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Volume Nr. 39, 27. November 1986

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1986/87, 10. Wahlperiode, Band III, 36.-49. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
39. Sitzung vom 27. November 1986 
Frau Künast 
(A) nämlich das Makabre, daß schon in den Richtlinien festgelegt 
wird, daß Mutter und Kind aus Sicherheitsgründen voneinan 
der getrennt werden können. Ich weiß, daß es in der Anstalt 
heute schon so ist, daß den Frauen im Mutter-Kind-Bereich 
genau damit bei jeder beliebigen Situation gedroht wird. 
Das war kurz zusammengefaßt das, was der Senator für 
Justiz tatsächlich an Aufarbeitung in der dortigen Anstalt 
bietet. Das sind die drei Gründe für uns, warum wir eine 
Schließung dieser Anstalt, dieses geschlossenen Bereichs, 
wollen. 
Ich kann Ihnen schon heute garantieren, daß wir vor genau 
der gleichen Situation mit großen, freien Haftbereichen in 
einigen Jahren bei einer anderen Anstalt stehen werden, 
nämlich der Vollzugsanstalt für Jugendliche, die noch gebaut 
werden soll. Da steht ja mittlerweile auch schon der Pillen 
knick vor der Tür; aber es werden Millionen Mark ausgege 
ben, die dann irgendwann in ein paar Jahren verbaut sind. 
Dann sagen wieder alle: Ach, wie schade, hätten wir doch 
damals lieber ein paar Jahre länger mit der alten Anstalt 
gearbeitet, dann hätten wir heute die Möglichkeit, zum Bei 
spiel ambulante Maßnahmen, Wohngemeinschaften usw. bei 
Jugendlichen zu finanzieren, wofür heute schon bei den 
Frauen nicht einmal mehr das Geld reicht. 
[Beifall bei der AL] 
Stellv. Präsidentin Wiechatzek: Das Wort hat nun der 
Abgeordnete Dr. Tolksdorf. 
Dr. Tolksdorf (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Damen und 
Herren! Es herrscht unter den Fraktionen dieses Hauses ein 
breiter Konsens, daß der gegenwärtige Zustand in der Justiz- 
(ßj Vollzugsanstalt für Frauen in vielen Punkten noch nicht 
befriedigend ist. Wenn wir jedoch kritische Bemerkungen zu 
den Zuständen in Plötzensee machen, dann müssen wir 
wenigstens einmal betonen, wie die frühere JVA in der Lehrter 
Straße funktioniert hatte, welche schlechten Bedingungen 
dort geherrscht hatten. Daran gemessen - der Kollege Tietze 
hat das dankenswerterweise ausgeführt-stellt der gegenwär 
tige Zustand des neuen Frauenvollzugs eine unbestrittene 
Verbesserung dar. Waren nämlich früher katastrophale bauli 
che und personelle Mängel zu beklagen, gab es früher keine 
Differenzierung nach den verschiedenen Haftarten, gab es 
früher sehr schlechte Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten für 
die Mitarbeiterinnen und Insassinnen, so hat sich heute die 
Situation sicherlich gebessert - wenn auch noch nicht 
befriedigend, wie wir zugestehen. Insofern möchte ich der 
Kollegin Künast widersprechen: Ich meine, daß ein ernsthaft 
betriebenes Resozialisierungsprogramm auch räumliche Be 
dingungen voraussetzt, die der Neubau zumindest bringen 
könnte - wenn er sie vielleicht auch konkret noch nicht so 
bringt, wie wir sie wollen. 
Trotz der von mir dargestellten grundsätzlichen Verbesse 
rung der Situation - die wir anerkennen -, sind wir der 
Ansicht, daß wir uns darauf nicht zur Ruhe setzen dürfen. Wir 
haben deshalb Kritikpunkte vorzubringen, die nicht zu ver 
schweigen sind und die auch unsere Fraktion dazu veranlaßt 
haben, den Senat um einen Prüfbericht zu bitten. Ich möchte 
die gegenwärtigen Mängel aus der Sicht meiner Fraktion wie 
folgt stichpunktartig zusammenfassen: 
1. Wir beobachten einen extremen Sicherheitsaufwand und 
damit extrem hohe Sicherheitskosten bei einer sehr geringen 
Belegung, zumal Inhaftierte mit Betäubungsmittel- und Eigen- 
tumssfraftaten diesen hohen Sicherheitsaufwand im Grunde 
genommen nicht rechtfertigen. 
2. Wir beobachten eine unbefriedigende Arbeitssituation 
des Personals, insbesondere einen hohen Schicht- und Wech 
seldienst, dadurch bedingte Überstunden, ein geringes So 
zialprestige, das mit den dortigen Aufgaben verbunden ist, (i 
einen sehr hohen Krankenstand — deutlich mehr, etwa die 
Hälfte mehr als in anderen Justizvollzugsanstalten -, gehäuf 
te Wochenenddienste usw. Es scheint - was dazugehört — 
auch eine sehr große Regelungsdichte zu geben, die vielfach 
eigenverantwortliche Tätigkeit der dort im Aufsichtsdienst 
tätigen Frauen im Keim erstickt. 
3. Wir beobachten eine unbefriedigende Situation im Mut 
ter-Kind-Bereich, eine sehr zeitige Stigmatisierung der Klein 
kinder gegenüber ihren Altersgenossen und damit eine erheb 
liche Behinderung der normalen Entwicklung. 
Diese drei Punkte möchte ich an einigen herausgehobenen 
Stellen etwas näher ausführen. 
Ein Wort zum Sicherheitsaufwand, der von der Justizverwal 
tung wie folgt gerechtfertigt wird: Durch die etwa fünf Meter 
hohen Mauern und die Besetzung von vier der insgesamt 
sechs Türme werde verhindert, daß Drogenpäckchen von 
außen über die Mauer geworfen werden, mit dem Ergebnis, 
daß diese Anstalt praktisch drogenfrei sei — und das im 
Gegensatz zu sämtlichen Männervollzugsanstalten, von de 
nen wir alle wissen, daß dort Drogen mehr oder weniger frei 
gehandelt werden. Dieser Punkt, der von der Justizverwaltung 
vorgetragen wurde, kann von uns nicht widerlegt werden. Im 
Gegenteil, wir begrüßen außerordentlich, daß in dieser An 
stalt Drogenfreiheit herrscht. Und ich glaube, daß das auch 
von niemandem ernsthaft bestritten werden kann, daß das ein 
Erfordernis ist, wenn wir ernsthaft Resozialisierungsstrafvoll 
zug in der JVA betreiben wollen. 
[Frau Künast (AL): Nennen Sie doch einmal 
Erfolgszahlen!] 
- Darüber können wir noch reden! Sicherlich, Frau Künast. 
Dennoch müssen wir fordern, daß - je stärker die Sicher- ,| 
heitsvorkehrungen nach außen sind - diese nach innen 
abgebaut werden sollten. Das ist eine gute Chance dafür. Die 
Sicherheitsmaßnahmen, die im Innenbereich einst eingebaut 
wurden im Vertrauen auf die künftige Belegung, vor allem mit 
terroristischen Gewalttäterinnen, verstärken derzeit nur Isola 
tions- und Hilflosigkeitsgefühle der gegenwärtig Inhaftierten, 
die unter Sicherheitsgesichtspunkten eher als harmlos einzu 
stufen sind, so daß wir Aufwendungen für die innere Sicherheit 
erheblich reduzieren können. Das ist auch einer der Gegen 
stände unseres Berichtsauftrages an den Senat, Maßnahmen 
vorzuschlagen, wie eben diese Sicherheitsaufwendungen 
konkret reduziert und damit Mittel für die Betreuung der dort 
inhaftierten Frauen freigesetzt werden können. 
[Zurufe der Frau Abg. Künast (AL)] 
Lassen Sie mich dennoch etwas zum Mutter-Kind-Bereich 
sagen. Mittelfristig möchte ich hier anregen und als Frage 
stellen: Sollten wir eine Initiative auf Bundesebene einleiten, 
ob wir Mütter mit Kindern vom Vollzug, zumal von kürzeren 
Freiheitsstrafen, grundsätzlich freistellen, vielleicht auch un 
ter Anlehnung an das italienische Modell? Denn die freien 
Entfaltungsmöglichkeiten des Kindes und der Schutz der 
Familie haben nach liberaler Auffassung verfassungsrecht 
lich den gleichen Rang wie der Anspruch des Staates auf 
Strafvollzug. Ich möchte das an dieser Stelle allerdings nur 
andenken und die Debatte im Moment noch nicht vertiefen. 
Aber ich glaube, daß wir in Zukunft daran arbeiten müssen. Da 
das vorläufig noch nicht möglich ist, soll sich der Senat durch 
unseren Prüfauftrag selbst erst einmal Gedanken machen, 
wie der Mutter-Kind-Bereich humaner gestaltet werden kann, 
ohne daß die dort einsitzenden Frauen und die dort lebenden 
Kleinkinder Versuchskaninchen psychotherapeutischen Ei 
fers werden. 
In diesem Zusammenhang fordern wir auch, daß die Be 
suchsumstände von älteren Kindern verbessert werden, die 
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