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Volume Nr. 27, 17. April 1986

Full text: Plenarprotokoll (Public Domain) Issue1986, 10. Wahlperiode, Band II, 19.-35. Sitzung (Public Domain)

Abgeordnetenhaus von Berlin - 10. Wahlperiode 
27. Sitzung vom 17. April 1986 
1477 
Longolius 
(A) gegen das amerikanische Vorgehen zerstört haben. Das muß 
Sie doch eingentlich getroffen haben. Warum sagen Sie das 
dann hier nicht? 
[Beifall bei der SPD] 
Wir sagen es jedenfalls ganz deutlich: Wir wollen mit den 
Krawallen nichts zu tun haben. Wir sind auch traurig darüber, 
daß das Bild der Stadt dadurch erneut beschädigt wurde. Wer 
sich im Ausland umgesehen hat, weiß, daß die Fernsehberich 
terstattung-ganz gewiß in den USA-zu einem unangemesse 
nem Teil von diesen Bildern bestimmt sein wird. Das tut mit für 
unsere Stadt sehr leid. 
Auf der anderen Seite erleben wir Versuche, auf diesem 
Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt parteipolitische 
Süppchen zu kochen; auch das finde ich absolut unangemes 
sen. 
[Beifall bei der SPD] 
Wir haben hier bereits am 9. April 1086 über Konsequenzen 
beraten, und wir haben sie auch benannt; 
k - Solidarität mit den Opfern, 
W - Verurteilung jeder Gewalt in der Politik, 
- Ächtung desTerrors und Ablehnung jeder Vergeltungsmen- 
taiität. 
Dies gilt heute genauso, wie es damals gegolten hat. 
Die Trauer über die Toten und Verletzten in Berlin ist für uns 
Sozialdemokraten selbstverständlich auch die Trauer über 
die Opfer von Tripolis und Bengasi. 
[Beifall bei der SPD] 
(B) Die Verurteilung von Gewalt ist für uns Sozialdemokraten 
selbstverständlich, wo immer und von wem immer sie ange 
wendet wird. 
[Beifall bei der SPD] 
Wir distanzieren uns von dem Überfall auf Libyen und sagen 
deutlich: Das ist nicht die Politik, die uns mit den Amerikanern 
verbindet! 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
Der Bombenangriff auf libysche Städte bricht das Völkerrecht, 
auf dessen Beachtung gerade der Westen immer so stolz ist. 
Und er wird auch nicht dadurch legitimiert, daß er auf Terror 
reagieren soll. Das heißt auch, daß wir uns von einer Politik 
der militanten Vergeltung distanzieren, die Konflikte schürt, 
statt sie zu lösen. 
[Beifall bei der SPD] 
Das Alte Testament ist gewiß keine Handlungsanweisung für 
das internationale Zusammenleben im 20. Jahrhundert! 
Die amerikanische Militäraktion ist nicht nur rechtlich 
unhaltbar, sie wird auch erfolglos sein. Gewalt erzeugt immer 
Gewalt; Ich bin mit in dieser Aussage mit dem Kollegen 
Landowsky völlig einig. Ihre Anwendung zeigt Schwäche und 
Hilflosigkeit. Sie ist die Bankrotterklärung der Politik. 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
Und sie ist angesichts der labilen weltpolitischen Lage auch 
verantwortungslos. 
Trotz der Anschläge auf die TWA-Maschine und auf „La 
Belle“, trotz der vielen Morde und Mordversuche durch den 
internationalen Terrorismus dürfen wir eine Verschärfung der (C) 
Konflikte nicht hinnehmen. Wir erwarten von allen Regierun 
gen, vor allen aber von den Supermächten, daß sie ihrer 
Verantwortung für den Frieden in der Welt jederzeit und 
überall gerecht werden! 
[Beifall bei der SPD] 
Dies ist selbstverständlich keine Aufforderung, den Terroris 
mus gewähren zu lassen. 
Es gibt Alternativen; ich erinnere an die Entscheidung der 
EG-Außenminister. Wer aber vorkriegerische Maßnahmen 
wie wirtschaftlichen Boykott so halbherzig ausführt wie die 
USA, die keine ihrer wirtschaftlichen Interessen mehr als nur 
kurzfristig gefährdet haben, muß sich den Vorwurf gefallen 
lassen, immer nur an die militärische Lösung gedacht zu 
haben. 
[Beifall bei der SPD] 
Wer die innenpolitische Diskussion in den USA in den letzten 
Wochen verfolgen konnte, und ich hatte die Gelegenheit dazu, 
hat die konsequente Vorbereitung dieser Aktion gesehen. Die 
Kritik an den europäischen Verbündeten war nicht wirklich 
Teil eines Dialogs, sondern nur die atmosphärische Abschir 
mung einer einseitigen politischen Planung. 
Natürlich war der Druck auf die amerikanische Regierung 
groß. Die Frustation der Amerikaner wuchs von Tag zu Tag 
angesichts der scheinbaren Hilflosigkeit ihrer Führung nach 
den unzähligen Terroranschlägen auf ihre Landsleute. Dafür 
haben wir Verständnis. Dieser Druck war aber auch deshalb 
so groß, weil Präsident Reagan und seine ideologischen 
Berater immer wieder den Eindruck erweckt haben, daß sie 
alles regeln können, daß für die USA nichts unmöglich ist. Die (D) 
Kehrseite der Medaille, die auf der einen Seite Stärke und 
Selbstbewußtsein zeigt, sind Handlungszwänge und die Not 
wendigkeit, Sprüche auch einzulösen. Die wirkliche Kraft 
einer Supermacht hätte sich dagegen in der Beherrschung 
bewiesen, in der Abwägung des internationalen Konfliktpo 
tentials, in der Berücksichtigung möglicher Gefahren für den 
Bestand des westlichen Bündnisses, für das Ost-West-Ver- 
hältnis, für die moralische Qualität der eigenen Politik. Wer 
Stärke und Überlegenheit predigt, ist aber für diese Strategie 
nicht mehr frei. Ich wünsche der amerikanischen Bevölke 
rung, daß sie auch diese Lehre aus den Angriffen auf Libyen 
zieht. 
Wie müssen auch Lehren ziehen. Der Stellenwert Westeuro 
pas in der westlichen Allianz nähert sich dem Nullpunkt. Dies 
ist ein Vorwurf an Washington, aber auch an unsere eigenen 
Regierungen. 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
Wer immer ja und Amen sagt, darf sich nichtwundern, wenn er 
wie ein Ja-Sager behandelt wird. 
[Beifall bei der SPD und der AL] 
Unsere Kritik an der amerikanischen Regierung richtet sich 
also auch an die Westeuropäer, die durch Unterstützung oder 
Schweigen die Bomben auf libysche Bürger ermuntert haben. 
Wer wie wir Sozialdemokraten an die Bedeutung und an die 
Perspektive der westlichen Allianz glaubt, wird über diesen 
Aspekt der internationalen Krise besonders betroffen sein. 
Der amerikanische Angriff hat nicht nur in Tripolis und 
Bengasi Menschen getroffen, sondern auch die Zuversicht bei 
uns, daß die westliche Allianz für Frieden und Gerechtigkeit 
steht. Und wer wie wir Sozialdemokraten an die Bedeutung 
des Verhältnisses zu den Amerikanern glaubt, der wird
	        
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