Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
31.Sitzung vom IZ.Juni 1986
1748
Frau Bischoff-Pflanz
(A) die Situation zu informieren. Das sollten Sie auch einmal tun,
dann würden Sie hier vielleicht anders reden!
[Beifall bei der AL und der Frau Abg. Reichel-Koß
(SPD)]
Ich werde mal ganz kurz schildern, wie es aussieht, wenn
sich jemand auf die Flucht begeben muß. Sie alle wissen
hoffentlich - sonst hätten wir auch nicht den Abschiebestopp
für Tamilen -, daß die Tamilen als rassische und ethnische
Gruppe verfolgt werden. Das heißt auch: alle! Da ändert auch
das grauenvolle Bundesverwaltungsgerichts-Urteil nichts
daran. Die Tatsache besteht!
[Vetter (CDU): Grauenhaftes
Bundesverwaltungsgerichts-Urteil? Sie sagen:
grauenhaftes Bundesverwaltungsgerichts-Urteil?]
So ein Mann muß nun auf die Flucht gehen, und zwar sehr
schnell und unauffällig. Was passiert dann? - Dann kommen
Sicherheitskräfte, Militär, überfallen die Häuser, nehmen sich
die Frauen vor, foltern sie, schlagen sie, vergewaltigen sie;
dann müssen diese Frauen auch das Land verlassen -
teilweise leider ohne die Kinder! Da gibt es dann noch
Mitmenschen, Nachbarn, Freunde, Verwandte, die diese Kin
der aufnehmen, und erstmal glauben sie, daß diese Kinder
dann in Sicherheit sind. Sie waren auch in Sicherheit bis zu
der jetzigen bestehenden Eskalation der Situation in Sri
Lanka,
Traurig ist übrigens auch noch, daß die Gründe der Frauen
und auch jungen Mädchen, die Schwestern von jungen
Männern sind, hier kaum anerkannt und besprochen werden.
So viel zu der Situation der Flucht.
Ich komme jetzt noch einmal auf die Situation in Sri Lanka
(B) zurück. Da, Herr Lummer, wundert es mich doch nun wirklich;
Sie sind doch immer der Befürworter derjenigen, der sagt, wir
sollten in dem Land etwas ändern. Richtig! Dann wirken Sie
doch mal auf diese Regierung dort ein, daß sich dort etwas
ändert, und schicken Sie ihnen nicht noch die Entwicklungshil
fe hin, die zur Militärhilfe umgemünzt wird, um die Menschen
zu vernichten. So sieht es nämlich aus!
[Beifall bei der AL - Zuruf des Abg. Lummer
(CDU)]
Der Präsident dieser Regierung hat weltweit erklärt, er sei
bereit zur militärischen Endlösung der Tamilen-Frage, und er
tut es! Und Sie sehen zu und jammern hier über 14 Kinder, die
in unsere reiche Bundesrepublik kommen. Ich habe erwartet,
daß Sie sich darüber nicht gerade freuen , aber Ihre Reaktion
ist von Ihren rechtsradikalen Tendenzen gespickt. Und ich
kann Ihnen auch nur sagen: Ihre Partei war schlecht beraten,
ausgerechnet diesen Herrn Lummer reden zu lassen.
[Dr. Meisner (SPD): Allerdings! - Beifall bei der
AL und der SPD]
Und jetzt komme ich noch zu einem ganz anderen wichtigen
und entscheidenden Punkt dieser Aktion. Die Bundesregie
rungs - und auch mit Hilfe dieses Parlaments - hat nämlich
für die Tamilen schon etwas getan, was bisher nur Herr
Lummer und einige Bundesländer und inzwischen auch der
Bundeskanzler Kohl sagen: Sie hat das Asylrecht für Tamilen
abgeschafft; schlichtweg abgeschafft, indem 40 Jahre nach
Ende des Faschismus zwischen der fast antifaschistischen
DDR und der fast demokratischen Bundesrepublik ein Pakt
geschlossen wurde, der schlimm ist, ein Pakt, diese Men
schen nicht mehr in unser Land zu lassen. Es sei denn,
[Lummer (CDU): Das haben die Schweden und die
Dänen auch gemacht!]
„sie hätten einen Sichtvermerk“. Sie wissen alle genau, für (C)
Flüchtlinge gibt es keinen Sichtvermerkszwang; dieser Sicht
vermerkszwang steht diametral dem Artikel 16 Abs. 2 unseres
Grundgesetzes gegenüber. Das wissen Sie! Und aus den
Erfahrungen, die wir dort gemacht haben, wird es ganz
eindeutig klar, und es wurde auch klar, ich darf hier noch
einmal daran erinnern, durch die Situation: Es saßen Frauen,
Kinder, junge Mädchen in Warschau - Tamilen —, die sind
von der DDR aufgrund Ihres Verlangens zurückgeschickt
worden; wir haben uns bemüht, daß die Deutsche Botschaft
ihnen ein Einreisevisum gibt. Was ist passiert? Diese Men
schen sind - und das ist internationaler Gebrauch - als
„Deporfies“ zurückgeschickt worden; von ihnen ist seitdem
nichts mehr gehört worden, sie sind vermißt. Soviel dazu!
Zum zweiten: Ein Deutscher, der lange in Jaffna lebte, der
auch gehen mußte, weil man seine Geflügelfarm niederge
macht hat, hat versucht, in der Deutschen Botschaft in
Colombo für einen jungen verfolgten, bereits gefolterten
jungen Tamilen einen Asylantrag zu stellen und ein Einreisevi
sum zu bekommen. Was glauben Sie wohl, wie das ausgegan
gen ist? - Abgelehnt! Das ist das Recht, was sie meinen auch
noch abschaffen zu müssen. Sie haben es doch längst
abgeschafft für diese Gruppe, und das ist der Grund, weshalb
wir sagen, dieses Grundrecht muß durchgesetzt werden. Wir
sagen nicht einmal, es muß verteidigt werden, denn es muß
erst durchgesetzt werden.
[Beifall bei der AL]
Und dann kommt die Unverschämtheit hinzu, die wirklich
bodenlos ist, hierzu sagen, mit den Kindern und Unmündigen
- dazu hat Frau Künast schon etwas gesagt - wurde
Schlepperei und Rechtsmißbrauch betrieben. Kinder unter 16
Jahren sind von diesem Sichtvermerkzwang befreit, sie
brauchen keine eigene Aufenthaltserlaubnis. Wo also bitte '
liegt hier ein Rechtsbruch? Das ist eine Farce für sich, wenn
Sie so etwas hier behaupten. Sie können frei einreisen -
selbstverständlich.
Nun gibt es noch eine Bestimmung, und davon hat das
Bundesministerium des Innern Gebrauch gemacht, Menschen
an unserer Grenze zurückweisen zu können - Ausländer
natürlich, wir werden nicht zurückgewiesen. Von diesem
Recht hat das Bundesministerium Gebrauch gemacht, und
deshalb wurden die Bevollmächtigten der Eltern dieser Kin
der gezwungen, in Frankfurt für diese Kinder - das jüngste
Kind ist sechs - einen Asylantrag zu stellen. Es sollte sogar
- man muß sich das einmal vorstellen - noch eine Befra
gung nach den Asylgründen stattfinden. Da entlarvt sich das
- wie sagte Herr Kewenig heute? - humanitäres Recht auf
Asyl. Es entlarvt sich selbst an diesem Punkt.
[Beifall bei der AL]
Ich möchte abschließend noch einmal sagen - auch nach
Augenzeugenberichten und unseren Erfahrungen dort - die
Angst, die Herr Kollege Barthel angesprochen hat, daß das
Menschen in Colombo schaden könnte, die ist unbegründet.
Im Gegenteil, wir sind sogar - und das sage ich auch - von
Singhalesen, die in der Opposition zu der Regierung stehen,
gebeten worden, auf die Situation dort hinzuweisen, auf die
Rechtsmißbräuche, die dort stattfinden - in einem Land, wo
das Wahlrecht abgeschafft ist, wo Militärs ständig Überfälle
machen, Dörfer niederwalzen, Schulen mit Kindern, Frauen
und Greisen in die Luft bomben, wo grauenvolle Massaker
tagtäglich stattfinden, darauf sollten wir hinweisen. Wir sollten
darauf hinweisen, wo das Geld unserer Entwicklungshilfe
hingeht; es geht nicht nur in die Bürgersteige der Diplomaten
viertel,
[Zurufe des Abg. Lummer (CDU)]