Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
46. Sitzung vom 12. Februar 1987
Schenk
glaubwürdiger werden, wenn sie zu diesem Ereignis wie bisher
schweigen und hoffen, daß sie sich da durchmauscheln können.
Alle Umarmungsversuche gegenüber der Alternativen Liste wer
den an den Tatsachen gemessen und nicht an schönen Worten.
[ Heiterkeit bei der SPD - Nagel (SPD):
Wer will denn wen umarmen? -
allgemeine Unruhe - Glocke des Präsidenten]
Und wenn wir uns das anschauen, was in Hessen passiert ist,
dann kann ich nur sagen, daß ein deutlich kritisches Wort zu
dem, was in Hessen seitens der SPD geschieht, wesentlich
glaubwürdiger wäre als all die vielen Lobhudeleien, die in ande
ren Zusammenhängen von ihr ausgesprochen worden sind.
[Beifall bei der AL]
Ich will Ihnen einmal folgendes sagen: Börner hat mit
Arbeitsplätzen argumentiert, die geschützt werden müßten. Ich
finde das das traurigste Argument. Sie alle wissen, daß
Arbeitskräfte in Atomfabriken von Strahlungen und Krebserkran
kungen besonders betroffen sind. Wenn Sozialdemokraten das
für erhaltenswerte Arbeitsplätze halten, dann sind sie wirklich
langsam politisch auf den Hund gekommen. Das ist nur noch
traurig I
[Beifall bei der AL]
Nun wieder zu den Regierungsfraktionen. Wir werden dieses
Thema uns nicht von der Tagesordnung wegwischen, auch
wenn Sie jetzt gegen diese Anträge stimmen. Es steht in den ent
sprechenden Ausschüssen eine Anhörung der Personen, die
schon einmal 1982 hier zur Frage der Risiken der Atomenergie
gehört wurden, an, und die erklärten 1982, daß sie nicht ver
stünden, warum eine solche Frage überhaupt gestellt werde.
Schließlich sei Berlin ja weit mehr als 30 km weg vom nächsten
Atomkraftwerk. Ein Supergau sei völlig unmöglich und absolut
ausgeschlossen. Dieselben Leute möchten wir hier in einer der
nächsten Ausschußsitzungen gerne wieder hören, und wir sind
gespannt darauf, was diese Superfachidioten, diese Super
wissenschaftler im Dienste der Afomlobby, uns dann zu sagen
haben werden. Wir sind noch immer auf den Zeitpunkt gespannt,
an dem sich bei Ihnen und in Ihren Fraktionen endlich einmal ein
Anzeichen von Umdenken zeigt, wie es Herr Biedenkopf in
Nordrhein-Westfalen immerhin schon einmal vorgemacht hat.
Lassen Sie uns nicht mehr abstrakt über wertorientierte Politik
reden, sondern anhand der Machbarkeit des Ausstiegs aus der
Atomenergie ein praktisches Zeichen für eine am humanen Fort
schritt orientierte Politik setzen. Ich mache mir aber keine Illusio
nen - dafür wird es wahrscheinlich noch eine lange Zeit bei
Ihnen an den unabhängigen Politikern mit Weitblick fehlen.
[Beifall bei der AL - Buwitt (CDU):
Sie können uns doch nicht mit Beschimpfungen
überzeugen!]
Präsident Rebsch: Das Wort hat nunmehr für die CDU der
Abgeordnete Wohlrabe.
Wohlrabe (CDU): Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Lassen Sie mich für die Koalitionsfraktionen
zum Thema der beiden zugrunde liegenden Anträge eine kurze
Bemerkung machen und damit zugleich die ablehnende Haltung
beider Fraktionen zu beiden Initiativen begründen. Dabei mag die
Kürze der Redezeit, die ich in Anspruch zu nehmen gedenke, die
besondere Bedeutung, die auch wir dem Problem der Nutzung
der Atomenergie und den damit verbundenen Fragestellungen
beimessen, unterstreichen. Die Reaktorkatastrophe von Tscher
nobyl und ihre erschreckenden Auswirkungen haben weltweit
nicht nur Ängste erzeugt und verstärkt die öffentliche Diskussion
in einem zuvor kaum vorstellbaren Maße herausgefordert,
sondern auch das Bewußtsein über das Risiko geschärft, das -
jedenfalls unter bestimmten Konstellationen mit der Nutzung von
Atomenergie verknüpft sein kann. Der 26. April 1986 war inso
fern zugleich Problemdruck für alle und auch eine Frage für den
Handlungsbedarf im politischen Bereich. Darin sind wir uns
sicher alle einig.
In der Wahl der Entscheidungsalternative unterscheiden wir (C)
uns allerdings von dem Weg, der mit den beiden Initiativen der
Oppositionsfraktionen beschütten werden soll. Beide Anträge
fordern, wenn auch mit divergierenden Zeitvorstellungen, das
Abgeordnetenhaus von Berlin auf, im Rahmen einer an Bundes
rat und Bundesregierung gerichteten Initiative den Ausstieg aus
der Nutzung der Atomenergie zu beschließen.
[Beifall der Frau Abg. Ahme (AL)]
Wir halten eine derartige Entscheidung zum gegenwärtigen Zeit
punkt weder für geboten noch für vertretbar.
[Heims (AL): Welchen Zeitpunkt dann?]
Bereits seit Beginn der parlamentarischen Debatte im vergange
nen Jahr hat meine Fraktion, die CDU, erklärt, daß auch und ge
rade die durch das Reaktorunglück von Tschernobyl und in der
Folgezeit geschaffene Situation nicht die Phase der schnellen
Antworten sein könne, und wir sind zu der Auffassung gekom
men, daß auf die zivile Nutzung der Kernenergie zur Zeit und auf
gegenwärtig nicht präzise abschäfzbare Dauer nicht verzichtet
werden kann.
Ich darf in diesem Zusammenhang - wir wollen hier keine
Grundsatzdebatte zu dieser Nachtzeit führen -
[Frau Kiele (AL): Das machen wir aber meistens
in der Nacht!]
auf zwei Bemerkungen hinweisen: Die Bundesregierung hat er
klärt - dem schließen wir uns an -, daß eine sofortige Stillegung
aller Kernkraftwerke und ein umgehender Ausstieg aus der
Kernenergie nicht in Betracht gezogen werden könne. Auch in
keinem anderen Bundesland - darauf bitte ich zu achten - ist
bisher Entsprechendes beschlossen worden. Die Bundesregie
rung hat darüber hinaus erklärt, sie strebe über ihre Verhandlun
gen im Rahmen der internationalen Atomenergie-Organisation
über ein internationales Frühwarnsystem sowie über gegensei
tige Hilfeleistungen eine zusätzliche bilaterale Regelung unter
Einschluß Berlins mit der DDR an. (D)
Dies scheint uns der korrekte, richtige und praktikable Weg zu
sein. Es besteht Anlaß zu der Erwartung, daß diese Gespräche
demnächst zu einem konkreten Ergebnis führen werden. Ich
glaube, daß wir diese Situation, wie sie sich heute im Rahmen
größerer Politik darstellt, beachten und respektieren sollen, und
daß dies der Rahmen ist, in dem wir uns bewegen möchten. Des
halb schlage ich Ihnen vor, daß Sie Ihre Anträge noch einmal
überdenken und sich unseren Anträgen oder sogar unseren Hal
tungen eher nähern, wenn nicht sogar anschließen.
[Helms (AL): Welche Anträge haben Sie denn gestellt?]
Wir möchten jedenfalls von unserer Haltung, die ich soeben skiz
ziert habe, nicht abweichen. Wir werden aus den erwähnten
Gründen Ihre Anträge ablehnen. - Ich danke Ihnen!
[Beifall bei der CDU]
Präsident Rebsch: Das Wort hat nun der Abgeordnete
Dr. Meisner,
Dr. Meisner (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Her
ren! Die öffentliche Diskussion über den Ausstieg aus der Kern
energie, die nach der Katastrophe von Tschernobyl auch die
beiden Regierungsparteien und -Fraktionen erfaßt hatte, ist
längst verebbt. Inzwischen heißt es auch in dieser Frage: Weiter
sol Der parlamentarische Geschäftsgang beschert uns heute -
zehn Monate nach der Katastrophe - die Anträge von SPD und
AL zur Schlußabstimmung im Plenum. Ich bin mir ziemlich sicher,
daß die Öffentlichkeit und die Medien - das kann man übrigens
an der Pressebank im Saal sehen - von dieser Debatte über
haupt keine Notiz nehmen werden. Dennoch ist es wichtig, daß
wir diese Debatte führen, auch wenn es nur ein Punkt ist, zu dem
wir nach dem leider unvermeidlich nächsten Reaktorunglück
zurückkehren können und müssen.
Wir fragen Sie von den Regierungsfraktionen nach der
ethischen Verantwortung für eine Art der Energieerzeugung, die
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