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Volume Nr. 37, 23. Oktober 1986

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1986/87, 10. Wahlperiode, Band III, 36.-49. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
37. Sitzung vom 23. Oktober 1986 
A) Stellv. Präsident Longolius eröffnet die Sitzung um 13.01 Uhr. 
Stellv. Präsident Longolius: Meine sehr verehrten Damen 
und Herren! Ich eröffne die 37. Sitzung des Abgeordnetenhau 
ses von Berlin und bekunde unseren unbeugsamen Willen, 
daß die Mauer fallen und daß Deutschland mit seiner 
Hauptstadt Berlin in Frieden und Freiheit wiedervereinigt 
werden muß. 
Die Fraktionen und der Präsident des Abgeordnetenhauses 
von Berlin sind gestern vom Wunsch der AL-Fraktion informiert 
worden, aus Anlaß der Einstellung aller Ermittlungen gegen die 
Richter und Staatsanwälte des Volksgerichtshofs zu Beginn der 
heutigen Plenarsitzung eine Gedenkminute für die Opfer dieser 
verbrecherischen Scheinjustiz einzulegen. Ich werde diesem 
Wunsch nicht entsprechen, greife die Anregung aber auf, um in 
unser aller Namen meinen Protest gegen diese Entscheidung 
auszusprechen - lauter und kräftiger, als es durch Schweigen 
möglich gewesen wäre. 
Was damals Recht war, ist heute Unrecht. Aus den mora 
lischen, materiellen und menschlichen Trümmern des deutschen 
Faschismus ist unsere Bundesrepublik im Jahr 1949 mit dem 
Anspruch angetreten, den Nazismus auszulöschen und wenig 
stens materiell Wiedergutmachung zu versuchen. Wiedergut- 
| machung ist aber nie nur die Entschädigung der Unschuldigen, 
ist immer auch die Bestrafung der Schuldigen. Kein Richter, kein 
Staatsanwalt, der dem Grundgesetz verpflichtet ist, hatte das 
Recht, die konsequente und rechtzeitige Verfolgung der Mörder 
von über 5 000 Menschen zu verweigern, dadurch das Ansehen 
der Bundesrepublik Deutschland zu beschädigen und die Opfer 
noch nachträglich zu verhöhnen. 
Es ist ein Skandal, daß die Untersuchungen erst so spät ein 
geleitet wurden. Es ist ein Skandal, daß es keine Verurteilung 
gab; und wir müssen uns wohl sogar fragen, ob es sie für Roland 
Freisler gegeben hätte. Es ist ein Skandal, daß sich unsere Justiz 
(B) mit der klaren Ablehnung aller Urteile aus der nazistischen 
Unrechtzeit so schwer tut; und es ist ein Skandal, daß die Ermitt 
lungen gegen die Richter und Staatsanwälte am Volksgerichts 
hof jetzt eingestellt wurden. 
[Beifall bei der SPD, der AL 
und des Dr. Tolksdorf (F.D.P.)] 
Wir bekunden unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern, unse 
ren ausländischen Nachbarn und insbesondere der Jugend 
unsere tiefe Betroffenheit und Scham, und wir bekunden den 
Opfern, deren Leiden nunmehr endgültig ungesühnt bleiben, 
unseren Schmerz, unseren Respekt und unseren Dank. Ihren 
* Mördern haben wir leider nach 1945 ein Leben in Freiheit und in 
' materiellem Frieden ermöglicht; sie aber, die über 16 000 Ange 
klagten und die über 5 200 Todesopfer, haben sich um unser 
Volk und um seinen Platz in der Geschichte verdient gemacht. 
[Allgemeiner Beifall] 
Meine Damen und Herren! Ich teile Ihnen jetzt mit, daß die 
Fraktion der AL ihren Antrag über Aussetzung der Novellierung 
des Berliner Hochschulgesetzes, Drucksache 10/700, im Aus 
schuß für Wissenschaft und Forschung zurückgezogen hat. 
Dann darf ich Ihnen bekanntgeben, daß zum gleichen Zeit 
punkt drei Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde ein 
gegangen sind, und zwar: 
1. Antrag der Fraktion der CDU und der Fraktion der F.D.P. 
zum Thema „Glaubwürdigkeit der politischen Auseinander 
setzung am Beispiel des Abgeordneten Buwitt“, 
2. Antrag der Fraktion- der SPD zum Thema „Weitere An 
sehensschädigungen Berlins durch neue Enthüllungen im 
Korruptionssumpf“, 
3. Antrag der Fraktion der AL zum Thema „Die Rolle des 
Regierenden Bürgermeisters im aktuellen Korruptionsskan- 
dal“. 
Im Ältestenrat hat die Fraktion der SPD dem Thema zuge 
stimmt, das von den Koalitionsfraktionen beantragt worden ist. 
Da die Fraktion der AL jedoch ihren Antrag aufrecht erhält, muß (C) 
die Entscheidung im Plenum herbeigeführt werden. Ich frage 
dazu, ob zunächst das Wort zur Begründung der besonderen 
Aktualität gewünscht wird. - Kollegin Ahme! 
Frau Ahme (AL): Meine Damen und Herren! Die CDU ist nur 
noch auf der Flucht. 
[Gelächter bei der CDU] 
Unsere Aktuelle Stunde lautet im Titel ganz bewußt: „Die Rolle 
des Regierenden Bürgermeisters im aktuellen Korruptionsskan- 
dal“. Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der CDU: 
Warum fürchten Sie sich denn so vor dieser Auseinanderset 
zung? - Ihr Regierender Bürgermeister hat sich doch ganz deut 
lich geäußert: 
Ein Politiker in so herausragender Position muß bei Erledi 
gung seiner persönlichen Angelegenheiten eine ganz 
außergewöhnliche Sorgfalt und besonders hohe Maßstäbe 
anlegen. 
Warum fürchten Sie sich denn vor der Auseinandersetzung in 
der Aktuellen Stunde, wenn wir sagen, daß wir auch den Verant 
wortlichen dazu hören wollen? - Entweder schließen Sie sich 
diesem Votum an, oder Sie schließen sich diesem Votum nicht 
an; einen Zwischenweg, wie Sie ihn am Dienstag versucht 
haben, wird es nicht geben. 
[Preuss (CDU): Genau das ist es! Eine andere 
Möglichkeit gibt es gar nicht!] 
Durch Flucht können Sie dieser Auseinandersetzung nicht ent 
gehen. 
Die Angst der CDU vor dieser Auseinandersetzung drückt 
sich auch darin aus, daß die CDU versucht hat, die Tagesord 
nung der heutigen Sitzung durch Geschäffsordnungslricks so zu 
verlängern, daß die Große Anfrage in Sachen Schackow und 
unser Mißtrauensantrag möglichst bis tief in die Nacht hinein ver 
zögert werden. Das wird Ihnen überhaupt nichts nützen! Sie 
kommen an dieser Auseinandersetzung nicht vorbei, und wenn 
sie spät in der Nacht geführt wird! Wir halten sie durch, aber ob 
Sie sie auch durchhalten, das wollen wir einmal sehen! 
[Beifall bei der AL und der SPD] 
Ich frage Sie: Wie wollen Sie überhaupt Ihre Aktuelle Stunde 
durchstehen? - Ich zitiere noch einmal das Thema, damit es 
auch der Öffentlichkeit bekannt wird; es heißt: „Glaubwürdigkeit 
der politischen Auseinandersetzung am Beispiel des Abgeord 
neten Buwitt“. Wie wollen Sie eine Auseinandersetzung darüber 
eigentlich durchstehen, wenn Sie doch am Dienstag gezeigt 
haben, daß Sie eine politische Auseinandersetzung am Beispiel 
des Abgeordneten Buwitt überhaupt nicht führen können, daß 
Ihnen doch längst die Maßstäbe verlorengegangen sind? - Herr 
Buwitt fragt nun einen Filzokratenrat, der sich „Ehrenrat“ nennt, 
der aber überhaupt keine demokratische Legitimation hat. 
[Widerspruch bei der CDU] 
Wo ist da zum Beispiel ein Vertreter der Alternativen Liste? - 
Nirgends! Alte Filzokraten, die von niemand gewählt sind, sollen 
nun über Ihre Glaubwürdigkeit entscheiden. Peinlich ist das, 
Herr Buwitt! Sie haben damit selbst eingestanden, daß Sie nicht 
mehr in der Lage sind, selbst und persönlich über Ihr Verhalten 
zu entscheiden. Das empfinde ich als sehr peinlich. 
[Beifall bei der AL] 
Stellv. Präsident Longolius; Der nächste Redner ist der 
Kollege Landowsky. 
Landowsky (CDU): Sie haben den Beweis geliefert, Frau 
Ahme, warum wir uns mit der Glaubwürdigkeit in diesem Parla 
ment auseinandersetzen müssen. 
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.] 
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