Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
44. Sitzung vom 22. Januar 1987
Dr. Franz
(A) war der AIDS-Kongreß. Jetzt ist die Zeit reif, die Tagungser
gebnisse auszuwerten und zum Wohl der Berliner in die Tat
umzusetzen. Ich freue mich, daß wir hier gemeinsam in dieser
Angelegenheit kämpfen. Ich bitte Sie auch, trotz möglicher
weise gelegentlich auftretender Konflikte bei Zunahme der in
den folgenden Jahren auf uns zukommenden Problematik, das
notwendige Maß an Kooperation auch weiterhin aufzubrin
gen, denn dieses Thema AIDS ist äußerst heikel für eine große
Zahl unserer Bevölkerung. Und es gehört sich für uns als
Parlamentarier, in dieser wichtigen Frage zusammenzuste
hen und uns nicht zu zerstreiten, sondern zum Wohle der
kranken Menschen alles zu tun, was man für sie aufbringen
kann. - Ich danke Ihnen!
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Präsident Rebsch: Das Wort hat nun die Kollegin Brinckmei-
er.
Frau Brinckmeier (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Auch ich möchte mit einem Lob beginnen. Herr
Senator, Sie haben mich überrascht, die Form der Beantwor
tung der Großen Anfrage hat sich wohltuend abgehoben von
der sonst von Ihnen praktizierten Form der Selbstdarstellung.
Dafür herzlichen Dank!
[Beifall bei der SPD]
Die Beantwortung war sachlich, nachdenklich und dem
Thema durchaus angemessen. Ein Aspekt kam leider zu kurz.
Er ist bei den Diskussionen leicht angeklungen, nämlich der
der stationären Versorgung. Auf diesen Aspekt weist unser
Antrag hin. Herr Senator, Sie haben angesichts der AIDS-
Expertentagung im vergangenen November öffentlich geäu-
(g) Bert - das hat auch hier in der Debatte eine Rolle gespielt -,
daß es 1991 bereits 10000 AIDS-Kranke in Berlin geben wird,
eine erschreckende Vision, wie Frau Schmid-Petry zu Recht
gesagt hat. Wenn man aber eine solche Prognose öffentlich
abgibt, dann muß man in seinen Planungen auch Vorsorge
dafür treffen, daß diese Menschen aufgrund ihrer Multimorbi
dität auch stationär versorgt werden können. Wir fordern den
Senat deshalb auf, uns ein Konzept vorzulegen, wie er diese
stationäre Versorgung in Zukunft sicherstellen will. Es genügt
nicht, wie Herr Senator Fink es bei der Beantwortung der
Großen Anfrage gesagt hat, daß das Angebot an Betten zur
Zeit ausreicht und man gegebenenfalls dann später einmal
reagieren wird. So liest es sich noch in der Krankenhauspla
nung - der Kollege Franz ist eben darauf eingegangen -, so
liest es sich in der Stellungnahme des Senats an den
Wissenschaftsratzu diesen Fragen hinsichtlich der Klinikver
lagerung, und so hörte es sich eben auch an bei der
Beantwortung der Großen Anfrage.
Ich möchte ganz kurz noch mal auf die Stellungnahme des
Senats an den Wissenschaftsrat eingehen. Diese entspre
chenden Passagen haben nämlich auch eine gesundheitspoli
tische Bedeutung für diese Stadt. Ich zitiere:
Die Bettenzahl für die Spezialpflege der Infektionsheil
kunde kann vor dem Hintergrund der AIDS-Problematik
noch nicht abschließend festgelegt werden. Sofern die
Prüfung einen Mehrbedarf ergibt, wird ein Ausbau im
universitären Bereich ausgeschlossen.
Wenn man dies einmal verinnerlicht, und Frau Schmid-Petry
hat auf die Problematik hingewiesen, nämlich auf die Proble
matik, welche Förderungskriterien der Wissenschaftsrat an
eine solche Verlagerung stellt, dann weiß man, daß die
hervorragende Arbeit von Professor Pohle, die ja ausdrück
lich auch vorhin vom Senat und von allen Diskussionsrednern
gelobt worden ist, an diesen Standort zumindest stark gefähr
det ist, wenn nicht sogar ausgeschlossen ist. Wir alle sind
sicherlich aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, daß diese
hervorragende Arbeit dort weiter geleistet werden darf. (C)
Letzteres, daß sie ausgeschlossen ist, wird meiner Ansicht
nach eher zutreffen angesichts erneuter Auflagen durch den
Wissenschaftsrat, nämlich die Bettenzahl in einem zukünfti
gen Universitätsklinikum Wedding auf 1300 inklusive Psychia
trie zurückzufahren. Da die Errichtung des Rudolt-Virchow-
Klinikums ein integraler Bestandteil des Krankenhausplanes
von 1986 des Landes Berlin ist, braucht man eigentlich kein
Prophet zu sein, daß diese Krankenhausplanung bald nur
noch das Papier Wert ist, auf dem sie gedruckt ist. Sie sind
nämlich jetzt gefordert, Herr Senator, Ihre gesamte Kranken
hausplanung angesichts dieser AIDS-Problematik neu zu
überdenken. Sie müssen sich in dieser Planung der AIDS-
Problematik stellen. Überlegen Sie Ihre Schritte genau.
[Beifall bei der SPD]
Unsere Hilfe jedenfalls, wenn es darum ginge, die regionale
Versorgung im Wedding weiter sicherzustellen und das Vor
haben der Klinikverlagerung vielleicht doch noch zu stoppen,
diese Hilfe werden wir Ihnen Zusagen.
[Beifall bei der SPD]
Präsident Rebsch: Zum Schluß hat nunmehr der Abgeord
nete Vetter das Wort - für drei Minuten.
Vetter (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der
Kollege Franz hat vorhin gesagt, man kann das AIDS-Problem
gar nicht oft genug diskutieren. Über eins sollten wir uns
allerdings wirklich nicht mehr im Parlament unterhalten
müssen, Herr Bayer, nämlich über das Problem der Melde
pflicht. Wir wollen sie alle nicht! Selbst wenn die Bayern oder
ein anderer schlauer Mensch auf die Idee kommen sollte,
damit zu winken: Gehen Sie davon aus, die Diskussion ist bei (D)
uns, der CDU-Fraktion, beendet, Wenn medizinisch oder
therapeutisch sich nichts für AIDS entscheidend verändert,
dann kommt für uns eine Meldepflicht nicht in Frage. Deshalb
bitte ich alle, daß wir wenigstens diesen Punkt in der Diskus
sion, die bisher sachlich war, ausschließen.
Zweiter Punkt, Herr Senator, auch das hat Herr Dr, Franz
schon mit Recht gesagt: Sie sollten mit Ihrer Werbung noch
etwas „drastischer" werden. Herr Reiß hat das vorhin auch
schon angeschnitten; man sollte es ganz deutlich sagen: Wie
kommt man nicht nur an die drei genannten Risikogruppen,
sondern wie kommt man eigentlich an die vielen anderen, also
an uns alle heran? - Auf dem AIDS-Kongreß hatten wir einen
Ausspruch, ich glaube von einem der Professoren, der im
ersten Moment sehr schockierte, aber der von mir sehr
verinnerlicht wurde: „Es könnte morgen deine Tochter oder
dein Sohn sein!" - Ich meine, man muß es so drastisch sagen.
Bei der Aufklärung sollten wir weder mit Geld noch mit
drastischen Akzenten geizen.
Selbst Herr Paul, der Bundesvorsitzende der AIDS-Hilfe, hat
uns Parlamentariern des zuständigen Ausschusses geraten,
uns vor Ort, nach Möglichkeit in San Francisco, sachkundig zu
machen. Wir überlegen, ob wir diesen Vorschlag aufgreifen
und beim Präsidenten die Reise beantragen sollten.
Ein letztes noch: Ich schlage auch vor, daß Sie - vielleicht
zunächst einmal für den Ausschuß - das gesamte Medien-
Material zusammenstellen, das schon vorhanden ist. Wir
wollen helfen, verstärkt in Schulen und in die Universitäten
hineinzugehen, um eine größere Öffentlichkeit zu erreichen
und zu sensibilisieren. Wenn wir das schaffen, dann haben wir
- so meine ich - eine ganze Menge erreicht. Ich hoffe, daß wir
bei dieser Debatte weiter in Sachlichkeit über das Problem
diskutieren. - Danke schön!
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
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