Beifall bei der SPD]
Herr Regierender Bürgermeister, Sie haben am 4. Juli 1986
in einem Brief an die Ministerpräsidenten der übrigen Länder
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