Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode
19. Sitzung vom 16. Januar 1986
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Sen Pieroth
(A) schungseinrichtungen zur Verfügung. Nur so können komplexe
Lösungen erarbeitet und marktreif gestaltet werden. Nur so
konnte zum Beispiel ein Galvanikbetrieb mit 130 Mitarbeitern in
Zusammenarbeit mit TU und TFH ein neues Galvanisierungsver
fahren entwickeln und eine Anlage im Produktionsmaßstab in
Berlin errichten; auf dem flachen Land wäre so etwas viel schwe
rer, wenn nicht unmöglich. Ein solches Verfahren zeichnet sich
durch eine besonders schadstoffarme Prozeßtechnik aus und
brachte der Firma den Innovationspreis 1984 ein. Ich fordere alle
Wirtschaftsunternehmen auf, die Möglichkeiten der Altanlagen
sanierung voll auszunutzen. Warten Sie nicht immer auf entspre
chende Verordnungen! Kommen Sie rascher in den Markt,
indem Sie solche Verordnungen in Ihren Konstruktionen und
Produktionen antizipieren! Machen Sie mehr aus eigenem
Antrieb!
platze führen würden. Diese Entwicklung ist jedoch Gott sei
Dank nicht eingetreten; im Gegenteil, die Bemühungen zum
Schutze der Umwelt haben zur Schaffung vieler Arbeitsplätze
geführt. Die mir zur Verfügung stehenden Zahlen sprechen für
die Bundesrepublik von einem Arbeitsplatzumfang von ungefähr
400 000 Arbeitsplätzen und von Investitionen in einer Flöhe von
insgesamt 190 Milliarden DM.
Aber so erfreulich auch diese Zahlen für die Bundesrepublik
sind, wir sollten uns der Berliner Situation zuwenden, und diese
sieht, wie soeben der Flerr Senator ausgeführt hat, ja auch nicht
schlecht aus. Der unmittelbare Einflußbereich des Senats, der
öffentliche Dienst, hat hieran einen ganz erheblichen Anteil. Die
Zahlen sind hier eben genannt worden: 13 000 Stellen, darunter
ca. 3 000 ABM-Stellen im Bereich des Umweltschutzes, Berliner
Stadtreinigung, Berliner Entwässerungswerke. In diesem
Bereich sind ungefähr 40% der ABM-Stellen konzentriert, und
ich meine, daß das so richtig ist, weil hier eine Arbeit unmittelbar
zum Wohl der Bürger geleistet wird. Lassen Sie mich an dieser
Stelle auch einmal den Mitarbeitern in diesem Bereich für ihre
sehr engagierte Tätigkeit danken, weil sie sonst von dieser Stelle
aus sehr oft kritisiert werden.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
In dem Bereich des Umweltschutzes ist eine Erhöhung der
Stellenzahl im öffentlichen Dienst auch sicher am ehesten zu
rechtfertigen, weil es hier eine Zunahme der Aufgaben gibt. Die
Mitglieder der Enquete-Kommission „Boden“ konnten von
einiger Zeit bei einem Gespräch mit der Verwaltung auch fest
stellen, daß es hier bereits Verstärkungen gegeben hat.
Der Schwerpunkt des Interesses sollte jedoch nicht der
öffentliche Dienst sein, sondern der privatwirtschaftliche Be
reich, wo unabhängig von staatlichen Zahlungen und Mitteln
auch in Berlin eine Vielzahl von Arbeitsplätzen geschaffen wor
den ist, Flerr Senator Pieroth hat die Zahl von etwa 10 000 für
den gesamten Bereich genannt; und ich möchte einmal den
Bereich der privaten Müllabfuhr- und Recyclingunternehmen her
ausnehmen, um für diesen Bereich einmal die Entwicklung zu
verdeutlichen; denn die Entwicklung sieht sehr, sehr positiv aus
und läßt erhoffen, daß in der nächsten Zeit noch sehr viele neue
Stellen geschaffen werden. Im Jahr 1980 hatte dieser Bereich
bei der Abfallabfuhr etwa 800 Beschäftigte und beim Recycling
etwa 270 Beschäftigte, so daß man auf etwa 1 070 Arbeits
plätze kommt. Im Jahr 1983 hatte sich diese Anzahl für die Müll
beseitigung auf 900 und für den Bereich der Recyclingwirtschaft
auf etwa 350 Arbeitsplätze verstärkt, so daß man hier auf rd.
1 250 Arbeitsplätze kommt, und im vorigen Jahr hatten wir im
Bereich der Abfallwirtschaft bereits 1 000 Beschäftigte, wäh
rend sich 500 mit Aufgaben des Recycling beschäftigt haben, so
daß man für 1985 auf etwa 1 500 Mitarbeiter kommt. Die Investi
tionen erhöhten sich von 23 Mio DM im Jahr 1980 auf 30 Mio
DM im Jahr 1983, und im Jahr 1985 wurden 40 Mio DM inve
stiert. Wenn man sich dieses Volumen ansieht, dann kann man
sich denken, daß von diesen Investitionen auch erhebliche Im
pulse gerade auf die Bauwirtschaft ausgegangen sind. In den
Jahren 1980 bis 1985 haben sich die Beschäftigtenzahlen somit
in diesem Bereich um 50 % erhöht, die Investitionen haben sich
verdoppelt. Ich glaube, man muß schon sehr intensiv und sehr
lange suchen, um in dieser Stadt oder auch in anderen Städten
Industriebetriebe zu finden, wo eine ähnlich starke Entwicklung
stattgefunden hat. Diese Entwicklung läßt uns auch für die
Zukunft hoffen.
Diese Zahlen lassen jedoch auch noch eine zweite Trend
wende oder Entwicklung deutlich werden, nämlich den Trend
weg von der bloßen Abfallabfuhr hin zum Recycling, das heißt,
hier werden nicht nur Arbeitsplätze geschaffen, sondern es wer
den auch noch Rohstoffe hergestellt, und es werden Müllmen
gen eingespart, was wiederum der öffentlichen Hand zugute
kommt, die sonst für deren Beseitigung verantwortlich wäre.
Lassen Sie mich als weiteres Beispiel für die beschäftigungs
wirksamen Maßnahmen - Herr Pieroth hat dies auch schon
angesprochen - die Investitionen der Bewag zur Luftreinhaltung
erwähnen. Hier sind ungefähr 2 Milliarden DM ausgegeben wor
den bzw. in die Planung geflossen, um den Schwefelausstoß der
Eine Bitte an die Versorgungs- und Entsorgungsunternehmen
in Berlin: Berliner Unternehmen müssen frühzeitig Informationen
über den Technologiebedarf der Eigenbetriebe und der Bewag
im Umweltschutzbereich bekommen, damit diese Berliner Be
triebe sich frühzeitig auf solche Entwicklungen einstellen
können.
[Dr.Meisner (SPD); Herr Wronski schreibt mit!]
Ich bitte den DGB, die ÖTV, viele Personalräte, auch Betriebs
räte: Sie können mithelfen, sinnvolle Betätigungsfelder für ABM-
Kräfte zu erschließen. Da gibt es doch auf der einen Seite einen
großen Arbeitsbedarf im Umweltschutz, und auf der anderen
Seite gibt es Menschen, die arbeiten wollen, aber keinen Arbeits
platz finden. Das ist doch geradezu widersinnig und darf auf
Dauer nicht so bleiben. Ich bitte deshalb, unsere Initiativen im
ABM-Bereich konstruktiv zu unterstützen, auch indem Sie ABM-
Kräften psychologisch den Rücken stärken.
[Beifall bei der CDU]
Eine letzte Bitte an alle Berlinerinnen und Berliner: Erwarten
Sie im Umweltschutz - und gerade im Umweltschutz - nicht
(B)
zuviel von oben oder von den anderen! Der pflegliche Umgang
mit der Umwelt ist Sache jedes einzelnen. Achten Sie beim Ein
kauf auf umweltfreundliche Produkte, wenn möglich aus Berlin I
Auch so schaffen Sie mehr Arbeit für Berlinerinnen und Berliner
und machen unser Berlin schöner und sauberer, attraktiver und
liebenswerter zugleich.
[Beifall bei der CDU und der F.D.P.]
Präsident Rebsch: Ich eröffne die Aussprache. Das Wort
hat für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Heide.
Heide (CDU): Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Zuerst einmal möchte ich mich bei Herrn Senator Pieroth bedan
ken für die Erläuterung der unterschiedlichen Initiativen der Ver
waltung. Diese Ausführungen haben uns gezeigt, daß der Senat
die Bedeutung dieses Themas erkannt hat und hier in vielfältiger
Weise initiativ geworden ist, um viele Arbeitsplätze für die Ber
liner Wirtschaft zu schaffen.
Bei der Diskussion über Arbeitsplätze und Umweltschutz gibt
es im Grunde genommen zwei Maximalpositionen; die eine sagt,
daß der Umwelt zuliebe auf die industrielle Produktion so weit
wie möglich verzichtet werden soll, und die andere sagt, daß
eine Beschäftigungspolitik notfalls auch gegen den Umwelt
schutz durchgesetzt werden muß. Die Äußerungen des Sena
tors, aber auch die Entwicklung in der Bundesrepublik, haben
uns gezeigt, daß beide Positionen nicht richtig sind. Sie werden
der Komplexität der Industriegesellschaft in der Bundesrepublik
nicht gerecht, denn es hat sich gezeigt, daß sowohl Arbeits
plätze als auch Umweltschutz nebeneinander bestehen können.
Geht man zurück in die 60er Jahre, da machte man sich in der
Industrie über die Umwelt wenig Sorgen. Im Gegenteil, rauchen
de Schornsteine waren eher ein Zeichen von Wohlstand und für
das Wohlbefinden der Leute. Mit dem Beginn der Umwelt
schutzdiskussion in den 70er Jahren kamen dann dagegen Be
fürchtungen auf, daß diese Umweltschutzdiskussion und die sich
daran anschließenden Auflagen zur Vernichtung vieler Arbeits-