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Volume Nr. 44, 22. Januar 1987

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1986/87, 10. Wahlperiode, Band III, 36.-49. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
44. Sitzung vom 22. Januar 1987 
Sen Dr. Rexrodt 
(A) Die Finanzpolitik - auch meine Finanzpolitik - setzt keine 
Dogmen gegen bestimmte Rezepte der Beseitigung der 
Arbeitslosigkeit. 
[Zuruf des Abg. Lohauß (AL)] 
Die Rezepturen müssen aber auf das Krankheitsbild passen. 
Auch gegen keynesianische Ausgabenprogramme ist prinzi 
piell überhaupt nichts zu sagen. Der Staat darf die gesamtwirt- 
schafliche Nachfrage nach keynesianischem Muster aber nur 
dann ausweiten, wenn auch eine keynesianische Konstella 
tion vorliegt, das heißt, wenn massenhafte Vertrauensstörun 
gen einen kumulativen Nachfrageausfall ausgelöst haben 
oder auszulösen drohen und sich dadurch eine anhaltende 
Arbeitslosigkeit ausbreitet. Die gegenwärtige Arbeitslosigkeit 
ist jedoch nicht von Störungen dieser Art verursacht worden. 
Deshalb wären eine Politik des leichten Geldes und eine 
freigiebige Ausgabenpolitik des Staates zusammen mit einer 
expansiven oder überexpansiven Lohnpolitik genau der fal 
sche Weg. Es wäre eine Wirtschaftspolitik, es wäre eine 
Finanzpolitik, die allen kurzfristig etwas schenkt, um das 
Geschenk später über höhere Zinsen, höhere Sleuerbela- 
stung und Geldentwertung wieder zurückzufordern. 
Das ist eine Erfahrung, die nicht nur in der Bundesrepublik 
Deutschland zu schmerzlichen Erkenntnissen geführt hat. 
Unsere Beschäftigungsprobleme sind strukturell, also nicht 
durch eine allgemeine Nachfrageschwäche bedingt. Sie mit 
einer expansiven Finanzpolitik bekämpfen zu wollen, bedeu 
tete, eine inflationäre Politik zu betreiben, durch die die 
Stabilität des Gemeinwesens insgesamt aufs Spiel gesetzt 
werden würde. 
Nur ein umfassende Ausweitung des Angebots an Arbeits 
plätzen kann diese Arbeitslosigkeit abbauen. Ein dauerhafter 
B) Erfolg ist dann zu erzielen, wenn in erheblichem Umfang neue 
Arbeitsplätze geschaffen werden, die den Anforderungen der 
sich stetig weiterentwickelnden modernen Indusfriegesell- 
schaft entsprechen. 
[Vereinzelter Beifall bei der F. D.P. und der CDU] 
Die Arbeitnehmer, die jetzt noch Arbeitsplätze innehaben, die 
aufgrund des Strukturwandels aufgegeben werden müssen, 
müssen sich zur Weiterbildung und Umschulung bereitfinden. 
Wir brauchen zusätzlich mehr Beweglichkeit bei Lohn und 
Arbeitszeit. 
Ebenso klar ist für mich, daß neue Arbeitsplätze durch 
Investitionen entstehen. Hier ist es notwendig, vorhandene 
Investitionsbarrieren abzubauen. Eine außergewöhnliche 
Chance für mehr und neue Arbeitsplätze liegt in den Maßnah 
men zur Umweltreparatur und zum Umweltschutz. 
[Beifall bei der F. D P. und des Abg. Simon (CDU)] 
Berlin nimmt diesen Bereich der Politik sehr ernst. Im Jahr 
1987 sind finanzpolitisch 200 Millionen DM für Umweltschutz 
bereitgestellt. 
[Lohauß (AL): Warum wird der Plan 
jetzt abgebaut?] 
- Dieser Plan wird nicht abgebaut. 200 Millionen DM sind 
konstant in der mittelfristigen Finanzplanung. Wir sind uns - 
auch mit dem Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz 
- einig: Wenn konkrete Probleme im Umweltschutzbereich 
anliegen, soll deren Bewältigung nicht an finanziellen Überle 
gungen scheitern. - 
[Beifall bei der F.D.P. - 
Simon (CDU): Sehr richtig!] 
Die mittelfristige Finanzplanung sieht für den Umweltschutz (C) 
wachsende Ansätze langfristig gesehen vor. Für Leistungsan 
reize und damit Wege für mehr Arbeitsplätze und Beschäfti 
gung zu eröffnen, soll eine konsequente Steuerreform sorgen. 
Die Berliner Finanzpolitik wird sich in die Diskussion um die 
Steuerreform der nächsten Legislaturperiode - das heißt der 
Bundestagslegislaturperiode - verstärkt einschalten. Wir 
brauchen ein Steuerrecht, das leistungsfreundlich wirkt. Des 
halb muß es von seiner unübersichtlichen Fülle von Spezial 
und Ausnahmeregelungen entrümpelt werden. 
[Beifall bei der F.D.P.] 
Ich weiß sehr wohl, daß dieses nicht einfach ist und vieles, was 
wir uns wünschen und hin und wieder öffentlich ankündigen, in 
der Realität sehr schwer umzusetzen sein wird. Aber erste 
Fortschritte sind bereits erzielt, und das Ziel muß konsequent 
angegangen werden. Das gilt auch für die Vielzahl der im 
Steuerrecht vorgesehenen Subventionstatbestände. Auch 
Berlin wird seinen Anteil leisten müssen, wenn es darum geht, 
Subventionen in der Bundesrepublik Deutschland abzubauen. 
Wir können dabei nicht abseits stehen. 
Allerdings - und das wiederhole ich hier mit großer 
Deutlichkeit- kann am Berlinförderungsgesetz, so wie es jetzt 
existiert, nicht gerüttelt werden. Das Berlinförderungsgesetz 
gleicht politische und standortbedingte Nachteile aus, die die 
Berliner Wirtschaft ohne dieses Gesetz in weiten Bereichen 
wettbewerbsunfähig machen und damitdie Bürger zu Einwoh 
nern einer benachteiligten Stadt degradieren würden. Dieses 
Berlinförderungsgesetz war nie tabu; es braucht auch nicht 
tabu zu bleiben, aber es wurde gerade erst novelliert, und nun 
müssen wir die Wirkung dieser Novelle abwarten. Das Berlin 
förderungsgesetz ist kein Gesetz, das sich dazu eignet, 
ständig an ihm herumzulaborieren. 
(D) 
[Beifall bei der F.D.P. und der CDU] 
Es ist ein Gesetz, das die Lebensgrundlagen der Berliner 
Wirtschaft sicherstellen will; wenn man an diesem Gesetz 
schon etwas ändert, dann muß man das mit Bedacht tun, und 
dann kann man das nur in sehr langen Zeitabständen tun. 
[Wagner, Horst (SPD): 
Weiß das Herr Lambsdorff?] 
- Da bin ich mir nicht sicher, aber wir wissen das. 
[Weiterer Zuruf] 
- Jetzt weiß er das - sehr gut! 
Vorrangig ist eine generelle Senkung der Einkommen 
steuer. Der richtige Weg dazu ist, den progressiven Steuersatz 
zu begradigen und den Spitzensteuersatz unter 50% zu 
senken. Die Wenigerverdienenden sollen in der Steuerreform 
durch einen höheren Grundfreibetrag entlastet werden. Es 
geht nicht an, daß schon das Existenzminimum besteuert wird, 
während die Leistungen der Sozialhilfe abgabenfrei bleiben. 
Familien mit Kindern müssen ebenfalls steuerlich entlastet 
werden, und die Kinderfreibeträge müssen erhöht werden, 
damit die steuerliche Ersparnis fühlbar ist, auch im Bereich 
der Familienfürsorge. Außerdem bin ich dafür, daß in der 
Steuerreform auch Überlegungen der steuerlichen Entlastung 
der Altersvorsorge Platz greifen. 
Die Unternehmen müssen zumindest langfristig durch die 
Abschaffung der sogenannten substanzverzehrenden 
Steuern, also der Gewerbesteuer und der Vermögenssteuer, 
entlastet werden. Hier bedarf es allerdings angesichts der 
Finanzierungsfunktion der Gewerbesteuer für die Gemeinden 
sehr reiflicher, möglicherweise auch langandauernder Über 
legungen. 
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