Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
31. Sitzung vom 12. Juni 1986
1750
Dr. Lange
(A)
(B)
haben, daß diese unüberlegte und eigentlich auf billige
Effekthascherei - Herr Kollege Barthel, ich wiederhole
diesen Begriff - angelegte Aktion, der bisher insbesondere
von uns erfolgreich — in großen Teilen auch gemeinsam mit
den Sozialdemokraten in diesem Lande - praktizierten
humanen Ausländerpolitik letztlich, Herr Kollege Barthel,
schadet. Denn auf Grund dieser neuerlichen Emotionalität,
[Schenk (AL): Wer schürt die denn?]
die auch hier heute wieder in diesem Bereich deutlich wurde,
werden gerade politisch schwierige Entscheidungen - Herr
Kollege Barthel, Sie wissen das, daß das ein sensibler
Bereich ist, wo es um Einzelfallentscheidungen geht —
zugunsten der betroffenen Menschen fast unmöglich ge
macht. Denn wenn dem Kollegen Lummer auch zuzugestehen
ist, daß die politischen und sozialen Probleme anderer
Staaten nicht etwa mit dem Mittel unseres Asylrechts gelöst
werden können, so wird sich die F.D.P. der auch heute wieder
vorgetragenen sehr deutschen Neigung des ehemaligen In
nensenators, Probleme durch Gesetzesänderungen statt
durch vernünftige praxisbezogene Maßnahmen zu lösen, wie
auch in der Vergangenheit entschieden widersetzen.
[Beifall bei der AL]
Denn an dieser Stelle muß mit aller Deutlichkeit gesagt
werden, daß kein ernsthafter Politiker glauben kann, der
Zuwanderungsdruck, insbesondere aus den Staaten der Drit
ten Welt, könne durch eine Änderung unseres Asylrechts
vermindert werden. Dies können wir allenfalls dadurch errei
chen, daß die Bundesrepublik in verstärktem Umfang politisch
auf jene Staaten einwirkt, die gegenüber einem Teil ihrer
Bevölkerung glauben, grundlegende Menschenrechte miß
achten zu können.
[Beifall bei der F.D.P.]
Genauso deutlich muß hier auch gesagt werden - und da,
Herr Kollege Lummer, obliegen auch Sie einer Schimäre
Unser Land ist nicht und unser Land wird nicht von Flüchtlin
gen überschwemmt!
Ich komme zum Schluß: Insgesamt geht die Zahl der
Ausländer - Herr Lummer, das wissen Sie auch - in der
Bundesrepublik kontinuierlich zurück. All jenen, die glauben,
mit Veröffentlichungen von monatlichen Zahlen der antrag
stellenden Asylbewerber Ausländerpolitik begründen zu kön
nen, sei noch einmal ins Gedächtnis zurückgerufen, daß die
Bundesrepublik Deutschland tatsächlich seit 1945 53000
Flüchtlinge anerkannt hat. In diesem Zusammenhang sollte
der Bevölkerung auch noch ebenso klar gesagt werden, daß
die Zahl der in der Bundesrepublik einschließlich West-Berlin
lebenden Antragsteller erstaunlicherweise nicht von den
Verwaltungen exakt angegeben werden kann, da viele Asylbe
werber unser Land in Wirklichkeit längst wieder verlassen
haben und nur noch in den Statistiken vorhanden sind.
Stellv. Präsident Longolius; Das Wort hat Herr Senator Dr.
Kewenig.
Dr. Kewenig, Senator für Inneres: Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! Ich möchte nur einige wenige Bemerkun
gen machen, die, wie ich hoffe, zur Versachlichung der
Debatte beitragen werden, weil ich finde, wir sollten nicht den
Fehler wiederholen, der insbesondere der AL unterlaufen und
ihr auch vorzuhalten ist, nämlich den Fehler, aus menschli
chem Elend politisches Kapital schlagen zu wollen.
[Lohauß (AL): Sie haben gar nicht zugehört!]
Ich sage es noch einmal: Ich finde, wir sollten nicht versuchen,
durch lange und laute Debatten aus menschlichem Elend
politisches Kapital zu schlagen!
[Lohauß (AL): Wer hat denn die Aktuelle Stunde
beantragt?]
— Ja, man muß darüber reden, weil so etwas passiert ist.
[Dr. Meisner (SPD): Haben Sie darüber geredet,
daß Sie Herrn Lummer als ersten Redner Ihrer
Fraktion auftreten lassen? - Weiterer Zuruf von
der AL - Glocke des Präsidenten]
Ich möchte gern folgende Bemerkungen zur Sache machen:
Frau Bischoff-Pflanz, Sie haben selber schon darauf hinge
wiesen, daß minderjährige Kinder keine Aufenthaltserlaubnis
brauchen. Deshalb ist der Eindruck falsch, den Sie erweckt
haben, daß es allein durch Ihre „mutige“ Tat möglich gewesen
ist, daß hier Kinder tatsächlich bei ihren Eltern bleiben
können.
[Zuruf der Frau Abg. Bischoff-Pflanz (AL)]
- Nein, Sie haben nicht davon gesprochen, aber Sie haben
den Eindruck erweckt.
[Frau Kiele (AL): Wo ist der angebliche
Rechtsbruch?]
Ich möchte gerne im Anschluß an das, was Herr Lange gesagt
hat, sagen: Ich glaube auch, daß der § 10 Ausländergesetz,
also die Frage der Mittellosigkeit, kein geeigneter Grund ist,
um die Einreise der Kinder zu verhindern, wenn sie nun
einmal hier auf dem Flughafen sind. Ich möchte im Anschluß
an das, was Herr Lange gesagt hat, folgende weitere Bemer
kung machen: Sie haben außerdem, Frau Bischoff-Pflanz, in
der Presse den Eindruck erweckt, als ob es tatsächlich um
„Familienzusammenführung“ ginge, als ob es darum ginge,
Kinder mit ihren Eltern wieder zusammenzuführen. Wenn man
sich aber mal die elf Kinder, die hier in Berlin bleiben sollen,
genau ansieht, so stellt man fest, daß von den elf Kindern fünf
auch heute noch nicht bei den Eltern sind.
(C)
(D)
Aus diesem Grunde — ich komme zum Schluß, Herr
Präsident - bin ich mit dem Kollegen Burkhard Hirsch der
Meinung, daß es überflüssig ist, immer wieder eine Änderung
des Grundgesetzes zu fordern, wenn die vorhandenen gesetz
lichen Regelungen für zwei Drittel der Asylbewerber ohne
Bedeutung sind, da über 60% der Asylbewerber nicht abge
schoben werden, auch wenn ihr Antrag rechtskräftig abge
lehnt worden ist.
[Beifall bei der F.D.P.]
[Frau Bischoff-Pflanz (AL): Das stimmt nicht!]
- Ja, ich meine, wir können uns gerne über die Einzelheiten
der Daten unterhalten, aber ich stelle hier fest, daß in zwei
Fällen - einmal geht es um zwei Kinder und einmal um drei
Kinder - folgende drei Dinge bemerkenswert sind; Erstens:
Die Väter sind hier, die Mütter sind nicht hier, sondern in Sri
Lanka.
Unsere Aufgabe als Parlamentarier muß es daher vorrangig Stellv. Präsident Longolius: Gestatten Sie eine Zwischen
sein, auf die wirksame Vollziehung der bestehenden Gesetze frage?
zu drängen. - Vielen Dank!
Dr. Kewenig, Senator für Inneres: Bitte schön, Frau Korthaa-
[Beifall bei der F.D.P.] sei