Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
44. Sitzung vom 22. Januar 1987
Sen Pieroth
(A) geschafft haben, ihren Betrieb weiterzuführen, die vielfach
sogar ihren Betrieb vergrößert haben. Ich habe immer gesagt:
Arbeitslosigkeit ist nicht von Samstag auf Sonntag entstanden,
und ist deshalb am Montag nicht wieder verschwunden. Es
wird jahrzentelanger Arbeit bedürfen, die Unternehmer wie
derzufinden, die Berlin verloren hat.
Hauptantwort in der Zusammenfassung; Heute geht der
Trend im Berliner Mittelstand eindeutig wieder aufwärts. Nach
der Umsatzsteuerstatistik ist allein im Bereich für Dienstlei
stungen von Unternehmen und freien Berufen die Zahl der
Unternehmen von 17500 im Jahr 1980 auf 23000 im Jahr 1984
gestiegen. Auch der Gründungssaldo läßt sich wieder sehen.
Legt man die Gewerbeanmeldungen zugrunde, so haben wir
von 1980 bis 1986 eine durchschnittliche Zunahme von 3000
Betrieben pro Jahr. Das ist das Achtfache der Zunahme von
Betrieben in den Jahren 1973 bis 1979 mit je 400. 3000 mehr
mittelständische Unternehmen sind kein mittelständischer
Selbstzweck. Sie wissen durch die rückläufige Zahl der
Unternehmen: Weniger Unternehmen bedeuten auch weniger
Arbeitsplätze, und nur mehr Unternehmen können mehr
Arbeitsplätze schaffen. Große Unternehmen sind im weltwei
ten Rationalisierungswettbewerb schon froh, wenn sie zusam
mengefaßt die Zahl ihrer Beschäftigten halten können. Nur
wenn tüchtige Unternehmer weitermachen und mehr tüchtige
Menschen Unternehmer werden können, wird es mehr Ar
beitsplätze geben. Das ist die Grundlage unserer Politik.
[Beifall bei der CDU]
Dafür müssen wir Menschen ermutigen, gewinnen und an
sprechen. Sie, meine Damen von beiden Oppositionsparteien
- fünf sind noch während dieser Debatte anwesend - sollten
uns helfen, dies Menschen zu ermutigen. Sie bringen allen
falls das Wort „Betriebsansiedlung“ über ihre Lippen. Das
(B) führt zu Passivität, als käme neben den Subventionen aus
Bonn auch die große Zahl von Arbeitsplätzen von außen. Sie
verfehlen dabei die Möglichkeit, die Menschen hierzu interes
sieren. Ich will nicht mißverstanden werden; Alle Betriebe, die
sich in Berlin angesiedelt haben, sollen sich hier wohlfühlen.
Sie können sich darauf verlassen, daß sie in Berlin den
Ausgleich für die Nachteile Berlins unabhängig von der einen
oder anderen Einlassung aus Bonn bekommen. Wir geben
keine Subventionen, um anschließend diejenigen, die sie
nehmen, zu beschimpfen, aber wir wollen von der Tendenz
der vorwiegend subventionsbestimmten, auf Berlinpräferen
zen maßgeschneiderten Betriebsansiedlungen weg und hin
zu Ansiedlungen, die die wissenschaftlich-technologische
Infrastruktur von Berlin nutzen. Wir wollen weg von der
verlängerten Werkbank und hin zu hochqualifizierten Arbeits
plätzen.
Vorgestern abend hat mit in der Nähe der Schweizer Grenze
ein Fabrikant in kurzer Zeit erklärt, daß er mit der Fabrikation
von hochkomplizierten aber erfolgreichen medizinisch-tech
nischen Geräten wegen der Infrastruktur, die hier geboten
wird, besser nach Berlin kommt. Er brauchte gar nicht nach
Subventionen zu fragen. Jede solche Ansiedlung verbessert
unsere Infrastruktur, führt zur Qualifizierung, zur Modernität,
zur Wettbewerbsfähigkeit - so wird eine Subventionsstadt
Berlin nach und nach zu einer Innovationsstadl, so werden
Ergebnisse, Erfindungen, Resultate jener Forscher und Ent
wickler und Professoren zu Arbeitplätzen für Berliner. Des
halb sei bei dieser Gelegenheit auch Dank gesagt an die
Professoren, die Wissenschaftler, die Assistenten, die Inge
nieure, die jetzt - was viele Jahre anstößig genannt wurde -
neben der Forschung auch über Umsatz und Gewinne-Gipfel
der Frivolität - nachdenken. Sie arbeiten jetzt erfolgreich mit
Berliner Wirtschaftsunternehmen zusammen zum Nutzen vie
ler Betriebe, aber auch zum Nutzen vieler zusätzlicher
Arbeitsplätze.
[Beifall bei der CDU und der F. D P.)
Es waren die Neuen und es waren die Altansässigen, auf die (C)
wir zugegangen sind, um sie zu mehr Aktivität in der Mittel
standspolitik zu motivieren. Wir haben gesagt: Wir vertrauen
euch Berlinerinnen und Berlinern und nicht den Bürokratien,
den Parolen und Programmen. - Wenn man den Menschen
vertraut, dann bekommen sie mehr Zutrauen zu ihrer eigenen
Leistungsfähigkeit. Dann trauen sie sich, eher Verantwortung
wahrzunehmen, und solche Menschen werden dann zum
Innovateur und zum Investor. Hier hat sich vieles in den letzten
Jahren zum Glück geändert.
Als wir nach Berlin kamen, gab es nur eine wirtschaftspoliti
sche Erfolgsmeldung, die Ford-Ansiedlung; in allen Variatio
nen wurde sie beschrieben. Damit verbanden sich 750 zusätz
liche Arbeitsplätze. Es ist ja gut, daß das geschehen ist, aber
wer redet von denen, die die größere Zahl von Arbeitsplätzen,
von neuen Arbeitsplätzen tätsächlich schaffen? Ich nenne
einmal Wiest & Fuchs in Kreuzberg, 50 zusätzliche Arbeits
plätze in zwei Jahren, 100 zusätzliche bei Schwerdtle &
Schantz in Britz oder 110 zusätzliche bei Gühring Maschinen
bau in Reinickendorf, 140 zusätzliche Arbeitsplätze bei Willi
Vogel in Marienfelde, 50 bei Henning in Tempelhof, 80 bei
Pinnow in Spandau, die GAB-Isolierung, Rossmann Apparte-
bau. Ich habe nur acht Firmen genannt, die 750 Arbeitsplätze
in zwei Jahren geschaffen haben. Das ist das, was die Ford-
Ansiedlung ausmacht. Wir freuen uns über die Ford-Ansied
lung. Aber über die Großen wird viel zu viel geredet, zu wenig
über die vielen kleinen und mittleren Betriebe, denen wir den
Aufschwung verdanken.
[Beifall bei der CDU und der F. D.P.]
Die müssen wir überall suchen und finden, überall motivieren
und aktivieren. Das muß früh beginnen - die Erziehung zur
Selbständigkeit. Im Elternhaus und in der Schule muß über die
soziale Funktion unternehmerischen Schaffens viel mehr
dargestellt werden. Die öffentliche Meinung oder die veröf
fentlichte Meinung muß das bringen.
Ich habe es einigen Freunden schon erzählt, wie es mich
überraschte, jetzt schon zweimal in den Vereinigten Staaten
den Werbespot gehört zu haben: Young Americans be self-
employed. - Das wünsche ich mit eines Tages auch, so wie
drüben junge Amerikaner aufstehen und Unternehmer wer
den, Stellen Sie sich einmal vor, was das für ein Klima wäre,
wenn das im Sender Freies Berlin zu hören wäre. Es ist noch
ein weiter Weg bis dahin. Genau das aber meine ich unter
einm Klima, unter einer Meinung, in der all die, die sich
Zutrauen, selbständig zu werden, auch dazu animiert werden.
Je früher Sie von der Opposition dazu nicht nur betretene
Gesichter machen und sich fragen, was soll man eigentlich
von dem halten, der wagt, über die Notwendigkeit von
Unternehmer in einer Gesellschaftsordnung zu sprechen, - je
früher Sie diesem Gedanken zustimmen, werden Sie auch von
den Arbeitnehmern besser verstanden werden. Selbständig
keit, Selbstverantwortlichkeit, daß muß, eine neue Sozial
norm, in Berlin noch viel mehr werden. Wer sich zuerst auf
seine eigene Fähigkeit besinnt, wer eher für sich, für seine
Familie, sein Unternehmen vorsorgt als sich vom Staat
versorgen zu lassen, wer die eigene mutige Lebensentschei
dung einem absichernden Behördenbescheid vorzieht, der
lieber Auftraggeber ist als Antragsteller, der wird gebraucht,
der schafft die Arbeitsplätze, die wir in Berlin haben wollen.
[Beifall bei der CDU und der F. D.P.]
Zwei Voraussetzungen muß die Politik schaffen, einmal das
Klima für Selbständigkeit. Das können wir noch verbessern.
Wir müssen frei und offen in Berlin sagen können: Geld
verdienen muß Spaß machen - beim Arbeitnehmer gute
Arbeit, guter Lohn, und wenn Sie sich ausdrücken: Wir
kämpfen um jeden Arbeitsplatz, - dann heißt das für die
unternehmerische Wirtschaft: Je mehr ein Unternehmer ver-
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