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Volume Nr. 42, 12. Dezember 1986

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1986/87, 10. Wahlperiode, Band III, 36.-49. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
42. Sitzung vom 12. Dezember 1986 
Dr. Mahlo 
(A) seil relativ kurzer Zeit im Amt, Sie haben an erster Stelle - aus 
Ihrem persönlichen Werdegang, aber auch aus den Anforde 
rungen der Zeit - Tschernobyl - heraus verständlich - sich 
möglicherweise anderen Fragen zunächst vordringlich ge 
stellt; ich appelliere an Sie, auch in diesen Dingen ein Kämpfer 
zu sein. - Ich danke Ihnen. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
Stellv. Präsident Longolius; Die Kollegin Preisler-Holl ist 
die nächste Rednerin. 
Frau Preisler-Holl (AL): Herr Dr. Mahlo, ich begrüße es sehr, 
daß Sie über die Stadtbildpflege gesprochen haben; ich meine 
nur, daß es nicht in diesen Punkt hineingehört, 
[Liepelt (CDU): Was? - 
Buwitt (CDU): Aber sicher!] 
weil dadurch die Probleme verdeckt werden, die eigentlich im 
Umweltschutz zu lösen wären. Insoweit wollen Sie wohl mehr 
an der Oberfläche bleiben, indem Sie meinen, der Umweltse 
nator soll nur Stadtbildpflege machen, und der Bausenator 
kann die Stadt zerstören. 
Der Senat und die Koalitionsfraktionen betrachten Umwelt 
schutz als Wachstumsbranche für die Unternehmen. Sie 
wollen eine Anpassung an bundeseinheitliche oder - schlim 
mer-an EG-Normen und vergessen, dort anzusetzen, wo der 
Dreck entsteht, und wer die Beseitigung bezahlen soll. Der 
Umwelthaushalt ist ein schmaler Haushalt: Mit rund 220 
Millionen DM beträgt er nur etwa 1% des Gesamthaushalts; 
um so mehr sind Ideen und Konzepte gefragt, wie der 
schleichenden und spektakulären Umweltvernichtung begeg- 
(B) net werden kann. Vor zwei Wochen wurde im Umweltaus 
schuß - Herr Dr, Rüter hat es schon erwähnt - über die 
Konsequenzen aus dem Reaktorunfall in Tschernobyl disku 
tiert, während dieser Diskussion wurden von der CDU und 
F.D.P. Plattheiten aus KWU- und Atombefürworterbroschüren 
vorgebracht, die in ihrer Lächerlichkeit für sich selbst spre 
chen. Die Abgeordneten und auch der Umweltsenator waren 
sichtlich bemüht, wegzuhören und nicht mitzudenken. Da 
durch wurde deutlich, daß der Senat nur reagiert und nicht 
aktive Ursachenanalyse betreibt. 
[Beifall bei der AL - Dr. Legien (CDU): 
Was wollen Sie denn unternehmen, damit 
Tschernobyl stillgelegt wird?] 
Obwohl West-Berlin im Fall eines Störfalls in DDR-Kern- 
kraftwerken massiv betroffen sein wird - ich habe leider nicht 
so viel Zeit, sonst würde ich auf Ihren Zwischenruf eingehen - 
[Rösler (CDU): Dafür muß man Zeit haben!] 
und eine Evakuierung der Bevölkerung fast unmöglich ist, 
verhandelt die Bundesregierung seit 1983 nur selten und ohne 
Nachdruck über die Reaktorsicherheit. 
[Unruhe - Glocke des Präsidenten] 
Der Senat hält sich zurück und sagt - ich zitiere wörtlich aus 
dem Ausschuß -: 
Formen und Erfahrungsaustausch mit der DDR sind nicht 
vom Senat beeinflußt. 
-Von wem denn dann?-Es ist ein offenes Geheimnis, daß die 
Sicherheit der Druckwasserreaktoren in Rheinsberg und 
Greifswald ein hohes Restrisiko aufweisen. In der DDR sollen 
die Kernkraftwerkskapazitäten bei Greifswald verdoppelt wer 
den; für 1991 ist die Inbetriebnahme eines dritten Kernkraft 
werks in Stendal im Bezirk Magdeburg knapp 100 km westlich (C) 
von Berlin geplant. Im Endlager Morsleben sind schwach- und 
mittelaktive Abfälle nahe der Grenze zur Bundesrepublik 
gelagert. Ich frage den Senat angesichts der Bedrohung, die 
von dem Gebiet der DDR ausgeht, wie lange er noch seine 
„Vogel-Strauß-Politik“ fortsetzen will?-Wie lange noch drückt 
sich der Senat vor Verhandlungen und Kontakten mit der DDR, 
auch auf der unteren Ebene der Bürgermeister und Kreise, 
[Beifall bi der AL und der SPD] 
um mehr über die Sicherheit, die Störfälle und die jetzigen 
baulichen Veränderungen in den Kernkraftwerken zu erfah 
ren?- Ich habe den Eindruck, daß die einzige Konsequenz aus 
dem Super-GAU von Tschernobyl das kommerzielle Interesse 
am Export von Umwelttechnologien ist. 
[Beifall bei der AL und der SPD] 
Wo sind die Vorschläge zur Energieeinsparung, zur Nachrü 
stung von Kohlekraftwerken, zur Nutzung angepaßter Techno 
logien und zum Ausstieg aus der nicht kontrollierbaren 
Kernenergie?-Setzt sich der Senat dafür ein, daß diese Dinge 
im Umweltabkommen mit der DDR behandelt werden? - Die 
Antwort ist Schweigen und der Hinweis auf ein rotes Telefon — 
dies wurde von der F.D.P. mehrmals erwähnt-, auf dessen 
Leitung die Mächtigen in Ost und West ihre Hilflosigkeit 
austauschen können. 
[Dr, Meisner (SPD): Das gibt es ja noch 
nicht einmal, das rote Telefon!] 
- Deswegen hatte die F.D.P. dies ja als einzigen Vorschlag 
gebracht. 
[Dr. Lange (F.D.P.): Das können Sie (D) 
doch einmal unterstützen!] 
- Herr Lange, in Ihrer typisch-pädagogischen Art brauchen 
Sie mir das nicht zu erklären. 
Ein deutsch-deutsches Problem ist auch die Gewässer-, 
Grundwasser- und Trinkwasserverschmutzung, Fälle wie die 
Rheinverschmutzung durch die Firmen Sandoz, Ciba Geigy 
und BASF passieren täglich und auch hier in West-Berlin. Die 
Einleiter und Verursacher haben nur andere Namen. Die 
Kloake Berlins ist der Teltowkanal - in diesem Kanal befinden 
sich chlorierte Kohlenwasserstoffe und Pestizide aus Ost- und 
West-Berlin, die mit Einleitungen aus den Klärwerken Ruhle- 
ben und Marienfelde sowie aufgewärmtem Kühlwasser durch 
mischt werden. Die Umweltbehörden wissen weitgehend 
nicht, was eingeleitet wird. Bekannt sind immerhin 80 Regen 
wassereinleitungen und zehn Direkteinleiter. Wieviel unge 
klärte Industrieeinleitungen in das Klärwerksystem und dann 
wieder in den Teltowkanal kommen, ist unbekannt. Wegen der 
Schadstoffanreicherung sind 76% der Havel-Zander nach 
Angaben des Instituts für Lebensmittelhygiene ungenießbar. 
Ich frage den Umweltsenator, was wird von ihm über die 
Verunstaltung mit Spundwänden hinaus zur Reinigung und 
Begrenzung der Einleitungen im Teltowkanal unternommen? 
Führt der Umweltsenator Verhandlungen mit der DDR über 
diesen offenen Abwasserkanal, wird der Rückstau über den 
Kleinen Wannsee und der Einfluß auf die Brunnengalerien 
untersucht? 
[Liepelt (CDU): Es gibt doch schon ein 
Gewässerschutzabkommen mit der DDR!] 
- Das reicht aber nicht! - Welche Maßnahmen werden im Falle 
eines Ölunfalls auf der Havel, des nachgewiesenen Teltowka 
nal-Rückstaus und der Verunreinigung der Brunnengalerien 
getroffen? - Will der Senat, wie im Fall der Rheinwasserver- 
2595
	        
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