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Volume Nr. 66, 11. Dezember 1987

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1987, 10. Wahlperiode, Band IV, 50.-67. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
66. Sitzung vom 11. Dezember 1987 
Stellv. Präsident Longolius 
(A) In der Besprechung hat der Kollege Dr. Staffelt das Wort. 
Dr.Staffelt (SPD): Herr Präsident! Meine sehr verehrten 
Damen und Herren! Ich möchte zu dem letzten Punkt der Haus 
haltsdebatte über die Attraktivität unserer Stadt mit Ihnen reden 
und hierbei die Attraktivität der Stadt für die Berliner selbst, aber 
auch für die Besucher der Stadt einbeziehen. 
Es ist sicher eine zu begrüßende Politik, wenn über kulturelle 
Aktivitäten in der Stadt Außenwirkung erzielt wird. Dies nutzt 
dem politischen Ansehen, und dies nutzt auch der Wirtschaft 
dieser Stadt, Dennoch können wir als Sozialdemokraten eine 
Politik nicht befürworten, die sich, wie es so schön in der „Frank 
furter Allgemeinen Zeitung“ hieß, zur „Festivalitis“ entwickelt hat, 
Bezug nehmend auf die 750-Jahr-Feier möchte ich hier den 
schon häufig genannten Satz wiederholen; Weniger wäre 
sicherlich mehr gewesen. Ich sage dies aus der Überzeugung 
heraus, daß mir selbst und vielen Bürgerinnen und Bürgern 
unserer Stadt, aber auch denen, die draußen und von draußen 
die Stadt beobachtet haben, nach den vielen Veranstaltungen 
des Jahres 1987 nicht klar geworden ist, was denn nun eigent 
lich die Botschaft Berlins im Zusammenhang mit dieser 750- 
Jahr-Feier gewesen ist. Wir bemängeln, daß offenbar nicht die 
Zeit zur Verfügung gestanden hat, über Standortbestimmungen 
für Berlin wirklich intensiv und in aller Breite nachzudenken und 
Perspektiven zu entwickeln. Wir haben vielmehr die große 
Sorge, daß mit der doch sehr stark aufgetragenen 
Leistungsfähigkeit dieser Stadt in der Bundesrepublik der Ein 
druck erweckt wurde, als sei in Berlin alles in Ordnung, als hätte 
diese Stadt eigentlich keine Unterstützung von draußen nötig, 
als wäre in Berlin „der Himmel auf Erden“ bereits realisiert. 
Wir haben die Sorge, daß diese Art der Politik sich im näch 
sten Jahr fortsetzen wird mit der Veranstaltung E 88 - Euro 
päische Kulturstadt Berlin. 
Ich darf in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß 
(B) diese Auszeichnung für die Stadt wohl deshalb vergeben wurde, 
weil Berlin in der Vergangenheit, das heißt in bestimmten 
Perioden seiner Geschichte, ausweislich europäische Kultur, eu 
ropäische Kulturgeschichte gemacht hat, Das heißt für uns 
Sozialdemokraten, daß dies Anlaß ist, einmal darzustellen, was 
diese Stadt war, was sie heute ist und was sie sein könnte, was 
sie sein wird. Wir haben den Eindruck - und das kritisieren wir-, 
daß da eine Feier zusammengebastelt wurde, die eher Stück 
werk, die eher - ich will es einmal so sagen - Berlin als Bühne, 
nicht aber als aktiven Faktor in Erscheinung treten lassen soll. 
Wir bemängeln in diesem Zusammenhang, daß der Herr Senator 
Hassemer nicht auf die Idee gekommen ist, E 88 auch mit Kultur 
aktivitäten an der Basis zu verbinden. Wir fragen uns: Wie ist es 
möglich, wenn eine solche europäische Auszeichnung vergeben 
wird, daß im Rahmen dieser Feierlichkeit die Bemühungen um 
Kulturarbeit mit Ausländern, auch mit europäischen Ausländern 
völlig ausgeklammert wird? Wir kritisieren, daß BerlinerGruppen 
in viel zu geringem Maße Berücksichtigung gefunden haben, und 
waren der Auffassung, daß nach den Stars hier in Berlin es wohl 
eine richtige Politik gewesen wäre, Berliner Gruppen, die sich ja 
in der Welt sehen lassen können, auch draußen in Erscheinung 
treten zu lassen. 
[Beifall bei der SPD] 
Ich denke aber auch, daß zu bemängeln ist, daß wir viel zu 
wenig Ost und West verbindende Aktivitäten im Rahmen dieser 
Feierlichkeit haben und daß wir viel zu wenig durch den Senator 
realisiert eine Pflege, auch eine kontinuierliche und langfristige 
Pflege, der Kontakte nach Osteuropa und vor allem auch in die 
DDR haben. Offenbar ist der Senator eher für den bequemeren 
Weg nach Westen; dies wird aber wohl der Stellung der Stadt in 
ihrer geopolitischen Lage in keinem Falle gerecht, vor allem auch 
eicht ihrer traditionellen und geschichtlichen Stellung. 
[Beifall bei der SPD] 
Bei aller Würdigung traditioneller Kultur sehen wir natürlich 
auch ein wesentliches Defizit der Arbeit in der Vernachlässigung 
der Basis, das heißt, der Streit ist ein Streit auch um den Kultur 
begriff selbst, die kulturelle Teilhabe, also die Formen verschie 
denster Art dezentraler Kulturarbeit. Noch immer hat der Senat (C) 
offenbar nicht begriffen, daß Kulturpolitik mehr ist als Theater, 
Oper, Philharmonie und internationaler Workshop. 
[Biederbick (F.D.P.): Das müssen Sie gerade sagen!] 
So wichtig und so bedeutsam diese Form der Kulturarbeit ist - 
das bezweifeln wir überhaupt nicht -, so sehr erfordert die 
gesellschaftliche Entwicklung in unserer Stadt - und wir haben 
heute schwerpunktmäßig über Arbeitsmarktprobleme in dieser 
Stadt gesprochen - ein breiter angelegtes Kulturverständnis. In 
Zeiten zunehmender zeitlicher Dispositionsfähigkeit und zuneh 
mender Arbeitslosigkeit erhält Kulturarbeit als gesellschaftlicher 
Auftrag eine immer stärkere Bedeutung. Die hierfür angewand 
ten Mittel stehen allerdings in keinem Verhältnis zur Förderung 
staatlicher Kulturinstitutionen. Allein für Oper, Schauspielbühnen 
und Philharmonie sind dies für 1988 immerhin rund 180 Millio 
nen DM, ein riesiger Betrag, dem die dezentrale Kulturarbeit 
kaum etwas entgegenhalten kann, 
Kulturarbeit als gesellschaftliche Aufgabe heißt auch - und 
damit schließe ich ein wenig den Kreis zur Diskussion heute mor 
gen Selbstverwirklichung fördern, heißt, neue individuelle 
Fähigkeiten zu vermitteln und zu erlernen, heißt auch, nichtsub- 
ventionierte Arbeitsplätze in der Stadt zu schaffen. Ideen, dies zu 
verwirklichen, gibt es genug, von der Schaffung dezentraler Kul 
turwerkstätten beginnend über die Förderung freier Gruppen bis 
hin zu den qualifizierten Projekten mit Menschen in den Kiez 
bereichen. 
Kulturarbeit darf aber auch nicht zum alleinigen Instrument des 
Tourismus werden. Wir sind sehr dafür, wenn überKulturakfivitä- 
ten Menschen von draußen angezogen werden; natürlich ist das 
gut, und natürlich ist das auch gewinnbringend für die Stadt. 
Aber wir bemängeln doch sehr stark, daß offenbar dem Kultur 
senator ein wenig die kulturelle Kompetenz entglitten ist, weil 
einfach zuviel bei den Herren Pieroth und Stronk ressortiert. Und 
im übrigen haben Sie dann noch Herrn Fink, der die gesamte 
Künstlersozialförderung betreibt. Nun haben wir heute morgen 
gehört, daß Herr Fink es ja sehr stark mit der Schöpfungs 
geschichte hat; insofern also mag ihm das zugesfanden sein. 
Vielleicht hat er die besseren Verbindungen - ich weiß es nicht. 
[Ristock (SPD): Das bezweifeln wir in jedem Falle!] 
Wir glauben jedenfalls, Herr Senator Hassemer, und wir möch 
ten Sie eigentlich darin auch persönlich bestärken, daß Sie den 
kulturellen Anteil der Politik des Senats vergrößern und Ihr Res 
sort stabilisieren und sich nicht von anderen, die häufig genug 
meinen, in alle Bereiche ausufern zu sollen, weil sie für eine Poli 
tik der Ankündigungen stehen, übertrumpfen lassen sollten. 
Darf ich Ihnen darüber hinaus aber auch, Herr Senator Hasse 
mer, folgendes mit auf den Weg geben: Es spricht nicht für Ihre 
Stärke im Senat, daß Sie eine Vorlage zur dezentralen Kultur 
arbeit im Juni dieses Jahres zur Mitzeichnung herausgegeben 
haben, und heute, im Dezember, ist sie immer noch nicht vom 
Finanzsenator mitgezeichnet. Ich glaube, das ist bezeichnend für 
Ihre Stellung im Senat; und - man macht das ja ungern - das 
Wahlergebnis auf dem Landesparteitag der CDU ist wiederum 
beredtes Beispiel für Ihre Stellung in der CDU. 
Lassen Sie mich ferner auch noch auf einige „Hängepartien“ 
aufmerksam machen. Wir müssen Sie, Herr Senator Hassemer, 
wenn Sie, und ich komme zurück auf den Punkt E 88, so viele 
Außenengagements für diese Stadt, damit diese Feierlichkeit 
auch einen entsprechenden qualitativen Rahmen erhält, gewin 
nen wollen, fragen: Wie steht es denn eigentlich um die Berliner 
Sprechtheater? Sie waren es, die Herrn Gobert nicht mehr wei 
ter im Amt belassen haben - wenn ich mich recht entsinne - und 
Herrn Sasse verpflichtet haben. Nun mag man über Herrn Sasse 
streiten wie man will, der Ruf der staatlichen Bühnen ist jeden 
falls nachhaltig geschädigt nach innen und nach außen. Wir 
fragen Sie: Was haben Sie beispielsweise an solch einem wich 
tigen Punkt getan, um diesen Ruf und vor allem die Qualität der 
Theater in dieser Stadt zu verbessern? Ich weise darauf hin, daß 
offenbar Ihr letzter Strohhalm Herr Neuenfels ist, den Sie auch 
entsprechend finanziell noch einmal versuchen zu festigen, um 
sich in entsprechender Weise in das Jahr 1988 hinüberzuretten. 
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