Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
49. Sitzung vom 26. März 1987
Stellv. Präsidentin Wiechatzek
Ich rufe jetzt auf die Abstimmung über das Grundstücksge
schäft Nummer 7. Wer hier seine Zustimmung zu geben
wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön!
Gibt es Gegenstimmen? - Enthaltungen? - So angenommen.
Wir kommen dann zu
lfd. Nr. 18, Drucksache 10/1424:
Antrag der Fraktion der SPD über Empfehlung zur
Änderung des Ausländererlasses
Das Wort in der Beratung wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat
empfiehlt die Überweisung an den Ausschuß für Ausländerfra
gen.
[Frau Birkelbach (AL): Und für Frauenfragen!]
- Und Frauenfragen ist beantragt. Wer hierzu seine Zustim
mung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. -
Danke schön! Ich gehe recht in der Annahme, daß der Auslände
rausschuß der federführende Ausschuß ist? - Danke schön!
Dann haben wir das so beschlossen.
Lfd. Nr. 19, Drucksache 10/1425:
Antrag der Fraktion der SPD über mehr Sicherheit
für Frauen nachts in Berlin
Das Wort in der Beratung hat Frau Holzhüter.
[Vetter (CDU): Nein!]
Frau Holzhüter (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und
Herren! Wir haben diesen Antrag gestellt, weil für uns die
Angelegenheit nach dem Senatsbericht zum gleichen Thema
nicht mit Bedauern abgeschlossen ist. Wir haben vielmehr ein
Stück Schularbeiten des Senats übernommen und weiter
gedacht. Das Problem ist Gewalt in der Gesellschaft, und dieser
Antrag soll helfen, es ein wenig abzubauen.
Der und die andere wird vielleicht den Bericht im Stern gele
sen haben, der sich mit den Reaktionen der Bevölkerung in
einigen Großstädten - auch in Berlin - auf Gewalt an Mitmen
schen befaßt. Bei diesen gestellten Szenen war unter anderem
das Thema sexistische Gewalt gegen Frauen. Ein Beispiel: In
einem gut besetzten U-Bahnwagen wird eine junge Frau massiv
sexuell von einem Mann belästigt. Die einzige Reaktion auf
diesen Tatbestand erfolgt von einem älteren Herrn, der drohend
sagt; „Aber, aber junger Mann!“ - Das war alles. Und so lief das
auch in anderen Städten und in anderen U-Bahnen. Sie sehen
also, daß dies ein Thema ist, das in unserer Gesellschaft aufge
arbeitet werden muß. Nicht nur wir überlegen uns, wie können
Menschen soetwas hinnehmen. Sind wir schon so weit, daß
Gewalt ein Tatbestand ist, den wir einfach als gottgegeben hin
nehmen?
[Frau Blankenburg (CDU): „Gottgegeben“ sicher nicht!]
Oder was kann man dagegen tun? Fest steht jedenfalls, daß
dieses Problem auch verantwortlich von Politik und Staat gelöst
werden muß. Wir Frauen bieten einige Wege zum Abbau dieses
Problems an. Wir schlagen vor, Sammeltaxen an Knotenpunkten
des BVG-Nachtnetzes in jedem Bezirk zur Verfügung zu halten,
etwa in Art des LIFT. Haltestellen und besonders dunkle Wege
müssen ausgeleuchtel werden. Auf den U-Bahnhöfen muß mehr
Personal zur Bewachung anwesend sein. Wenn die Polizei auf
der Straße verstärkt wird, dann muß sie zu Fuß unterwegs sein
und nicht im Auto.
Wir meinen auch, daß das Selbstbewußtsein der Frauen nicht
zum Nulltarif zu erlangen ist und daß es Selbstverteidigungs
kurse geben muß, die zusätzlich angeboten werden, und nicht
zum Ausgleich für irgendeinen anderen Kurs, und daß auch dafür
die Kinderbetreuung selbstverständlich sein muß.
Das Thema Gewalt gehört auch zur Aufarbeitung in die
Schule, und ich bitte die Frau Senatorin sehr herzlich, einmal
zwei Minuten zuzuhören. Wir möchten, daß dieses Thema in der
Schule behandelt wird und nicht, daß jede Lehrkraft selbst ent
scheiden kann, wieviel Raum sie dafür gibt. Wir wollen, daß es im
Lehrplan festgelegt und dann auch behandelt wird.
[Unruhe]
- Jetzt haben Sie mich ein bißchen aus dem Takt gebracht.
[Rösler (CDU): Geben Sie es doch zu Protokoll,
Frau Holzhüter!]
- Nein, ich gebe meine Ausführungen nicht zu Protokoll, und
zwar aus folgenden Gründen: Einmal, weil ich Sie zum Zuhören
zwingen will, und zum anderen, weil ich Sie zwingen will, sich mit
diesen Dingen auch auseinanderzusetzen. Ich möchte Sie bitten,
sich fünf Minuten Zeit für dieses Thema zu nehmen. Auch dem
Tempelhofer Abgeordneten von der CDU würde es guttun.
Ich möchte, daß dieses Thema noch einmal im Frauen
ausschuß behandelt wird, aber mit Ihrer aller Unterstützung, und
daß wir nicht wieder einen solchen Bericht bekommen, in dem
man uns mit Bedauern mitteilt, was wir wollen, sei finanziell nicht
zu leisten. Ich bitte also den ganzen Senat und alle Abgeord
neten männlichen und weiblichen Geschlechts um ihre Unter
stützung.
[Beifall bei der SPD]
Stellv. Präsident Longolius: Die Kollegin Birkelbach hat
das Wort.
[Palm (CDU): Ach, der Schenk geht schon!
Frau Birkelbach, Ihr Fraktionskollege Schenk will gar
nicht mehr hören, was Sie zu sagen haben! -
Rösler (CDU) Ihr Kollege Schenk geht schon nach Hause,
Frau Birkelbach! -
Glocke des Präsidenten]
Frau Birkelbach (AL); Ich glaube, das ist das Problem, daß
einige das gar nicht hören wollen
[Zuruf von der CDU: Der Schenk ist doch nach Hause
gegangen!]
- Mit dem Herrn Schenk kann ich noch öfter reden; ich wollte
mich jetzt eigentlich mehr an die rechte Seite des Hauses wen
den.
Die Aufmerksamkeit, die den verschiedenen politischen Pro
blemen in diesem Hause geschenkt wird, spiegelt natürlich auch
das vorhandene Bewußtsein über die verschiedenen Probleme
wider; und mir macht jedesmal die Art und Weise, wie Sie sich
hier benehmen, und dieses plötzliche Ausbrechen des Stamm
tischniveaus, Herr Vetter, natürlich deutlich,
[Zuruf des Abg. Vetter (CDU)]
daß ich von einem gemeinsamen Problembewußtsein hin
sichtlich der Frage Gewalt gegen Frauen bei Ihnen noch lange
nicht ausgehen kann. Und deshalb werde ich es Ihnen genauso
wenig wie die Kollegin Holzhüter ersparen, dieses hier um 22.20
Uhr - immerhin noch eine zivile Zeit - noch einmal zur Sprache
zu bringen.
[Zurufe von der CDU - Glocke des Präsidenten]
Ich möchte ganz kurz auf die Vorgeschichte dieses Antrags
eingehen. Am Anfang dieses Antrags stand ein Mord; nichts
weniger als ein Mord! Der Mord an einer jungen Frau namens
Susanne Matthes vor einigen Jahren in dieser Stadt. Ihre Leiche
wurde gefunden, nackt und mißhandelt, halbvergraben im Sand
eines Spielplatzes. Sie war alleine nach Hause gegangen nach
einem nächtlichen Diskothekenbesuch. Und auf diesem Heim
weg wurde sie überfallen, wurde sie vergewaltigt und wurde sie
schließlich ermordet,
[Gelächter]
- Ja, Herr Vetter, da lachen Sie; das finde ich unglaublich.
[Vetter (CDU): Was ich alles bei Ihnen unmöglich finde,
wenn Sie permanent dazwischenquatschen bei uns ...!
Weitere Zurufe von der CDU - Unruhe -
Glocke des Präsidenten]
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