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Volume Nr. 36, 9. Oktober 1986

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1986/87, 10. Wahlperiode, Band III, 36.-49. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
36. Sitzung vom 9. Oktober 1986 
Reiß 
(A) Bericht geschrieben wurde, noch gar nicht vorhersehbar war. 
Das ist kein Verdienst des Senats; aber wir hoffen, daß Sie, Herr 
Regierender Bürgermeister, sich endlich aufraffen und die 
Chance, die sich Ihnen unverdient und zufällig bietet, nun endlich 
nutzen. Denn so wenig wie Mut mit Leichtfertigkeit verwechselt 
werden darf, so wenig dürfen Sie Sorgfalt und Vorsicht fahrläs 
sig mit Leisetreterei verwechseln. 
[Beifall bei der AL] 
Stellv. Präsidentin Wiechatzek: Als nächster hat das Wort 
der Abgeordnete Fabig. 
Fabig (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! 
Die Fragestellung der SPD in der Großen Anfrage leidet in der 
Tat daran - wie Ich vorhin schon angedeutet habe -, daß sie zum 
Teil banale Selbstverständlichkeiten mit vollen Backen aufbläst 
und den Senat damit in Schwierigkeiten zu bringen versucht, 
indem dieser seinen - also den Berliner - Anteil an der Politik der 
Bundesregierung benennen soll. Wenn zum Beispiel die SPD 
fragt, ob der Senat der Auffassung sei, daß Entspannungs- und 
Abrüstungspolitik eng verzahnt werden müßten, um zu Erfolgen 
zu kommen, dann kann man nur sagen: Es ist eine pure Selbst 
verständlichkeit, daß Entspannungs- und Sicherheitspolitik einen 
engen, fast natürlichen Zusammenhang bilden, sie müssen nicht 
erst - wie es in der Anfrage heißt - eng verzahnt werden. Sie 
sind sozusagen natürlicherweise eng miteinander verbunden 
und verklammert. 
Bei der Gelegenheit darf ich Herrn Kollegen Momper, der vor 
hin gesagt hat, die Bundesregierung würde die im Grundlagen 
vertrag vereinbarten Gespräche über Sicherheitspolitik und 
Abrüstung nicht wahrnehmen, sagen - obwohl er nicht im Saal 
ist -, daß er sich irrt. Diese Gespräche finden regelmäßig statt; 
die Sicherheits- und Abrüstungsbeauftragten der Bundesregie 
rung haben regelmäßige Kontakte mit den Ost-Berliner Ver 
tretern. 
Selbstverständlich sind auch die deutsch-deutschen Bezie 
hungen abhängig von dem Verhältnis der beiden Supermächte 
zueinander und von der politischen Großwetterlage, und dieses 
Verhältnis zwischen den USA und der UdSSR ist in hohem 
Grade abhängig von der beiderseitigen Sicherheitspolitik. Das 
Verhältnis dieser beiden definiert sich tatsächlich aus dem 
Zustand der rüstungs- und sicherheitspolitischen Philosophien 
und Aktivitäten auf beiden Seiten, erklärt sich aus der Frage: was 
für Waffen und wie viele Waffen. Rüstungskontrolle oder gar 
Abrüstung sind nur denkbar und können nur in einem Zustand 
der Entspannung zwischen Ost und West wirksam werden. 
Der Regierende Bürgermeister hat richtig gesagt: Waffen 
haben politische Ursachen. Deshalb müssen sie in erster Linie 
politisch überflüssig gemacht werden, und diese Politik heißt 
Enfspannungspolitik. Das ist allerdings ein sehr komplizierter 
Prozeß, dessen Zusammenhänge von Ursache und Wirkung 
nicht immer deutlich zu erkennen sind. 
[Frau Dr. Schramm (AL); Schon einmal etwas von 
Wechselwirkungen gehört?] 
So ist zum Beispiel als Ergebnis der Nachrüstung - also 
Pershing II und Cruise-missile - eine befürchtete Folge nicht ein 
getreten, nämlich die Vereisung des Verhältnisses der beiden 
deutschen Staaten zueinander. Auch die jetzige Entwicklung 
zwischen den Supermächten - der Gipfel auf Island, der soge 
nannte Vorgipfel zwischen Reagan und Gorbatschow - war bei 
der starren oder festen Haltung der USA in Sachen Strategische 
Verteidigungsinitiative - SD1 - eigentlich nicht zu erwarten. Hier 
spielen doch die Interessenlagen der beiden Seiten eine große 
Rolle und auch die politischen und charakterlichen Strukturen 
der jeweiligen Führungspersönlichkeiten. Ich glaube nicht, daß 
- wie bei uns vielfach behauptet - allein die durchgesetzte Nach 
rüstung des Westens und das Vorantreiben von SDI die Sowjet 
union an den Verhandlungstisch zurückgetrieben hat und jetzt 
sogar über Rüstungskontrollvereinbarungen hinaus sich erst 
mals Möglichkeiten zur echten Abrüstung abzeichnen. 
Es ist wohl so - zumindest auch so -, daß innen- und wirt- (C 
schaftspolitische Probleme der Sowjetunion einerseits und die 
hohen Kosten von SDI und die Kritik daran andererseits die Ein 
sichten auf beiden Seiten befördert haben, wieder ernster und 
konkreter miteinander zu reden. Dieses neue Klima zwischen den 
Großmächten eröffnet auch wieder neue Möglichkeiten für den 
deutsch-deutschen Dialog und für die Arbeit an neuen Vereinba 
rungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR zu beidersei 
tigem Nutzen und vor allem zum Nutzen der Menschen in beiden 
deutschen Staaten. 
Das, liebe Kollegen von der SPD, ist vielleicht schon die neue 
Phase der Entspannungspolitik, die Sie fordern und die wir 
anstreben. Wir müssen erkennen, daß es im wesentlichen die 
Interessen unserer Führungsmächte sind, die den Gang der 
Dinge entscheidend beeinflussen - im Guten wie im Bösen. 
Aber Bundesaußenminister Genscher hat natürlich auch 
recht, wenn er zu den jüngsten positiven Entwicklungen des Ost- 
West-Verhältnisses sagt, daß die Verbesserung des Verhältnis 
ses der Vereinigten Staaten zur Sowjetunion auch das inner 
deutsche Verhältnis im positiven Sinne beeinflussen könne. Die 
Bundesregierung hat sich dabei durchaus nicht mit einer 
Zuschauerrolle im Ost-West-Verhältnis zufrieden gegeben, son 
dern immer versucht, einen aktiven Beitrag zu leisten als Verbün 
deter der Amerikaner, aber auch als ernstgenommener Ge 
sprächspartner der Sowjetunion. Es ist also richtig und wichtig, 
die besonderen deutschen Interessen gegenüber den Groß 
mächten immer wieder zur Sprache zu bringen und klarzustellen. 
Dabei ist dem Regierenden Bürgermeister ausdrücklich zuzu 
stimmen, wenn er die Bindungen Berlins an den Westen und die 
Stärke unseres Bündnisses als die Grundlage der Sicherheit 
unserer Stadt bezeichnet. 
Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zur Entspan 
nungspolitik und zu ihrem Bezug zu Berlin machen. 
Es fällt auf, daß die SPD in ihrer Großen Anfrage weit hinter 
den Positionen ihres Landesparteitagsbeschlusses vom Juni (D) 
dieses Jahres zurückbleibt; ich meine den verabschiedeten Text 
und nicht den ziemlich schrecklichen ersten Entwurf, und hier 
insbesondere die Kapitel I und II, weniger die sicherheitspoliti 
schen Ausführungen im engeren Sinne. Hier geht es auch um 
Zukunftsentwürfe für Berlin, um die Einbettung des Berlin-Pro 
blems in das Problem des geteilten Deutschland. Das ist eine 
wichtige Fragestellung. Die Große Anfrage versucht, den Senat 
in Verlegenheit zu bringen; der Parteitagsbeschluß versucht 
einen Blick in die Zukunft. 
Es geht also um eine neue Phase der Entspannungspolitik, um 
blockübergreifende Zusammenarbeit und um eine europäische 
Friedensordnung. Das sind Begriffe und Zielsetzungen, in denen 
F.D.P. und SPD weitgehend übereinstimmen. Wir brauchen uns 
dabei und dafür nicht etwas Neues einfallen zu lassen, keine 
grundsätzlich neuen Ideen zu entwickeln, sondern wir fordern 
dabei nur die konsequente Fortführung des KSZE-Prozesses, 
über den sich Europa, die Sowjetunion und Nordamerika 1975 
in Helsinki grundsätzlich geeinigt haben - eine Politik der Ver 
trauensbildung, der Achtung der Menschenrechte und der Zu 
sammenarbeit. KSZE - Sicherheit und Zusammenarbeit in 
Europa - das ist genau die Formel, die wir zu befolgen und anzu 
wenden haben. Was wir brauchen, ist in der Tat eine neue 
Phase, einen neuen Anlauf und neuen Schwung in der Umset 
zung dieser Schlußakte von Helsinki. 
Der Regierende Bürgermeister hat recht, wenn er sagt, daß 
jede politische Entwicklung in Phasen abläuft, so daß man die 
Phasen sozusagen nicht zu numerieren brauche. Aber man kann 
doch feststellen, daß es Phasen unterschiedlicher Intensität gibt 
und daß man, wenn eine bestimmte Entwicklung nicht richtig 
läuft, man auch Anstöße geben muß. Und hier müssen wir drän 
gen und fordern. In diesem Sinne fordert auch die F.D.P. seit 
langem, daß die beiden deutschen Staaten der Motor im KSZE- 
Prozeß sein müßten. Das Modell dieser Beziehungen müßte auf 
ganz Europa übertragen werden. 
Wir streben ein immer dichteres Netz von Beziehungen und 
Ausgewogenheiten und gegenseitigen Abhänigkeiten zwischen 
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