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Volume Nr. 51, 7. Mai 1987

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1987, 10. Wahlperiode, Band IV, 50.-67. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
51. Sitzung vom 7. Mai 1987 
Frau Vonnekold 
A) daß man sich nicht wundern muß, daß diese Menschen mit so 
wenig Zukunftsperspektive nun nicht eben übertrieben viel 
Grund haben, diesen Staat aktiv zu tragen. 
[Zuruf des Abg. Kammholz (F.D.P.)] 
[Zuruf von der CDU] 
- Mich würden die problematischen Bewohner Kreuzbergs nicht 
stören, weil ich neben den problematischen Bewohnern 
Neuköllns wohne! Aber Sie müssen doch erst einmal irgendwo 
die Wohnungen freimachen, in die dann die besseren Mieter 
(B) nachziehen sollen. 
Deswegen kann es also auch nicht nur darum gehen, irgend 
welche kosmetischen Verbesserungen an diesem Bezirk an 
zubringen, sondern es muß schon etwas tiefer gehen. Die Wirt 
schafts- und Sozialspolitik dieses Senats muß sich grundlegend 
ändern, denn die Probleme, die sich jetzt in Kreuzberg zeigen, da 
in verschärfter Form, sind nicht nur Kreuzberger Probleme, son 
dern sie betreffen große Teile unserer Stadt. Deswegen fordern 
wir eine grundsätzlich andere Politik für ganz Berlin. Und zwar 
muß zunächst dafür gesorgt werden, daß sich die Wohnverhält 
nisse in dieser Stadt weiter verbessern. Dabei ist auch die Bei 
behaltung der Mietpreisbindung ein wichtiger Punkt, 
[Beifall bei der AL - Zuruf des 
Abg. Pöppelmeier - CDU] 
um zu verhindern, daß noch mehr Leute in die Armut abgedrängt 
werden, und zwar die Mietpreisbindung als Dauerrecht und nicht 
immer nur häppchenweise für zwei oder drei Jahre. 
[Beifall bei der AL und der SPD] 
Des weiteren ist eine Grundsicherung für alle Menschen 
anzustreben, die ein Leben in Würde ermöglicht und nicht die 
nackte Existenzsicherung der Menschen, die dann bei leisesten 
Krisen wie bei einem harten Winter nicht mehr wissen, wovon sie 
leben sollen. 
[Beifall bei der AL] 
Es kann sicherlich auch nicht hingenommen werden, daß zum 
Beispiel gerade Menschen, die in dieser Stadt alt geworden 
sind, die diese Stadt wieder mit aufgebaut und ihr ganzes Leben 
für diese Stadt gelebt und gearbeitet haben, im Alter dann da 
sitzen und sich von Hundefutter ernähren müssen. Soweit sollten 
wir uns doch einig sein, daß das mit Menschenwürde nichts 
mehr zu tun hat. Und wenn Sie hier permanent die Würde des 
Menschen im Munde führen, dann sollten Sie darüber auch ein 
mal nachdenken. 
[Beifall bei der AL] 
Ein weiterer zentraler Punkt ist, daß schleunigst - und da 
wurde hier letztens von übertriebener Hast gesprochen, ich 
frage mich, was in den letzten Jahren da so hastiges passiert sein 
könnte - dafür gesorgt wird, daß Beschäftigungs- und Aus 
bildungsprogramme aufgelegt werden. Es gibt in dieser Stadt 
sehr viele Maßnahmen, die dringend nötig wären: in der 
Wohnumfeldverbesserung, in der Verbesserung der sozialen 
Infrastruktur. Das sind alles Dinge, die diese Stadt sehr nötig hat 
und womit man die bestehende Dauerarbeitslosigkeit sicherlich 
eindämmen könnte. Eine Sozial- und Wirtschaftspolitik, die nicht 
die Bekämpfung der Dauerarbeitslosigkeit als Priorität sieht, 
kann an den Problemen dieser Stadt nur Vorbeigehen. 
Und schließlich muß schnellstmöglich das kommunale Wahl 
recht für die ausländischen Bürger dieser Stadt durchgesetzt 
werden, damit diese endlich eine Möglichkeit haben, sich zu arti 
kulieren. Es geht nicht an, daß bedeutende Teile unserer Bevöl 
kerung hier keinerlei Eingriffsmöglichkeiten haben. Deswegen 
fordern wir in der Situation, in der wir jetzt sind, nicht darüber zu 
lamentieren, was wieder alles Fürchterliche durch ein paar Chao 
ten passiert sein könnte, 
[Palm (CDU): Ist denn das wahr? Wozu diskutieren 
wir denn hier überhaupt? - weitere Unmutsäußerungen 
bei der CDU] 
sondern die Probleme dieser Stadt wirklich anzupacken, falls Sie 
zwischen den Festbanketten dafür einmal eine Minute Zeit haben 
sollten. Denn zur Zeit bemühen Sie sich ja, Berlin eher in eine 
geschminkte Hure zu verwandeln, die sich nach außen hervor 
ragend verkaufen läßt. 
[Buwitt (CDU): Warum zeigen Sie bei „Hure“ denn 
auf die AL?] 
Innen ist alles wurmstichig, was nicht übertrieben wundern kann, 
da sich ja zumindest Teile Ihrer Fraktion im Zuhältermilieu bisher 
relativ wohlgefühlt haben. 
[Beifall bei der AL - Krüger (CDU): Eine Unverschämtheit 
ist das!] 
Präsident Rebsch: Das Wort hat nun für die F.D.P. die Kolle 
gin Schmid-Petry. 
Frau Schmid-Petry (F.D.P.): Herr Präsident! Meine Damen 
und Herren! Von den brutalen Auseinandersetzungen in Kreuz 
berg am l.und 2.Mai 1987 ist sicherlich nicht nur die Polizei, 
nein, alle Berliner sind von diesen Auseinandersetzungen und 
von ihrer Brutalität überrascht worden. Ich glaube, daß wir alle 
darüber entsetzt sind. Wenn wir ehrlich sind, hat hier keiner ein 
Konzept geschweige denn ein Rezept anzubieten. Und mög 
licherweise müssen wir auch damit rechnen, daß nicht nur in 
Kreuzberg die Probleme vielschichtig sind, sondern auch in an 
deren Bezirken dieser Stadt. 
Ratlosigkeit macht sich breit. Deswegen haben wir auch keine 
Rezepte. Und wenn ich Herrn Momper richtig verstanden habe, 
hat er ja nicht umsonst hier einen unabhängigen Kreuzberger 
Beauftragten gefordert, weil auch die Opposition nicht sagen 
kann, warum sich die Gewalt in diesem Bezirk so eskaliert hat. 
Mehrere Gruppen der Bevölkerung haben Schlagzeilen ge 
macht. Die erste war der harte, sogenannte „bambule-erfahrene“ 
Und was, bitte schön, sagen Sie denn der Sozialrentnerin, die 
Chappi frißt und deswegen meint, man müßte nicht unbedingt 
den Staat tragen, dessen Repräsentanten sich hier regelmäßig 
dreimal die Woche an den Riesenbuffets vollfressen? 
[Landowsky (CDU) Ist doch viel billiger als 
Dosenfleisch!] 
Was sagen Sie denn solchen Leuten, 
[Kliem (CDU): Sagen Sie mal, kennen Sie Kreuzberg 
überhaupt?] 
wenn die fragen, was hat denn der Staat noch mit mir zu tun? 
Gut, aber ich wollte mit Ihnen darüber unterhalten, wie — 
[allgemeine Unruhe ] 
- Können Sie mir vielleicht ein bißchen Gehör verschaffen? - 
Gut, ich wollte mich mit Ihnen eher darüber unterhalten, wie Sie 
sich Ihre soziale Mischung vorstellen. Das kann doch nicht mehr 
und nicht weniger heißen, als daß man die problematischen 
Bewohner aus diesem Kiez heraushaben will. Nun stellt sich 
natürlich die Frage, wohin. Gleich über die Mauer? Oder die 
andere Alternative, die mir einfällt, wäre natürlich, die bessere 
soziale Durchmischung auch für Dahlem und Frohnau zu fordern. 
Da ist es nur die Frage, ob Ihre Klientel das so wahnsinnig 
komisch findet. 
Wir gehen davon aus, daß die bessere soziale Durchmischung 
sicherlich nicht die Lösung sein kann, sondern wir sehen als ein 
zige Lösung, die Lebensverhältnisse für die Menschen, aktiv zu 
verbessern, die jetzt da in Kreuzberg wohnen, 
[Beifall bei der AL] 
und daß wir diese auch dort wohnen lassen und sie nicht irgend 
wie über die Stadt verstreuen, vereinzeln und wieder zu ver 
schämten Armen machen. Wir müssen im Gegenteil dafür 
sorgen, daß die Strukturen, die sich jetzt in diesem Kiez schon 
bilden, gestärkt und gefördert werden und die Menschen dort 
weiter in die Lage versetzt werden, gemeinsam ihre Situation zu 
verbessern. Das heißt, daß die entstandene Kiezkultur in Kreuz 
berg, die Sie so fürchterlich finden, nicht zerschlagen, sondern 
gestärkt werden sollte. 
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