Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
42. Sitzung vom 12. Dezember 1986
Simon
(A) 100% Mieterhöhung, wenn die CDU in dieser Stadt gewählt
wird. Das war aufgrund der Rechtstatsachen - politisch kann
man ja alles mögliche behaupten-schlicht gelogen, inhaltlich
gelogen. Und Ihr damaliger Spitzenkandidat, der mal Bundes
justizminister und Bundeswohnungsbauminister war, von mir
darauf angesprochen, hat gesagt: Ach. wissen Sie, ich weiß
das ja besser, aber ich bin ja dafür nicht verantwortlich. Mein
Name steht nicht darunter. - So einfach haben Sie es sich
gemacht, und so einfach wollten Sie es sich beim Bundestags
wahlkampf vor dreieinhalb Jahren machen, bis der Herr
Geißler Ihnen das mit dem Begriff der Mieten vom Beginn an
versalzen hat.
[Behrendt (SPD): Das war doch die schlimmste
Demagogie!]
Und deshalb lassen Sie mich hier ganz deutlich machen in
meinem Beitrag, daß sich so etwas ähnliches in Berlin nicht
wiederholen wird, daß Sie mit Demagogie die Bürger verunsi
chern und versuchen, ihn für dumm zu verkaufen.
[Beifall bei der CDU - Nagel (SPD): Sie benutzen
dazu Broschüren!]
- Hören Sie auf, dazwischenzureden, Herr Kollege Nagel.
Tragen Sie lieber Argumente vor, das ist inhaltlich viel besser.
Sie versuchen eine Angstkampagne zu erzeugen, die dann
so in einem Horrorgemälde endet - und zwar einheitlich von
Ihnen, Herr Nagel, und diesem oder jenem Vertreter der
Sozialdemokratie, der heute etwas in dieser Partei in Berlin zu
sagen hat, und der Alternativen Liste.
[Momper (SPD): Na, mich haben Sie noch nicht
genannt!]
B)
Die Frau Kollegin Ahme hat neulich in einer Debatte das
Horrorgemälde an die Wand gemalt, daß die Berliner Bürger
keinen Schinken mehr essen dürften, wenn die Mietpreisbin
dung aufhört, sondern nur noch Leberwurst essen könnten.
Ähnliches - nur nicht so schön plastisch formuliert - formulie
ren Sie auch landauf, landab.
Lassen Sie mich mal ein paar Fakten dazu nennen. Zu
nächst einmal zum Grundsätzlichen. Diese Debatte, die Sie
den Bürgern aufzudrängen versuchen, erinnert mich sehr
fatal an eine Debatte, die wir am Anfang dieser Republik
gehabt haben, die Sie, Herr Kollege Nagel und ich aus den
Geschichtsbüchern kennen, die mancheiner von älteren Kol
legen selber erlebt hat. Als es um die Grundsatzfrage in der
Bundesrepublik Deutschland am Beginn ging, welches Wirt
schaftssystem denn greifen würde, da war es ein Bundeswirt-
schattsminister namens Ludwig Erhard und eine Koalition aus
CDU/CSU und F.D.P., die gegen den erbitterten Widerstand
der deutschen Sozialdemokraten durchgesetzt hat, daß wir
das System der sozialen Marktwirtschaft hier haben.
[Unruhe bei der SPD und der AL]
Was haben Sie da nicht für Plakate geklebt? Was haben Sie
nicht gesagt? - In bitterer Armut würde das enden für die
Leute. Wo hat es denn geendet? -
[Behrendt (SPD): Was hat denn das
jetzt mit Wohnungsbaupolitik zu tun?]
Es hat darin geendet, daß es den Menschen so gut geht wie in
fast keinem Land auf der Welt.
[Beifall bei der CDU - Nagel (SPD); So redet nur
ein Vorstand einer städtischen Wohnungsbauge
sellschaft! - Unruhe bei der SPD - Glocke des
Präsidenten]
Es hat darin geendet, daß wir ein Wirtschaftssystem haben,
das in der Tat so stark war, daß nicht mal Ihre Bundesregie
rung über 13 Jahre es hat ruinieren können, und das ist eine
dolle Sache.
[Gelächter bei der SPD]
Und dieser Lebensstandard und dieses Wirtschaftssystem hat
mit dafür gesorgt, daß wir hier heute frei leben und uns
auseinandersetzen können.
[Nagel (SPD): Wissen Sie eigentlich,
zu welchem Haushalt Sie jetzt reden?]
Eine Ausnahme gab es dabei, und die war richtig. Das war der
Bereich der Wohnungspolitik. Einfach deshalb, weil wir Millio
nen von Wohnungen - nicht nur in Berlin, sondern in ganz
Deutschland - hatten, die durch diesen Krieg zerbombt und
zerstört waren, und weil wir gleichzeitig Millionen von Flücht
lingen und Aussiedlern aufnehmen mußten. Hier war es nicht
zu machen. Hier mußte zunächst einmal Grundlage dafür
geschaffen werden, daß überhaupt ein Markt irgendwo greifen
konnte. Als sich das abzeichnete, gab es eine ähnliche
Auseinandersetzung wieder. Die begann mit einem Woh
nungsbauminister, den Sie landauf, landab heute auch immer
noch verteufeln - Paul Lücke und es ist schrittweise dazu
gekommen, daß die Wohnungszwangswirtschaft abgebaut
wurde und überall da, wo es vertretbar wurde, der Markt
gegriffen hat. Mit welcher Folge? - daß die Wohnungspolitik in
der Bundesrepublik durchwegs anerkannt kein politisches
Streitobjekt mehr ist.
[Nagel (SPD): Sie haben überhaupt
keine Ahnung!]
Suchen Sie ein anderes Land in Europa, in dem es eine so gute
Versorgung mit Wohnungen dieser hohen Qualität zu diesen
Preisen gibt, wie wir sie in der Bundesrepublik haben, die
tragbar sind und die die Wohnungspolitik im Grunde genom
men außerhalb der Auseinandersetzung stellen! Alles andere
ist Wunschdenken, Herr Kollege Nagel,
[Behrendt (SPD): Nehmen Sie einmal
Ihre rosarote Brille ab!]
Wir haben weite Gebiete in der Republik, in denen wir große
Leerstände haben. Ihre Neue Heimat ist nicht ohne Grund ins
Schleudern gekommen, denn dort, wo sie gebaut hat, sind die
großen Leerstände, und sie hat dieses nicht verkraften
können.
[Momper (SPD): Sind Sie Wohnungsbau
direktor oder Bankdirektor?]
Ich sage Ihnen noch einmal ganz deutlich: Die Wohnungspoli
tik ist ein Teil der allgemeinen Wirtschaftspolitik. Wohnung ist
keine Ware wie jede andere, sie ist ein Wirtschaftsgut, das
allerdings einer gewissen besonderen Sozialbindung unter
liegen muß. Als Verbraucher können Sie entweder ein großes
oder kleines oder gar kein Auto kaufen, aber eine Wohnung
müssen Sie in diesen Breitengraden haben; ein Zelt reicht mit
Sicherheit nicht.
[Zurufe von der SPD und der AL]
Das Eingliedern in das allgemeine Wirtschaftssystem war in
den Teilen der Bundesrepublik, in denen das Mietrecht gilt -
mit Ausnahme Berlins -, ein voller Erfolg. Wir haben auf der
Welt kein Gebiet dieser Größenordnung, in dem eine so
hervorragende Versorgung der Bevölkerung mit Wohnungen
zu so tragbaren Mieten sichergestellt ist. Ab 1974 ist Berlin das
einzige Land, in dem das soziale Mietrecht-ein Begriff, den
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