Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
32. Sitzung vom 26. Juni 1986
1862
Pätzold
(A) besonders unglücklich darüber bin, wie der jetzige Regierende
Bürgermeister Diepgen mit diesem Thema umgegangen ist. Als
er noch Fraktionsvorsitzender war, haben wir in langen Gesprä
chen, auch mit der Spitze der CDU-Fraktion, versucht, gemein
same Grundlinien für eine Verwaltungsreform zu entwickeln, wie
das insgesamt, getragen von allen vier Fraktionen, im wesent
lichen seinen Niederschlag in einem gemeinsamen Bericht der
Enquete-Kommission zur Verwaltungsreform gefunden hat.
Nachdem Herr Diepgen Regierender Bürgermeister geworden
war, war von dem verwaltungsreformerischen Elan nichts mehr
zu spüren.
Meine zweite, sehr persönliche, sehr menschliche Enttäu
schung war die - ich muß das sagen, weil das mit dem dritten
Punkt zusammenhängl -, wie Herr Diepgen mit dem Disziplinar-
vorgang Antes umgegangen ist.
[Adler (CDU): Was hat das damit zu tun?]
- Ich komme darauf zurück, Sie werden das noch merken. - Das,
was als dritter Punkt übrig bleibt, ist, daß aus dem ursprüng
lichen Verwaltungsreformer Eberhard Diepgen eigentlich
jemand geworden ist, dem im Augenblick nach Antes, ausgelöst
durch Antes, nichts anderes mehr einfällt als ein reaktionärer
Anti-Bezirkskurs.
Wie kann man eigentlich nach den Ereignissen um Antes zu
dem Ergebnis kommen, daß man an einigen Punkten die Zentral
gewalt stärken und daß man die politische Kontrollmöglichkeit in
den Bezirken schwächen müsse? Wie war das denn eigentlich
der Art nach, wie einerseits die Hauptverwaltung und anderer
seits die betroffene Bezirksverwaltung mit der Antes-Ent-
wicklung fertig geworden ist? Die Hauptverwaltung - der Regie
rende Bürgermeister, der Senator für Inneres, die Innenverwal
tung als Institution, auch die Senatskanzlei als Institution - ist
beizeiten von Charlottenburgern kritisch darauf hingewiesen
worden, was im Fall Antes alles drohte, im Zweifel schon erkenn
bar vorlag. Auch Herr Kraetzer hat dazu beigetragen. Wie hat
rg. denn die Spitze der Hauptverwaltung auf all diese Vorgänge rea-
1 giert? - Nichts! Verharmlosend, verdunkelnd! Wir haben erlebt,
wie die Staatsanwaltschaft, auch Bestandteil der Hauptverwal
tung, in der ersten Runde, obwohl einiges Gravierende vorlag,
wie wir das leider im Bereich der Wirtschaftsstrafsachen öfter er
leben, trotz der Verdachtsmomente das Verfahren gegen Herrn
Antes eingestellt hat. Nachdem dann neue Verdachtsmomente
auftauchten, hat eine andere Abteilung der Staatsanwaltschaft
sich intensiv um die Dinge bemüht. Als die ersten Namen von
Politikern fielen, hat dann der Justizsenator wohl in Person dafür
gesorgt, daß das wieder an die Abteilung Wirtschaftsstraf
sachen zurückverlagert wurde. Wie hat der Umweltsenator auf
seinen Umschlag reagiert, wie hat die zentrale Bauverwaltung -
[Zurufe von der CDU: Was hat das
mit Ihrem Antrag zu tun?]
- Wir haben einen Antrag eingebracht. Nicht ich habe die Ver
knüpfung hergestellt, sondern es waren die CDU und der Regie
rende Bürgermeister, die meinten, daß aus Anlaß des Antes-
Skandals nun eine Verwaltungsreform mit einem eigenen reaktio
nären Zuschnitt durchgeführt werden muß. - Wie war das mit
der Senatsbauverwaltung? Die hat ihre Ausnahmegenehmigung
für Parkplätze erteilt, die nicht hätte erteilt werden dürfen,
[Zurufe von der CDU]
und die Frau Schulsenatorin hat mit den Einflußmöglichkeiten
der Hauptverwaltung versucht, Herrn Antes dann auch noch als
Schulrat unterzubringen.
Und ich frage umgekehrt: Wie haben denn die Bezirksgremien
in Charlottenburg - wie ich finde, viel erfolgreicher - auf den An-
les-Skandal reagiert?
[Adler (CDU): Sagen Sie doch mal
etwas zur Sache!]
Der Bezirksbürgermeister, auch wenn er jetzt von einigen Partei
freunden als Chaoten-Ecki beschimpft wird, hat sich immerhin
bemüht, Dinge in Ordnung zu bringen. Das Rechtsamt hat sich
bemüht, Dinge in Ordnung zu bringen, der Finanzsfadtrat hat
sich bemüht, Dinge in Ordnung zu bringen, die Bezirksverordne
tenversammlung hat sich bemüht, Dinge in Ordnung zu bringen. (C
Die Minderheitsfraktion ganz und gar, in der CDU-Fraktion auch
eine Minderheit. Da hat politische Kontrolle funktioniert - anders
als die bürokratische Kontrolle der Zentralverwaltung.
[Beifall bei der SPD]
Wäre das nicht so gewesen, dann wüßte ich nicht, ob der Antes-
Skandal überhaupt aufgedeckt worden wäre. Wäre Ihren Vor
stellungen - von denen ich immer noch hoffe, daß sie nicht Ihrer
aller Vorstellungen sind - gefolgt worden, hätten Stadträte eine
längere Wahlperiode. Dann wäre doch genau das geschehen,
was man hätte befürchten müssen, nämlich einen Stadtrat zu
haben, der für sechs, acht Jahre gewählt ist und nicht nach einer
vierjährigen Wahlperiode ausscheidet und wieder neu gewählt
werden muß. Der wäre mit den disziplinarischen Maßnahmen,
wie sie Herr Diepgen bestätigt hat, im Amt geblieben und nicht
aus diesem Amt entfernt worden.
Aber wenn Sie schon glauben, nicht wegen der Vorschläge
der Enquete-Kommission, sondern wegen des Antes-Skandals
das Stichwort Verwaltungsreform aufgreifen zu müssen, dann
sagen wir Ihnen: Wir sind als Sozialdemokraten bereit, die Ver
fassungsstrukturen im weiteren Sinne, auch die Bezirks-Verfas
sungsstrukturen, zu überprüfen. Aber was reitet denn den Senat,
an den einstimmig gefaßten zweimaligen Beschlüssen des
Abgeordnetenhauses zur Enquete-Kommission Verwaltungs
reform vorbei völlig andere, gegenläufige, reaktionäre, unabge
klärte Vorstellungen zu entwickeln?
[Beifall bei der SPD]
Dabei muß ich einmal sagen, lieber Herr Kewenig: Sie sind zu
neu im Amt, in diesem Amt als Innensenator, als daß Sie sich
erlauben dürften, nach der gründlichen und umfassenden Arbeit
der Enquete-Kommission über eine ganze Wahlperiode hinweg
hier zu erzählen, nach dem vielen Gerede über Verwaltungs
reform müßte nun endlich einmal gehandelt werden. Es liegt an
diesem Senat, dem Sie angehören, daß trotz zweimaliger Plenar
beschlüsse des Abgeordnetenhauses dieser Senat bis heute
nicht gehandelt hat.
[Beifall bei der AL]
Sie haben genug Anlaß und genug Anstoß zum Handeln. Tun Sie
das endlich! Aber lassen Sie sich nicht völlig andere Dinge ein
fallen, die auch nicht geeignet sind, unter dem Stichwort „Ver
waltungsreform“ zu laufen, anders als das Parlament Ihnen das
vorgegeben hat. Und nun sagen Sie doch nicht, daß darüber
30 Jahre geredet worden sei, wenn Ihnen auch nichts Besseres
einfällt, als das wieder einführen zu wollen, was wir selbst vor 10,
15 Jahren mit den Stimmen aller Fraktionen abgeschafft haben.
Das ist doch keine Verwaltungsreform, nach 40 Jahren gewisser
maßen festzustellen, daß man im Straßenverkehr statt des
Rechtsverkehrs auch mal den Linksverkehr einführen könnte, um
das nach weiteren 40 Jahren wieder umgekehrt zu wollen. Das
ist kein Ansatz, mit dem Sie an diese Dinge herangehen können!
Im übrigen, wenn wir wollen, daß den Bezirken breit Aufgaben
übertragen werden, dann kann man nicht zugleich über die Ver
ringerung der Zahl der Bezirksstadträte reden. Es kann in dieser
Welt passieren, was will, da fliegt meinetwegen der Halleysche
Komet vorbei, und gewissen Leuten fällt nichts anderes ein, als
stereotyp nach der Verringerung der Zahl der Bezirksamtsmit
glieder zu rufen. Dieser Senat hat jede Legitimation dafür einge-
büßl, nachdem er im Wissen darum, daß eine Straffung der
Hauptverwaltung und ein Ausbau der Bezirksverwaltung Auftrag
des Parlaments ist, inzwischen die Zahl der Staatssekretäre um
die Hälfte vermehrt hat. So kann man an die Probleme der Ver
waltungsreform nicht herangehen!
[Beifall bei der SPD - Zuruf von der SPD:
Sehr wahr!]
Wenn man eine zweistufige Verwaltung hat - und wir bejahen
dies ausdrücklich in einer so großen Sfadllandschaft wie Ber
lin -, dann kann man sie nur so ordnen, wie es die Verfassung
vorgegeben hat, prinzipiell die örtlichen Aufgaben in den Bezir
ken und prinzipiell die Ministerialaufgaben bei der Hauptverwal
tung anzusiedeln - aber nicht anders, wie Sie das jetzt angehen.